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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Reichsbank, deutsche

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Reichsbank, deutsche (Zentralausschuß, Verstaatlichungsfrage).

nen Kunden gekauften Effekten in Depot, der letztere bezahlt einen Teilbetrag, und den Rest verschafft der Bankier sich durch Trassierung auf seine Bank oder ein größeres Bankhaus. Um solche Wechsel nun nicht als Finanzwechsel erkennbar zu machen, hat man das System erfunden, den in Effekten spekulierenden Privatkunden auf seine Bank oder seinen Bankier ziehen zu lassen. Die letztere setzt dann das Accept darauf und diskontiert dieses letztere selbst; dem Kunden werden dafür Effekten angeschafft, welche man in Depot behält. Weiter wird in diesem Artikel ausgeführt, daß durch mannigfache Kunstgriffe die wahre Natur dieser »Reitwechsel« verschleiert werde, und daß die Sicherheit ihres Einganges die Diskontierung erleichtere. »Zweifellos (so schließt der Artikel) sind es ganz bedeutende Summen, welche auf dem Wege des Wechselkredits flüssig gemacht und, von Verfall zu Verfall prolongiert, nur dazu gedient haben, für eine spekulative Kundschaft Effekten zu erwerben. Das ist eine der bedeutsamsten und gefahrvollsten Seiten im heutigen Börsengeschäft; denn ein mächtiger Tragpfeiler des hohen Kursniveaus der Industriepapiere besteht in diesem durch Reitwechsel geschaffenen Kredit.« Hieraus (meinte man) könne entnommen werden, daß die Reichsbank gut daran thue, bei Kreditgewährungen vornehmlich das solide Warengeschäft ins Auge zu fassen.

Der Präsident der Reichsbank selbst nahm Veranlassung, die Unterstellung zurückzuweisen, daß sich die Bank von den Bankiers dazu benutzen lasse, diesen Betriebskapital zu verschaffen. »Das gehört (so führte er aus) zu den ganz wunderbaren Irrtümern, die in der Welt verbreitet sind, ohne meine Schuld, wie ich glaube, durch wunderbare Kanäle.«

4) Verluste. Notstände.

Obwohl die Reichsbank bei Kreditgewährungen mit größter Vorsicht zu Werke geht, ist sie doch von Verlusten nicht verschont geblieben. In einem Jahre sind z. B. außer einer Verlustabschreibung von 1¼ Mill. Mk. noch 2 Mill. für zweifelhafte Wechsel- und Lombardforderungen zurückgestellt worden. In absolut ruhigen und normalen Zeiten wurde hiernach von dem jährlichen Durchschnittsverdienst in Höhe von 10 Mill. Mk. nahezu ein Drittel teils fest abgeschrieben, teils für zweifelhafte Forderungen in Reserve gestellt. In andern Jahren sind die Verlustziffern zwar etwas niedriger gewesen, es kommen aber Reservestellungen von über 3 Mill. in einzelnen Jahren vor.

Eine Abweichung von ihren strengen Grundsätzen für Zeiten drückender Notstände hat die ehemalige preußische Bank im J. 1867/68 für gut befunden. Der preußische Landtag trat damals für die Errichtung von Darlehnskassen ein, die den Handwerkern und kleinen Landwirten zu günstigen Bedingungen Geld zur Verfügung stellen sollten. Diesem Antrag hielt jener Zeit Präsident v. Dechend entgegen, daß die preußische Bank in der Lage wäre, alle Pflichten und Aufgaben zu erfüllen, die man an die Darlehnskassen stellen könnte. Zumal es sich um größere Summen nicht handele, sei eine laxere Praxis durchaus unbedenklich. Von dem Reichsbankpräsidenten wurde im Anschluß hieran neuerdings nachdrücklich betont, daß es sich nicht empfehle, in ähnlichen Fällen zur Gründung von Darlehnskassen, wie im J. 1848, zu schreiten, sondern daß durch die Reichsbank für solche Zeiten auch jetzt genügende Vorsorge getroffen werden könne.

