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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Schießpulver

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Schießpulver (rauchloses).

direkt und indirekt, mit langen und kurzen Kanonen, wie Mörsern, mit Granaten und Schrapnells geübt werden können. Die Schießplätze der Artillerie sind 7-8 km lang und 2-3 km oder noch breiter, so daß auf größere Entfernungen geschossen werden kann und für die Sprengstücke und blind gehende Geschosse genügendes Sicherheitsfeld bleibt. Der Feldartillerie muß der Schießplatz für taktische Bewegungen, für den Aufmarsch zum Gefecht im Regiment den nötigen Raum gewähren. Solche Schießplätze bestehen bei Gruppe (Graudenz), Hammerstein (Hinterpommern), Jüterbog, Falkenberg (Oberschlesien), Lockstädt (bei Itzehoe), bei Wesel, Wahn, Griesheim (Darmstadt), Hagenau, Zeithain (bei Riesa), Lechfeld (bei Augsburg).

Schießpulver. Das anfänglich beim französischen Gewehr M/86 angewendete rauchlose S. mußte wegen mangelnder chemischer Beständigkeit aufgegeben werden. Es soll das Pikratpulver von Brugère, bestehend aus 54 pikrinsaurem Ammoniak und 46 Kalisalpeter, gewesen sein. Gegen Mitte des Jahres 1888 wurde das von Viville erfundene rauchlose S. bekannt, durch welches nunmehr diese Frage in Fluß kam, da aus taktischen Gründen kein Heer dem rauchlosen S. gegenüber ein rauchendes beibehalten konnte. Als gegen Ende des Jahres 1888 in Frankreich das neue S. auch mit Erfolg auf Geschütze aller Kaliber übertragen wurde, bemächtigte sich die chemische Industrie allerorts mit größtem Eifer der Erfindung von rauchlosem S. und von Explosivstoffen. Fast alle nahmen in Äther gelöste Nitrocellulose zur Grundlage, welcher sie irgend ein Sauerstoff entwickelndes Salz in verschieden großer Menge beimischten, je nach dem beabsichtigten Grade der Schnelligkeit des Verbrennens des Explosivstoffs. Abgesehen von der zweifelhaften chemischen Beständigkeit dieser Präparate, hat schon Abel in Woolwich darauf hingewiesen, daß die Rauchlosigkeit nur bei einem Explosivstoff rein organischen Ursprungs erreichbar ist. Gemische aus organischen Substanzen und sauerstoffreichen Salzen, wie Salpeter, Kaliumchlorat etc., können nie rauchlos sein, weil sie nie vollständig vergast werden können, denn im Pulverrauch sehen wir die von deren Gasen fortgetragenen, fein zerstäubten, nicht vergasbaren Bestandteile des Schießpulvers. Zwei Gruppen von Substanzen kommen beim rauchlosen S. in Betracht, Nitroverbindungen und Salpetersäureäther verschiedener Alkohole. Das Prototyp der erstern ist das Trinitrophenol, bekannt unter dem Namen Pikrinsäure. Da die letztere jedoch zu ihrer vollständigen Verbrennung zu Kohlensäure nur etwa die Hälfte des erforderlichen Sauerstoffs besitzt, so werden ihr 40-55 Proz. kräftiger Oxydationsmittel, z. B. Chlorate oder Nitrate, beigemischt. Alle diese Mischungen sind aber nicht haltbar, weil die Pikrinsäure die Salpeter- oder Chlorsäure aus ihren Verbindungen verdrängt. Deshalb sind alle bisherigen Versuche mit Pikratpulvern erfolglos geblieben. Reine Pikrinsäure ist beständig und durch einen starken Detonator aus Knallquecksilber explodierbar, wobei sich dann aber nicht Kohlensäure, sondern Kohlenoxydgas bildet. Da hierbei der Sauerstoff die doppelte Menge Kohlenstoff oxydiert, so sind Beimengungen sauerstoffreicher Salze entbehrlich. Nach Turpins Vorschlägen ist reine geschmolzene Pikrinsäure, gemischt mit ungeschmolzener Pikrinsäure, zu Sprengladungen von Granaten geeignet und hier von großer Wirkung.

