Schnellsuche:

Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Höhere Lehranstalten

428

Höhere Lehranstalten (Ergebnis der Berliner Schulkonferenz 1890).

Zu Frage 14 (Höhere Bürgerschulen).

Sobald das Bedürfnis nach höhern Bürgerschulen durch Verleihung größerer Berechtigungen sowie dadurch gewachsen ist, daß das Recht zum einjährig-freiwilligen Militärdienst auch an den andern höhern Schulen nur durch Prüfung erworben werden kann, empfehlen sich zur Befriedigung des Bedürfnisses folgende Maßregeln: 1) Die bisher siebenstufigen gymnasialen und realgymnasialen Anstalten, aus denen nachweislich keine erhebliche Schülerzahl in die höhern Klassen von Gymnasien oder Realgymnasien übergeht, sind in höhere Bürgerschulen umzuwandeln. 2) Die gleiche Umwandlung ist auch bei neunstufigen gymnasialen und realgymnasialen Anstalten ins Auge zu fassen, an denen die ganz überwiegende Schülerzahl nicht über die Untersekunda hinausgeht, und deren Obersekunda und Prima keine die Fortdauer einer Vollanstalt rechtfertigende Frequenz haben. 3) In Städten, welche mehrere gymnasiale oder realgymnasiale Lehranstalten haben, ist thunlichst darauf Bedacht zunehmen, daß eine dieser Anstalten in eine höhere Bürgerschule verwandelt, bez. daß bei einer Neugründung eine höhere Bürgerschule errichtet werde. 4) In Städten, welche noch keine höhere Lehranstalt besitzen, ist bei Neuerrichtung einer solchen der höhern Bürgerschule der Vorzug zu geben. 5) Zur Schonung der Interessen der Minderheit der Einwohnerschaft ist da, wo sich keine lateintreibende Anstalt befindet, in den drei untern Klassen lateinischer Unterricht (Frage 5b) anzugliedern. 6) Der Staat hat die Errichtung und Erhaltung höherer Bürgerschulen nach denselben Grundsätzen zu unterstützen, wie dies bisher bei den gymnasialen Anstalten geschah. Insbesondere hat er während der Periode des Übergangs die höhern Bürgerschulen durch Aufwendung staatlicher Mittel zu fördern und weniger leistungsfähigen Städten bei Begründung solcher Anstalten finanziell zu Hilfe zu kommen. 7) Der Durchschnitt der Gehalte der wissenschaftlichen Lehrer an den höhern Bürgerschulen sowie an sechsstufigen Anstalten überhaupt ist dem der Lehrer an den neunstufigen Anstalten gleichzustellen. 8) Für die höhere Bürgerschule empfiehlt sich der Name Realschule, der zugleich auf ihre Beziehung zur Oberrealschule hinweist.

Zu Frage 15 (Nachträglich gestellt).

Für die Kontrolle des Unterrichts und der Erziehung an den höhern Schulen genügen die vorhandenen Aufsichtsorgane; die bevorstehenden Änderungen des Unterrichtsbetriebs und die dadurch bedingte Arbeitsvermehrung des Aufsichtspersonals machen eine Vermehrung der Zahl der Provinzialschulräte dringend wünschenswert.

Am 18. Dez. schloß die Konferenz mit einer Sitzung, in der wiederum der Herrscher erschien und das Wort ergriff, um dem vollbrachten Werke sein warmes Lob auszusprechen und zugleich zu betonen, daß die Religion in seiner Eröffnungsrede nur deshalb nicht besonders hervorgehoben wäre, weil ihr Wert für die Jugendbildung außer aller Frage stände. Aus der kaiserlichen Zustimmung zu einem verlesenen Artikel des »Hannöverschen Kuriers« ging hervor, daß bei dem grundlegenden Erlaß vom 1. Mai 1889 an unmittelbare, eingehende Besprechung der sozialen Frage in der Schule nicht gedacht ist. Im Anschluß hieran verlas der Geheime Kabinettsrat Wirkliche Geheime Rat v. Lucanus folgende

Allerhöchste Kabinettsorder an den Kultusminister:

