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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Reichsbank, deutsche

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Reichsbank, deutsche (Lombardgeschäft).

das lebhafteste interessierte und ihre Unterstützung durch die Reichsbank dringend wünschte. Diesen Intentionen ist aber auch vollkommen Rechnung getragen worden, soweit die wichtigste Aufgabe der Reichsbank, die Ordnung der Währung, dies zuließ. Als von Vertretern der Landwirtschaft der Wunsch geäußert wurde, für die Beleihung von Spiritus leichtere Formen zu finden, hat der Bankpräsident die Beleihung auf den Gütern selbst angebahnt, unterstützt von den Steuerbeamten, unter deren Verschluß der Spiritus lagerte. Desgleichen hat sich die Reichsbank dazu verstanden, Zucker in den öffentlichen Niederlagen zu beleihen, womit der Landwirtschaft ein wichtiger Dienst geleistet wurde. Die auf Spiritus gewährten Darlehen beliefen sich nach der erleichternden Anordnung auf etwa 8 Mill. Mk. Weitergehende Anträge sind aus landwirtschaftlichen Kreisen nicht bekannt geworden.

Will man sich den Kredit der Reichsbank in weitem Maße erschließen, so ist das einfachste Mittel die Bildung landwirtschaftlicher Genossenschaften, wie sie für Handwerker bestehen. Von den Handwerkergenossenschaften sind bei der Reichsbank 450 akkreditiert, und dieselben machen von dem Rechte, bei der Bank Wechsel zu diskontiren, reichlichen Gebrauch.

Die Frage, wieviel Darlehen die Reichsbank in den letzten Jahren auf landwirtschaftliche Produkte gewährt habe, beantwortete der Bankpräsident dahin, daß hierfür eine konstante Summe von etwa 12-15 Mill. Mk. aufgewendet wurde. Allein man solle sich erinnern, daß die Bank den Grundbesitzern doch noch nach sehr viel andern Richtungen hin geholfen habe. Es sei ein verbreiteter Irrtum, daß der Grundbesitz die Reichsbank nur zum Zwecke der Beleihung landwirtschaftlicher Produkte benutze. Die Bank stelle sich vielmehr sowohl im Wechsel- als im Lombardverkehr in den Dienst der Landwirtschaft. Eine große Zahl von Gutsbesitzern habe bei der Bank ein Konto gegen Verpfändung von Papieren, auf welchem sie Geld einzahlen und wieder abheben, ohne auch nur für einen Tag länger Zinsen zu bezahlen, als sie das Geld benutzen. Der Gebrauch dieser Konten sei besonders gewachsen, seitdem die Bank Reichs- und Staatsanleihen billiger lombardiere als alle andern Papiere. Ohne ein Konto bei einem Bankier oder einer Bank nötig zu haben, beschaffen sich Gutsbesitzer wie Privatpersonen seither das nötige Geld bei der Reichsbank, welche für diesen Zweig des Geschäfts sehr bedeutende Summen aufwendet.

Gerade die vielgeschmähte Zirkularverfügung vom 27. März 1856 hat einen nachhaltigen Einfluß auf die Anbahnung eines wachsenden Verkehrs zwischen der Landwirtschaft und der Reichsbank geübt. Bis dahin hatte die Bank im Verkehr mit Grundbesitzern auf den Zutritt eines kaufmännisch Verbundenen gehalten. Durch die Verfügung wurde nicht nur hierauf in wichtigen Fällen verzichtet, sondern weiter ausgesprochen, daß den Gutsbesitzern ausnahmsweise Kredit gewährt werden dürfe auf Wechsel, denen es an einer geschäftlichen Grundlage fehlt. Darin liegt der Kernpunkt, daß zu gunsten der Landwirte von dem obersten Prinzip abgewichen wurde, nur geschäftlich fundierte Wechsel zu diskontiren. Die Verfügung geht davon aus, daß der Gutsbesitzer bisweilen in die Lage komme, vor der Ernte, vor dem Wollmarkt Geld auf kurze Zeit zu brauchen. Solchen Falles dürfen ausnahmsweise seine Wechsel diskontiert und, wenn es sein muß, sogar einmal prolongiert werden. Die Landwirte selbst hatten sich dahin ausgesprochen, daß ein höheres Maß des Entgegenkommens mit den Grundsätzen einer Notenbank nicht vereinbart werden könne.