Die neuern rauchlosen Pulverarten haben Nitrocellulose zur gemeinsamen Grundlage, und zwar benutzt man die niedrigern Nitrate, welche die Kollodiumwolle bilden, die in einem Gemisch von 7-8 Teilen Äther und einem Teil Alkohol zu Kollodium löslich ist und bei ihrer Vergasung in Kohlensäure, Kohlenoxyd, Stickstoff und Wasserdampf zerfällt, also keine festen Verbrennungsprodukte hinterläßt.

In den Jahren 1885-88 sind in England, Frankreich und Deutschland Patente auf rauchlose S. erteilt worden, welche dem Celluloid ähnliche Stoffe sind. Sie enthalten teils zur Herabminderung der Offensivität, teils zur Verbrennung des Kampfers sauerstoffliefernde Salze. 1888 wurde ein Patent Nobels bekannt, nach welchem Kollodiumwolle in Äthermischungen zu einer Pasta aufgelöst wird, die nach dem Trocknen und Pressen eine celluloidähnliche Masse ergibt, welche gekörnt wurde. Aus diesem ist das zuerst von Krupp im Juli 1889 mit überraschendem Erfolg versuchte Nobelsche S. Patent Nr. 51,471 hervorgegangen, welches, von den »Vereinigten Köln-Rottweiler Pulverfabriken« angekauft und verbessert, als rauchloses S. C/89, von Italien unter dem Namen Ballistit eingeführt wurde. Es besteht aus Kollodiumwolle und der gleichen Gewichtsmenge Nitroglycerin. Nobel ging von der Sprenggelatine aus, einer Lösung von 7-10 Proz. Nitrocellulose in Nitroglycerin, und fand, daß mit dem größern Gehalt an Nitrocellulose die Offensivität der Sprenggelatine sich vermindert, da aber die Lösung der Kollodiumwolle in Nitroglycerin auf gewöhnlichem Wege nur durch Zusatz flüchtiger Stoffe, wie Kampfer, erreichbar ist, welche später verdunsten und damit die Zusammensetzung des Explosivstoffes ändern, übergoß Nobel die Nitrocellulose bei +6 bis 8° mit einem Überschuß von Nitroglycerin, machte, um eine möglichst gründliche Durchtränkung zu erzielen, den Raum, in welchem die Mischung sich befand, luftleer und beseitigte das überschüssige Nitroglycerin in einer Zentrifuge oder Presse so weit, bis das dem Erzeugnis zugedachte Mischungsverhältnis erreicht war. Bei der nunmehrigen Erwärmung des Gemisches auf 60-90° beginnt die Gelatinierung, welche um so langsamer von statten geht, je mehr Nitrocellulose vorhanden ist. Nach beendeter Gelatinierung wird die Masse unter Innehaltung der hohen Temperatur in einer erwärmten Presse zu 1-2 mm dicken Platten zusammengedrückt und zwischen erwärmten Walzen zu etwa 0,1 mm dicken Blättern ausgewalzt. Nach dem Trocknen bilden dieselben eine hornartige, celluloidähnlich durchscheinende Masse. Diese Blätter werden in entsprechender Anzahl aufeinander gelegt und bei +80° zu Platten von gewünschter Stärke zusammengepreßt, aus welchen Streifen und der Plattendicke entsprechende Würfel geschnitten werden. Zur Sicherung der chemischen Beständigkeit werden bereits vor der Gelatinierung 1-2 Proz. Diphenylamin zugesetzt. Krupp und das Grusonwerk haben mit dem rauchlosen S. C/89 eingehende Versuche angestellt und gefunden, daß es eine dreimal größere Verwertung als die ältern Pulversorten ergibt. Es entwickelt schwach bräunliche Nebel, die so dünn sind, daß unmittelbar nach dem Schuß wieder gerichtet werden kann. Selbst bei starkem Regenwetter verziehen sich die Nebel innerhalb 3 Sekunden vollständig. Es hinterläßt so wenig Rückstand, daß die Seele der Waffe fast ganz rein bleibt. Die Erwärmung des Rohres ist geringer als beim Schwarzpulver. Die Versuche ergaben, daß Gasdruck und Anfangsgeschwindigkeit in den verschiedenen Kalibern nach Belieben durch die Korngröße regulierbar ist, so daß man durch geeignete Wahl der Körnergröße bei geringstem Gasdruck die größte Anfangsgeschwindigkeit erzielen kann. Das S. C/89 wird in