Es hat Mich mit Freude und Genugthuung erfüllt, Zeuge gewesen zu sein des Ernstes und der Hingebung, mit welcher alle Mitglieder der zur Erörterung der Schulfrage einberufenen Konferenz beigetragen haben, um diese für unsre Nation so hochwichtige und Mir besonders am Herzen liegende Angelegenheit zu fördern. Ich kann es Mir deshalb nicht versagen, allen Mitgliedern Meine volle Anerkennung und Meinen königlichen Dank auszusprechen. Insbesondere gebührt Ihnen für die ebenso geschickte wie kräftige Leitung der Verhandlungen Mein voller Dank, und Ich freue Mich, es aussprechen zu können, daß die Hoffnungen, welche Ich bei Beginn der Beratungen hegte, durch die Ergebnisse derselben ihrer Erfüllung wesentlich näher gerückt sind. Um nun auf Grund des gewonnenen reichen und wertvollen Materials möglichst bald bestimmte Entschließungen zur Durchführung des Reformwerkes fassen zu können, fordere Ich Sie auf, Mir baldigst Vorschläge wegen Bildung eines Ausschusses von etwa 5-7 Männern zu unterbreiten, welchen die Aufgabe zu stellen sein wird. 1) das Material zu sichten und zu prüfen und darüber in möglichst kurzer Frist zu berichten und 2) einzelne als besonders tüchtig bekannte Anstalten sowohl Preußens als auch der übrigen Bundesstaaten zu besichtigen und das gewonnene Material auch nach der praktischen Seite hin zu vervollständigen. Ich gebe Mich der Hoffnung hin, daß es Ihnen auf Grund dieser Vorarbeiten möglich sein wird, einen Plan für die wichtigen Reformen des höhern Unterrichtswesens auch im Hinblick auf die notwendigen finanziellen Maßnahmen so zeitig aufzustellen und Mir vorzulegen, daß die Einführung des neuen Planes mit dem 1. April 1892 erfolgen kann. Ich erwarte, daß Sie über den Fortgang der Angelegenheit Mir von Monat zu Monat Bericht erstatten. Noch liegt Mir am Herzen, einen Punkt zu berühren. Ich verkenne nicht, daß bei Durchführung der neuer Reformpläne erhebliche Mehrforderungen an die Leistungen der gesamten Lehrerschaft gestellt werden müssen. Ich vertraue aber ebenso ihrem Pflichtgefühl wie ihrem Patriotismus, daß sie sich den neuen Aufgaben mit Treue und Hingebung widmen werde. Dem gegenüber erachte Ich es aber für unerläßlich, daß die äußern Verhältnisse des Lehrerstandes, wie dessen Rang- und Gehaltsverhältnisse, eine entsprechende Regelung erfahren, und Ich wünsche, daß Sie diesen Punkt besonders im Auge behalten und darüber an Mich berichten.

Gegeben zu Berlin im Schloß, den 17. Dezember 1890.

Wilhelm R.

Inzwischen ist der vom Kaiser anbefohlene Ausschuß, bestehend aus den Mitgliedern der Konferenz: Hinzpeter (Vorsitzender), Schrader (Stellvertreter), Fiedler, Graf, Schlee und Uhlhorn, zusammengetreten. Es ist erklärlich, daß von seinen sofort begonnenen Arbeiten noch nichts Endgültiges verlauten kann. Doch hat sofort der Kultusminister den lateinischen Aufsatz schon für die nächste Reifeprüfung an den Gymnasien (Ostern 1891) beseitigt und ebenso einige andre ohne Eingriff in die jetzigen Lehrpläne mögliche Erleichterungen getroffen. Manche Unklarheit schwebt noch über einzelnen, auch wichtigen Punkten des neuen Programms, und mancher Schwierigkeit wird das begonnene Werk noch begegnen. Dies nicht am mindesten in der Beseitigung der einmal vorhandenen Realgymnasien, die doch auch viele warme Freunde zählen, und in der Hervorziehung der lateinlosen Oberrealschulen, denen vom Kultusministerium schon seit 1878 die ihnen jetzt verheißene Stellung zugedacht, aber dem Einspruch der andern Reichs- und Staatsminister gegenüber nicht errungen werden konnte. An andern Punkten bleibt das Beschlossene, so wie es jetzt vorliegt, hinter der Erwartung zurück, wie denn der vom Minister v. Goßler verheißene Wandel im Erwerb der Berechtigung zum einjährig-freiwilligen Heerdienst, die nur noch durch volle Absolvierung einer Anstalt erreichbar sein sollte, nach den Kommissionsbe-^[folgende Seite]