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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Großbritannien

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Großbritannien (Heer und Flotte, Geschichte).

geschütz (Gardener-, Nordenfelt- oder Maxim-Mitrailleuse) ausgerüstet worden. Jede Kompanie hat einen Unteroffizier und 9 Mann zu ihrer Bedienung auszubilden. Mit diesen Geschützen werden Schießübungen auf 730 m abgehalten. Bei 32 Freiwilligenbataillonen ist eine Radfahrerabteilung (cyclist section) für den Aufklärungs- und Meldedienst in Stärke von einem Offizier, 2 Unteroffizieren, 20 Mann und einem Trompeter errichtet. Die Umbewaffnung der Infanterie des Mutterlandes mit dem neuen kleinkalibrigen Magazingewehr sollte Ende des Jahres 1890 beendet sein. Die Musterkarte von Geschützen ist sehr bunt. In der Feld-, Positions- und Gebirgsartillerie sind 14 Geschützarten und Kaliber, in der Festungs- und Belagerungsartillerie 30 Geschützmuster, teils Vorder-, teils Hinterlader, vertreten. Die Feldartillerie führt heute noch 9-, 13-, 16- und 40-Pfünder-Vorderladerkanonen, letztere als Positionsgeschütze. Der neue gezogene 12-Pfünder (7,62 cm Kaliber) für die fahrenden und reitenden Batterien bildet bereits die Ausrüstung einer Anzahl Batterien. Die Fertigstellung dieser Geschütze soll sehr langsam fortschreiten. Als Positionsgeschütz wird ein 20-Pfünder von 9,5 cm Kaliber zur Einführung gelangen. Die gußeisernen Granaten sollen nach und nach durch solche aus Stahl ersetzt werden, welche eine größere Sprengladung (Kordite) aufnehmen, und deren größere Sprengstücke größere Perkussionskraft besitzen. In der Verstärkung der Kriegsflotte herrscht fieberhafte Thätigkeit. Von den 9 Kreuzern 1. Klasse, Panzerdeckschiffen von 7350-7700 Ton. Deplacement und 20 Knoten Geschwindigkeit, sind in Devonport 1890 bereits 3 vom Stapel gelaufen, 6 gleiche sind im Bau; von 24 Kreuzern 2. Klasse (verbesserter Medeatyp), welche auf Stapel gelegt wurden, sind 1890 schon 8 abgelaufen, sie wiegen 3400-3600 T., haben Maschinen von 9000 Pferdekräften und werden 20 Knoten laufen. 7 Panzerschiffe 1. Klasse von 14,150 T. Deplacement, 13,000 Pferdekräften, 456 mm dickem Turm- und Gürtelpanzer, mit vier 34 cm Kanonen, 35 Schnellfeuergeschützen verschiedenen Kalibers und einer Anzahl Mitrailleusen armiert, welche 17 Knoten Geschwindigkeit haben sollen, befinden sich im Bau. Am 11. Nov. 1890 scheiterte beim Kap Finisterre der Kreuzer 3. Klasse Serpent, 173 Mann ertranken, 3 wurden gerettet.

Geschichte.

Die Parlamentssession des Jahres 1890, welcher man nach unbestimmten Andeutungen aus Kreisen, die der Regierung nahe standen, mit gespannten Erwartungen entgegengesehen hatte, wurde 11. Febr. eröffnet. Die Thronrede betonte in üblicher Weise die friedlichen Beziehungen zu allen auswärtigen Mächten und gedachte mit besonderer Genugthuung der Beilegung des Konfliktes mit Portugal durch die Nachgiebigkeit des letztern, der mit Deutschland und den Vereinigten Staaten abgeschlossenen Samoakonvention (welche im Januar veröffentlicht worden war) und der erfolgreichen Verhandlungen auf der Brüsseler Konferenz zur Einschränkung des Sklavenhandels. Hinsichtlich der innern Zustände konstatierte sie eine erhebliche Besserung der Verhältnisse in Irland, welche sich in der Abnahme der Zahl der agrarischen Verbrechen kundgebe und es ermöglicht habe, wie 25. Jan. durch eine Proklamation des Lord-Statthalters geschehen war, das Zwangsgesetz für einige Grafschaften außer Kraft zu setzen; eine weitere Hebung der dortigen Zustände erwarte die Regierung von einer dem Parlament zu unterbreitenden Vorlage über die Erleichterung des Landankaufs in Irland. Aber auch andre wichtige Gesetze, unter andern eine Bill über die lokale Selbstverwaltung in Irland, Vorlagen über die Abwälzung der Zehntenzahlung auf die Grundeigentümer, zur Verbesserung der Sanitätsgesetzgebung in London und der Wohnungsverhältnisse der Arbeiterklassen, zur Ausdehnung der Haftpflicht der Arbeitgeber bei Unglücksfällen u. dgl. kündigte die Eröffnungsrede an.