IV. Der Zentralausschuß.

Die Anteilseigner üben eine ständige Kontrolle über den Geschäftsgang der Reichsbank durch den von ihrer Generalversammlung gewählten Zentralausschuß in Berlin, bez. durch drei ständige Deputierte desselben. Die letztern sind berechtigt, allen Sitzungen des Reichsbankdirektoriums mit beratender Stimme beizuwohnen. Namentlich müssen Geschäfte mit den Finanzverwaltungen des Reiches oder deutscher Bundesstaaten, sofern andre als die allgemein geltenden Bedingungen des Bankverkehrs zur Anwendung kommen sollen, unterbleiben, wenn der Zentralausschuß seine Zustimmung versagt. In den Reichstagsberatungen des Herbstes 1889 wurde dem Wunsche Ausdruck gegeben, den Zentralausschuß unter Erhöhung der Mitgliederzahl von 15 auf 24 in der Art zusammenzusetzen, daß auch die deutsche Industrie und die Landwirtschaft geeignet vertreten werde. Die Anteilseigner sollten 16 Mitglieder, weitere 8 der Reichskanzler wählen. Dadurch werde der Gefahr gesteuert, daß sich der Ausschuß Forderungen widersetze, die vom nationalwirtschaftlichen Standpunkt aus berechtigt seien, was dermalen um so eher befürchtet werden müsse, als ein Viertel der Anteilsscheine in Händen von Ausländern sich befinde.

Von seiten des Präsidenten der Reichsbank wurde darauf Bezug genommen, daß es den Grundsätzen der Bankverwaltung widerspreche, die Interessen der Banken und Bankiers besonders wahrzunehmen. Die großen Berliner Bankhäuser hätten noch nie einen Wechsel unter dem laufenden Bankdiskont bei der Reichsbank begeben. Und doch säßen im Zentralausschuß die Bankiers in großer Zahl. Allein der Ausschuß habe nur eine beratende Stimme. Er gebe auf diese Weise der Bank oft wertvolle Fingerzeige für ihre Maßnahmen. Der einzige Fall, in dem, wie oben erwähnt, dem Zentralausschuß eine entscheidende Stimme zustehe, sei seit Existenz der Reichsbank noch nicht einmal vorgekommen.

Die Organe des Reiches bei der Reichsbank sind der Reichskanzler, das vierteljährlich zusammentretende Kuratorium und die Direktion; schon jetzt finden sich auch im Zentralausschuß Industrie und Landwirtschaft vertreten, und durch das Kuratorium, bestehend aus dem Reichskanzler und vier vom Kaiser, bez. Bundesrat gewählten Mitgliedern, sowie durch das Referat im Ministerium sind die Interessen aller Stände genügend geschützt. Daß Ausländer in den Zentralausschuß kommen, hat man nicht zu befürchten, da die Mitglieder nach gesetzlicher Vorschrift im Inland wohnen müssen. Im übrigen kann nicht davon die Rede sein, daß die Mitglieder des Zentralausschusses einseitig den Standpunkt der Aktionäre vertreten. Eben weil sie Chefs großer Handlungshäuser sind, zeigen sie sich stets ohne Rücksicht auf den zu erwartenden Gewinn solchen Maßregeln geneigt, durch welche dem Wohle des Landes gedient wird.

V. Die Verstaatlichung der Reichsbank, Verteilung des Gewinnes.

Nach den Bestimmungen des Bankgesetzes war dem Reiche die Möglichkeit geboten, die Reichsbank zu einem Staatsinstitut in der Art umzugestalten, daß die Aktien zum Nennwert zurückgezahlt und der Reservefonds zwischen dem Reiche und den Anteilseignern je zur Hälfte geteilt würde. Es fehlte auch nicht an Stimmen, welche mit gewichtigen Gründen für diese Neuerung eintraten. Es sei ein Unrecht (meinte man), wenn so große Privilegien, wie die Reichsbank sie besitze, zu gunsten von Privaten nutzbar gemacht werden. Die Gerechtigkeit gegen die Gesamtheit erfordere, daß an die Stelle der privaten Aktionäre das Reich trete. Im übrigen solle an der Organisation