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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Rembrandt als Erzieher

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Rembrandt als Erzieher.

der Verehrung, die man ihnen erweist, richtet sich nach der von ihnen im Leben eingenommenen Stellung. So wurden auf dem Grabe eines dem Trunke ergebenen englischen Offiziers in Tinnevelli in Südindien noch lange nach seinem Tode von den Eingebornen Opfer an Branntwein und Zigarren dargebracht, um den gefürchteten Mann zu versöhnen. Die Verehrung der Geister der Vorfahren, der Ahnenkult, findet sich auch bei vielen Kulturvölkern, z. B. bei den Römern, den Indern, den Chinesen. Auch bei den Griechen hat E. Rohde den Ahnen- und Seelenkult an den nach Homer dem Patroklos dargebrachten Totenopfern, an den Gräberfunden von Mykenä, an den eleusinischen Mysterien und andern Indizien überzeugend nachgewiesen. Der dem Seelenkult zu Grunde liegende Animismus beruht vielleicht auch ursprünglich auf der Vergleichung des lebendigen mit dem toten Organismus, den ein unbekanntes Etwas, die Seele, verlassen hat. Jedenfalls ist der Glaube an eine Beseelung der ganzen Natur allgemein verbreitet, und es hängt damit zum Teil auch der nicht minder verbreitete Glaube an Fetische jeder Art zusammen, indem man die zahllosen Seelen in den verschiedensten Gegenständen ihre Wohnung aufschlagen läßt. Der erste große Diamant in Südafrika wurde als Fetisch in dem Ledertäschchen eines Zauberers gefunden. Solche Zauberer, Fetischpriester, Schamanen und Medizinmänner, denen man übernatürliche Fähigkeiten in der Besänftigung der in den Fetischen eingeschlossenen Geister und überhaupt im Verkehr mit den Geistern und in der Beseitigung von Todes- und Krankheitsursachen zuschreibt, finden sich bei allen rohern Völkern. Nächst dem Tode sind es verschiedene Naturerscheinungen, wie der Anblick der Himmelskörper, Donner und Blitz, Regen und Wind und andre Witterungsvorgänge, welche das angeborne Gefühl der Unsicherheit und Abhängigkeit im Menschen besonders stark anregen und einen primitiven Naturdienst hervorrufen. Auch sind die Wurzeln der Religion und der Wissenschaft im letzten Grunde durchaus identisch, und der Trieb, die Kausalität der Erscheinungen zu erkennen, läßt ein naives System einer Naturphilosophie in der oft sehr ausgebildeten Mythologie der Naturvölker entstehen, wobei nach dem Prinzip des Anthropomorphismus die Naturorganismen mit einer Seele ausgestattet oder anderweitig vermenschlicht werden. Vgl. Ph. Waitz, Anthropologie der Naturvölker, Bd. 1 (2. Aufl., Leipz. 1876); O. Peschel, Völkerkunde (6. Aufl., das. 1885); E. Tylor, Anfänge der Kultur (deutsche Ausgabe, das. 1872-73, 2 Bde.); Bastian, Der Mensch in der Geschichte (das. 1860, 3 Bde.), und andre Werke; J. ^[Julius] Lippert, Die Religionen der europäischen Kulturvölker (Berl. 1881); Derselbe, Allgemeine Geschichte des Priestertums (das. 1883-84, 2 Bde.); Derselbe, Kulturgeschichte der Menschheit (Stuttg. 1886-87, 2 Bde.), und andre Werke; F. Ratzel, Völkerkunde (Leipz. 1887-88, 3 Bde.); Max Müller, Einleitung in die vergleichende R. (Straßb. 1874); Derselbe, Der Ursprung der Religion (das. 1880); H. Spencer, Prinzipien der Soziologie (deutsch, Stuttg. 1877-89, 3 Bde.); Pfleiderer, Religionsphilosophie auf geschichtlicher Grundlage (2. Aufl., Berl. 1883-84, 2 Bde.).