Zwar ist es richtig, daß die englische Bank auch Wechsel mit Einer Unterschrift diskontiren dürfe, weil sie überhaupt in ihrem Geschäftsbetrieb gesetzlich nicht gebunden sei. Allein es fällt dort niemand ein, der Bank die Diskontierung von Solawechseln zu empfehlen, noch weniger aber der Bank, solche Zumutungen zu beachten. Ohne ihrem Ruf und dem Geldumlauf im Reiche zu schaden, kann die Reichsbank Wechsel mit 6. oder 12 monatlicher Verfallzeit und Reitwechsel nicht diskontieren.

Nichtsdestoweniger machen die Landwirte von den Einrichtungen der Reichsbank den ausgedehntesten Gebrauch. Bei 13 Bankanstalten besteht fast der vierte Teil der akkreditierten Personen und Firmen aus Gutsbesitzern. Ihre Zahl beträgt nicht weniger als 2492. Im ganzen sind bei der Reichsbank 5044 Grundbesitzer akkreditiert, während die Gesamtzahl aller bei der Reichsbank akkreditierten Personen und Firmen sich auf 56,000 beläuft. Die Zahl spricht deutlich für eine starke Benutzung der Reichsbank durch die Landwirtschaft, zumal die Gutsbesitzer in den westlichen, südlichen und mitteldeutschen Landesteilen sich an die Reichsbank überhaupt nicht wenden, denn ihnen stehen andre und billigere Hilfsquellen zur Verfügung. Demnach entfällt die große Zahl auf die östlichen Provinzen, und es kann versichert werden, daß es sich hier um nicht unbedeutende Summen gehandelt hat. Auch zur Durchführung der Pfandbriefkonversionen haben die Gutsbesitzer vielfach die Reichsbank benutzt. Die Entnahmen zu derlei Zwecken stellten sich in den letzten Jahren bei nur fünf Bankanstalten, von welchen Spezialberichte in Vorlage gebracht wurden, auf 69½ Mill. Mk. In demselben Zeitraum sind von den landwirtschaftlichen Geldinstituten aus der Bank 133 Mill. Mk. gegen Verpfändung von Pfandbriefen entnommen worden.

Weiter machten die Grundbesitzer einen sehr umfassenden Gebrauch von den Giroeinrichtungen der Bank durch Überweisungen nach außen teils auf eignem Konto, teils auf dem Konto ihrer Bankiers. Die Reichsbank stellt ihnen ferner mit großem Erfolg ihr Kontor zum An- und Verkauf von Wertpapieren zur Verfügung. Es gibt überhaupt keine Einrichtung bei der Reichsbank, die von den Grundbesitzern nicht benutzt wird. Schwer fällt endlich der von der Bank angebahnte Vorteil der Zinsreduktion ins Gewicht. Denn durch die Konversion der Pfandbriefe während der letzten Jahre ist eine Zinsersparnis von etwa 5 Mill. Mk. jährlich erzielt worden. Aus alledem aber braucht man nicht zu folgern, daß die Bank für die Grundbesitzer nicht noch viel mehr thun könne und wolle, sofern ihr dazu Gelegenheit geboten werde. Im Anschluß hieran wurde denn auch von seiten der Vertreter landwirtschaftlicher Interessen im Reichstag ausdrücklich anerkannt, daß die Reichsbank in sehr entgegenkommender Weise die Lombardierung der Spirituslager erleichtert habe, insofern sie sich mit einer symbolischen Besitzesübertragung begnügte, und es wurde die Erwartung ausgesprochen, daß von dieser Neuerung im Laufe der Zeit ein weitumfassender Gebrauch gemacht werden möge. Die Gefahr eines arglistigen Verkaufs des beliehenen Produkts durch den Landwirt existiere nur für die Theorie; denn die deutschen Grundbesitzer seien fast ausnahmslos ehrliche Leute. Eine sehr bedeutende Förderung (meinte man) würde der Lombardkredit noch erfahren können, wenn sich die Reichsbank dazu verstehe, eine Ermäßigung des Darlehnszinsfußes eintreten zu lassen als