Schnellsuche:

Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Österreich

672

Österreich (Kaisertum: Geschichte).

schlüsse über Änderungen der Landesordnung und der Landtagswahlordnung sowie über sprachliche Fragen ausgestattet.

Auf der Reichsratssession des Frühjahrs 1890, welche vom 3. Febr. bis zum 20. Mai dauerte, äußerte sich der Einfluß der Ausgleichsvereinbarungen noch nicht, da sich die Reichsvertretung mit den hierauf bezüglichen Fragen vorläufig nicht zu beschäftigen hatte. Von seiten der deutsch-liberalen Partei wurde eine reservierte Haltung eingenommen, während in den Verhältnissen der bisherigen Majorität keine Änderung eintrat. Die einzelnen Fraktionen der Rechten gaben die Erklärung ab, auf der Basis ihrer Grundsätze in der bestehenden Gruppierung zu verbleiben. Auch die Regierung wünschte in dem bisherigen Verhältnis zur Majorität zu bleiben und sich fernerhin auf dieselbe zu stützen. Aus den Beratungen des Reichsrats ging zunächst das Gesetz über Regelung der äußern Rechtsverhältnisse der jüdischen Religionsgenossenschaft hervor. Obzwar es sich bei diesem Gesetz nicht um die allgemeine oder staatsrechtliche Stellung der Juden, sondern um die Organisierung der jüdischen Religionsgemeinden handelte, benutzten die Antisemiten die Gelegenheit zu einer Judendebatte im großen Stile. Beschlossen wurden ferner ein Gesetz über die Entschädigung unschuldig Verurteilter; ein Gesetz über Änderung der Gebäudesteuer; eine Novelle zum Gebührengesetz, wodurch unter anderm der Totalisator bei Pferderennen einer Abgabe von 5 Proz. vom Gesamtbetrag der Wetteinsätze unterworfen wird; das Gesetz über die Wiener Verzehrungssteuer (s. Wien); die Gesetze über die Reform der Statistik des auswärtigen Handels, über die Ermächtigung der Österreichisch-Ungarischen Bank zur Eskomptierung von Warrants, über die Reform der Personentarife auf den Eisenbahnen, über die staatliche Unterstützung des inländischen Schiffbaues, über die Erhöhung des Mindesteinkommens der Hilfspriester, endlich über die galizische Grundentlastung. Durch das letzterwähnte Gesetz wurde die Regierung ermächtigt, mit der galizischen Landesvertretung ein Übereinkommen abzuschließen, wonach die vom Staate dem galizischen Grundentlastungsfonds bis 1882 gegebenen Vorschüsse im Gesamtbetrag von 75,17 Mill. Gulden abgeschrieben werden. Für die Jahre 1883-97 wird an die Stelle des bisherigen unverzinslichen Staatsbeitrags von 2,625,000 Guld. eine nicht rückzahlbare Staatssubvention im Betrag von jährlich 2,100,000 Guld. und ein jährlicher rückzahlbarer unverzinslicher Staatsvorschuß von 325,000 Guld. bewilligt. Diese Regierungsvorlage rief in bäuerlichen Kreisen als ein »Hundertmillionengeschenk an Galizien« um so mehr Erregung hervor, als alle übrigen Länder ihre Grundentlastung aus eignen Mitteln zu bestreiten hatten, und begegnete deshalb innerhalb der Majorität des Reichsrats namentlich dem Widerstand der klerikalen Partei, welche für ihre Mandate fürchtete, wenn sie ohne die konfessionelle Schule und mit diesem neuen Geschenk an Galizien zu ihren Wählern zurückkehren würde. Diese Weigerung der Klerikalen erbitterte wieder die Polen so, daß sie bereits Pourparlers mit der deutschen Linken zum Zwecke der Unterstützung dieses Gesetzes und einer Neugestaltung der Parteiverhältnisse einleiteten. Doch wurde der drohende Bruch zwischen den Klerikalen und Polen vorläufig vermieden und das Gesetz unter Entfernung der Klerikalen vor der Abstimmung mit einer Majorität von 16 Stimmen angenommen. Bei der Beratung der Gesetzvorlage, welche wegen der langwierigen Klubverhandlungen erst knapp vor dem Sessionsschluß stattfand, ließ der Obmann des Polenklubs, Abgeordneter Jaworski, die Worte fallen, daß angeblich Galizien von der österreichischen Büreaukratie seinerzeit »wie von einer Horde überfallen und ausgesaugt worden sei«, ein Vorwurf, der auffallenderweise nicht von der Regierung, sondern von den Rednern der Linken, im Herrenhaus insbesondere von dem Historiker Arneth unter Hinweis auf die Verdienste, welche die österreichische Büreaukratie in Galizien sich um das daniederliegende Land erworben hatte, zurückgewiesen wurde. Über die Regierungsvorlage betreffend die Abänderung des Volksschulgesetzes (s. Bd. 17, S. 630) wurde in einer Kommission des Herrenhauses längere Zeit verhandelt, ohne daß es zu einem Ergebnis kam. Der klerikalen Partei erschienen die von der Regierung angebotenen Zugeständnisse in der Schulfrage als unzureichend, das Ministerium erklärte jedoch jedes weitere Entgegenkommen als unmöglich. Inzwischen traten die österreichischen Bischöfe 12. März 1890 mit Forderungen hervor, welche den weitgehendsten Einfluß der Kirche auf die konfessionell einzurichtende Volksschule sowie die Lehrerbildungsanstalten sichern sollten. Einen Kommentar zu dieser Erklärung bildete der im Juni 1890 veröffentlichte Hirtenbrief der österreichischen Bischöfe, welcher sich in derselben Gedankenreihe bewegte und mit einer eindringlichen Mahnung an die katholischen Wählerschaften schloß, nur solche Männer in die Vertretungskörper zu wählen, welche es als ihre erste und vorzüglichste Aufgabe ansehen, mit allen Kräften dahin zu wirken, daß die sittlich-religiöse Erziehung in der Schule zur Wahrheit werde.