Damit war ein umfassendes legislatives Programm aufgestellt, dessen Verwirklichung die Arbeitskraft des Parlaments im vollen Maße in Anspruch nahm, aber auch den guten Willen der Mitglieder desselben voraussetzte. Gerade an dem letztern aber fehlte es, wenigstens auf seiten der Opposition. War in frühern Jahren wesentlich nur von der irischen Partei jene Taktik der Obstruktion befolgt worden, welche die Erledigung aller Geschäfte des Unterhauses verzögerte und erschwerte, hatten dann (seit dem Bündnis Gladstones mit den Iren) die radikalen Elemente der Gladstoneschen Partei sich immer eifriger an diesem Treiben beteiligt, so ist es für die Parlamentstagung von 1890 bezeichnend, daß mehr und mehr die ganze Schar der Anhänger Gladstones in diese Politik hineingezogen wurde. Im Unterhaus selbst hatte sie, solange das Bündnis zwischen den Konservativen und den liberalen Unionisten bestehen blieb, keine Aussicht, die Mehrheit zu erlangen, aber Gladstone berief sich auf eine verhältnismäßig bedeutende Zahl von Siegen seiner Partei bei vereinzelten Nachwahlen, um darzuthun, daß seit den letzten allgemeinen Wahlen die Stimmung des Landes eine völlig andre geworden sei. Darum wäre es ihm am willkommensten gewesen, die Regierung zu einer Auflösung des Hauses zu nötigen; da das nicht zu erreichen war, kam es darauf an, die legislative Ohnmacht der Regierung darzuthun und durch Verzögerung aller gesetzgeberischen Maßregeln Mißstimmung gegen dieselbe zu erregen. Darauf also lief, trotz aller Ableugnungen seitens der Führer, die Taktik der Gladstonianer wesentlich hinaus; manche ungeschickte Maßnahmen der Regierung, deren erster Vertreter im Unterhaus, W. H. Smith, sich seiner schweren Aufgabe immer weniger gewachsen zeigte, kamen ihnen dabei zu statten.

Begreiflicherweise war es vor allem die irische Frage, die in dieser Beziehung ausgenutzt wurde. Es konnte nicht wohl in Abrede gestellt werden, daß mit dem Nachweis der Fälschung jener von der »Times« veröffentlichten Briefe, durch welche Parnell und seine Anhänger der Mitschuld oder Mitwissenschaft an den Verbrechen der irischen Fenier und Dynamitverbrecher überführt werden sollten, die Regierung, welche im Sommer 1888 die Parnell-Untersuchungskommission eingesetzt hatte (s. Bd. 17, S. 402), eine schwere Niederlage erlitten hatte. Ihre Gegner zögerten nicht, dieselbe zu benutzen. Zwar der Schadenersatzprozeß, welchen Parnell gegen die »Times« eingeleitet hatte, war schon 5. Febr. durch einen Vergleich beendet (der irische Führer begnügte sich mit 5000 Pfd. Sterl. Entschädigung statt der geforderten 100,000), und ein Antrag, welchen Sir W. Harcourt 11. Febr. stellte, die Veröffentlichung jener Briefe für einen Bruch der Privilegien des Unterhauses zu erklären, wurde noch am gleichen Tage mit 260 gegen 212 Stimmen abgelehnt; allein der Hauptkampf knüpfte sich an den am 14. Febr. eingebrachten Bericht der Untersuchungskommission selbst. Dieser, von den drei Richtern unterzeichnet, sprach die Angeklagten von der Beschuldigung frei, gemeinschaftlich Mitglieder einer Verschwörung gewesen zu sein, um die Unabhängigkeit Irlands herzustellen, und erkannte nur an,