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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Grippe

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Grippe (Entstehung, Disposition).

Himmels der vertikalen Luftströmungen entbehrende, gleichwohl aber trockne Atmosphäre geherrscht hat, welche durch Niederschläge nicht ausgewaschen wurde und daher staubreich sein mußte. Dieser Staubluft weist Aßmann die Rolle des Trägers der Infektionskeime zu, ohne im Einzelfall die Kontagion zu bestreiten. Konnte auch die Ansicht von der Verbreitung der G. durch die Luft sich nicht allgemeine Zustimmung verschaffen, so ist doch ein Einfluß der klimatischen Verhältnisse auf den Verlauf der Erkrankung vielfach beobachtet und von allen Seiten zugegeben worden. Zu der Ansicht von der Kontagiosität der G. gelangte man auch noch, abgesehen von den Verbreitungswegen der Seuche, durch den Schluß, daß es sich bei der Entstehung der G. wohl auch wie bei andern, genauer bekannten Infektionskrankheiten um Mikroorganismen (Bakterien oder Protozoen) handeln müsse, und von solchen ist noch niemals eine weitere Verbreitung durch die Luft als höchstens eine engl. Meile (Pockenkontagium) beobachtet worden. Es ist demnach bei der letzten Epidemie von vielen Forschern aufs eifrigste versucht worden, die Erreger der G. vermittelst der bakteriologischen Untersuchungsmethoden aufzufinden; diese Versuche haben aber kein positives Ergebnis gehabt. Zwar sind viele für die Beurteilung der Krankheit wichtige Beobachtungen gemacht worden, es wurde eine Reihe teils schon bisher bekannter, teils neuer spezifischer Krankheitserreger bei Grippefällen aufgefunden, aber es muß konstatiert werden, daß diese alle nicht die Erreger der G. sind, sondern daß sie die besonders schweren Mit- und Nachkrankheiten der G. hervorrufen. Dahin gehören der Nachweis von Streptokokken, des Fränkelschen Diplococcus pneumoniae u. a. (vgl. Bakterien, S. 85). Klebs gibt auch an, daß er Flagellaten, zu den Protozoen gehörige Organismen, gefunden habe, doch konnten andre diesen Befund nicht bestätigen. An und für sich würden Protozoen viel Wahrscheinliches haben. Beim zehnten internationalen medizinischen Kongreß sprach sich R. Koch dahin aus, daß wir über die Erreger der G. noch nichts wissen, daß es sich hier vielleicht um andre Gruppen von Mikroorganismen handle, indem er an die bei Malaria gefundenen Plasmodien erinnerte.

Die Disposition für G. ist eine allgemeine; keine Menschenrasse bleibt befreit, kein Alter oder Geschlecht verschont, doch erkrankten mehr Männer als Frauen; Greise und jugendliche Personen wurden besonders heftig befallen, dagegen blieb am meisten verschont das jüngste kindliche Alter; so wurde beobachtet, daß die höhern Klassen der Schulen mehr ergriffen wurden als die jüngern, und zwar wuchs die Erkrankungszahl von 22 Proz. der Fälle im 7. Lebensjahr auf 33 Proz. im 14. Beim Militär erkrankten häufiger die jüngsten Jahrgänge als die ältern, desgleichen Kadetten, Unteroffizierschüler etc. Nicht ganz selten wird ein und dasselbe Individuum zweimal in derselben Epidemie ergriffen. Daß der Gang der Grippe-Epidemie als solcher unabhängig ist von klimatischen und tellurischen Einflüssen, haben alle frühern

^[Abb.: Karte der Grippe-Erkrankungen im deutschen Heer 1889/90.]