Die Budgetdebatte begann erst in der zweiten Hälfte des Aprils und dauerte bis Mitte Mai, so daß das Finanzgesetz für das Jahr 1890 erst, nachdem beinahe fünf Monate dieses Jahres abgelaufen waren, kundgemacht wurde. Die Einnahmen wurden mit 548,820,006 Guld., die Ausgaben mit 546,303,035 Guld. festgestellt, so daß sich ein Überschuß von 2,516,971 Guld. ergab, allerdings ein erfreuliches Zeichen der Gesundung der wirtschaftlichen Lage und der Besserung der österreichischen Staatsfinanzen, welches aber nur durch gewaltige Anspannung der Steuerkraft der Bevölkerung zu erzielen war. In der Budgetdebatte waren es diesmal die Jungtschechen, welche die heftigsten Anklagereden gegen die Regierung und gegen die Altschechen ^[richtig: Alttschechen] sowie gegen das Ausgleichswerk richteten. Der Jungtschechenführer Ed. Gregr stellte unter andern die Behauptung auf, der Ausgleich verdanke nur einer auswärtigen Einmischung in die innere Politik sein Entstehen, er sei im Palais des deutschen Botschafters Prinzen Reuß diktiert worden. Ihren Höhepunkt erreichte die Debatte mit einer Rede des Finanzministers v. Dunajewski und einer Gegenrede des Abgeordneten v. Plener. Dunajewski verkündigte den Fortbestand des Ministeriums und dessen Absicht, in den seit 10 Jahren verfolgten Bahnen zu verharren; auch trat er gegenüber den Angriffen Gregrs auf das deutsche Bündnis für dasselbe ein. Plener nahm den den Deutschen hingeworfenen Handschuh aus und erklärte, die Deutschen wären bereit gewesen, ihren Frieden mit dem Ministerium zu schließen; da dieses aber fortfahre, sich ausschließlich auf die bisherigen Majoritätsparteien, welche nur durch die Gegnerschaft gegen das Deutschtum zusammengehalten werden, zu stützen, erübrige der Linken nichts, als den Kampf weiterzuführen. Graf Taaffe nahm in der Spezialdebatte über den