Auf solchen Grundlagen sind auch die Religionen der Kulturvölker erwachsen, die sich auch, wenigstens in ihren frühern Perioden, an das wissenschaftliche ebensowohl wie an das religiöse und moralische Bedürfnis der Menschheit wenden, wodurch freilich der bekannte Zwiespalt zwischen Glauben und Wissen schon frühe vorbereitet wurde. Ihre besondere Entwickelung gehört in den Bereich der Religionsgeschichte, die auch in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht hat. Vgl. Tiele, Kompendium der Religionsgeschichte (a. d. Holländ. von Weber, Berl. 1880), und die von Fachmännern bearbeiteten Litteraturberichte bei Vernes, Revue de l'histoire des religions (Par. 1880 ff.). Über die Klassifikation der Religionen gehen die Meinungen noch stark auseinander, denn die früher übliche Unterscheidung zwischen Polytheismus und Monotheismus, wozu Max Müller die passende Beifügung des Henotheismus oder Kathenotheismus, d. h. der Bevorzugung des jeweilig angerufenen Gottes bei sonstiger Vielgötterei, machte, ist längst als eine rein äußerliche Einteilung anerkannt. Namentlich aber bleibt für die vergleichende R. noch eine große Aufgabe übrig in der weitern Aufklärung der Beziehungen zwischen verschiedenen Religionen, z. B. zwischen Christentum, Buddhismus und Parsismus, und in der Entscheidung der Frage, was davon auf Entlehnung, was auf Ähnlichkeit der Entwickelung zurückzuführen ist. Vgl. Seydel, Das Evangelium von Jesu in seinen Verhältnissen zu Buddhalehre und Buddhalegende (Leipz. 1882).

Rembrandt als Erzieher. Unter diesem Titel erschien Mitte Januar 1890 in Leipzig ohne Namen des Verfassers, nur mit der Bezeichnung »Von einem Deutschen« ein Buch, das die gegenwärtig in Deutschland auf den Gebieten der Politik, Kunst, Wissenschaft und des gesamten geistigen Lebens herrschenden Zustände einer scharfen Kritik unterzog und zu dem Schlusse kam, daß nur eine Wiedergeburt des deutschen Geistes von Grund aus uns der geistigen Misère der Gegenwart entziehen könne. Als besondere Heilmittel gab der Verfasser Bescheidenheit, Einsamkeit, Ruhe, Individualismus, Aristokratismus, Kunst an und zwar in der Steigerung, daß er die Kunst im Gegensatz zu dem gegenwärtigen Übergewicht der Wissenschaft als Spitze des menschlichen Daseins bezeichnete. Sobald die Kunst im allgemeinen Bewußtsein des Volkes diese Stellung erst eingenommen hätte, wäre die Aufgabe einer wahrhaften Bildung gelöst. Als treibende Grund- und Urkraft alles Deutschtums gilt dem Verfasser der Individualismus, und da Rembrandt nach seiner Ansicht der individuellste unter allen deutschen Künstlern ist, der deshalb »vollkommen als Vorbild den Wünschen und Bedürfnissen, welche dem deutschen Volke von heute auf geistigem Gebiete vorschweben«, entspreche, stellte er die Persönlichkeit Rembrandts in den Mittelpunkt seiner kritischen Betrachtungen. Die Verherrlichung des schrankenlosen, vor keiner Autorität sich beugenden Individualismus einerseits und auf der andern Seite der stark pessimistische Zug, der einer Zeitströmung, einer immer mehr um sich greifenden Unsicherheit in den Kundgebungen der öffentlichen Meinung entgegenkam, scheinen vorzugsweise den großen Erfolg des Buches bedingt zu haben, der sich äußerlich in bisher 34 Auflagen offenbarte. Die geschickte Art des Verfassers, durch kühne Wendungen, ungewöhnliche Bilder und geistreiche Antithesen den Leser zu bestechen und zu blenden, ließ in den ersten Monaten jeden Widerspruch in der Presse verstummen. Nachdem aber an Stelle der Bewunderung eine besonnene Prüfung des Bildes getreten war, das der Verfasser von angeblichen unhaltbaren und verrotteten Zuständen in Deutschland entworfen hatte, traten auch zahlreiche Gegner in der Presse und in Einzelschriften auf. Von letztern erschien zuerst eine Parodie unter dem Titel: