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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Steuern

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Steuern (der Schweiz: Geschichtliches).

schieden. Es hätte bei der verständnisvollen Behandlung, die es durch die Exekutivbehörden fand, Aussicht gehabt, sich einzuleben. Aber mit dem Sturze der Helvetik wurde bereits durch Gesetz vom 9. Wintermonat 1801 erst die Grundsteuer eingestellt, und schließlich fiel mit der Mediationsakte, durch welche Napoleon den Kantonen ihre politische Selbständigkeit im frühern Ausmaß wiedergab, das gesamte helvetische Steuersystem zusammen. Die Kantone waren nun, nachdem ihre vorhelvetische Steuerorganisation der Helvetik zum Opfer gefallen war, vor die Aufgabe gestellt, sich neuerdings eine solche zu schaffen. Mit unsicherer Hand und geringem Verständnis gingen sie daran. Lange behalf man sich mit Repartition der Staatslasten auf die Gemeinden. In der Restaurationsperiode 1814-30 fiel dann wieder den indirekten S. eine größere Rolle zu. Erst die Julirevolution brach andern Grundsätzen Bahn. Mit der fortschreitenden Demokratisierung der Staatsverfassungen und auf Antrieb einiger hellerer Köpfe, wie Bernoullis, Franscinis, wurden die direkten S. immer entschiedener betont und schließlich in immer mehr Kantonen regelmäßig erhoben. Baselstadt hat seit 1840 eine sehr fortgeschrittene Einkommensteuer.

Von Hottinger wurde für 1846 das Staatsvermögen der Kantone insgesamt auf 80-120 Mill., der Ertrag desselben auf etwa 3 Mill. alte Frank, der Ertrag des Salzregals auf 2¼ Mill., der des Postregals auf 1 Mill., Handänderungs- und Erbschaftsabgaben nahezu ebenso hoch, der Stempel, welchen die meisten Kantone von der Helvetik her beibehalten hatten, sowie die Gerichtsgebühren zu händen des Staates (im Gegensatz zu den sehr ausgedehnten Sporteln der Beamten) auf je ⅓ Mill. veranschlagt; der Ertrag der direkten S. auf nur 1½ Mill. Fr. insgesamt, Ohmgeld und Genfer Accise auf 1⅖ Mill., die übrigen Konsumsteuern auf 180,000 Fr., der Ertrag der Zölle endlich auf 1,57 Mill. Fr. (mit dem eidgenössischen Grenzzoll [0,27 Mill.] zusammen auf 1,84 Mill.). Das Budget des Bundes ist zu dieser Zeit noch sehr gering. 1844 betrugen die Zivilausgaben nur 76,000 Fr. und die ordentlichen und außerordentlichen Militärausgaben 259,000. Erst seit der Bundesverfassung von 1848 gehen bedeutsamere Agenden an den Bund über. Die Zölle, die Post, das Pulverregal werden ihm überantwortet. Gleichzeitig verfolgen mit den sich rapid erhöhenden Erfordernissen für Volksbildung und Wirtschaftskultur die kantonalen Budgets eine steigende Richtung. Seit Mitte der 60er Jahre werden in den Kantonen die Kämpfe um mehr oder minder demokratische Ausgestaltung des Steuersystems mit großer Heftigkeit geführt. Daß die Bundesverfassung von 1874 dem Bunde neue Aufgaben zuweist und doch nicht im gleichen Umfang die Steuerbefugnis der Kantone beschränkt, vermindert nicht die finanziellen Schwierigkeiten in den Kantonen, da die Ausgaben nach wie vor wachsen. Dem Bunde war von 1874 ab der größte Teil der Militärausgaben zugewälzt, und auf den verschiedensten Gebieten wurde er zu Subventionen verpflichtet. Es ist vorzüglich die Steigerung der Zolleinnahmen, die für alle diese Erfordernisse aufkommt. Der Bruttoertrag der Zölle ist von 4 Mill. im J. 1850 auf 27½ Mill. im J. 1889 gestiegen; für 1890 dürfte er sich über 30 Mill. erheben und selbst netto diese Summe annähernd erreichen (Gewinnungskosten gegen 2 Mill.). Der Reinertrag von Post und Telegraph, ehedem nur 1½ Mill., bewegt sich in den letzten Jahren zwischen 2 und 2½ Mill. Fr. (der Bruttoertrag ist dem der Zölle ungefähr gleich). Für die Überlassung der Post und der Zölle wurden 1848-74 an die Kantone Entschädigungen gezahlt. Seitdem die letztern weggefallen sind, ist die Finanzlage der Kantone doppelt schwierig geworden. Die Einführung indirekter S. ist ihnen, da dieselben als Degressivsteuern betrachtet werden, vom Volke verwehrt. Die Bundessubventionen gelten in der Regel Aufwendungen minder dringlicher Natur und sind also wenig dazu angethan, die Kantone finanziell zu unterstützen. Bisher ist der Ausbau der kantonalen Steuersysteme auf dem Wege der direkten S. erfolgt. Aber nun scheint man hier an einer Grenze angelangt.

Die Steuerbelastung der Schweiz betrug in Millionen Frank:

1886 1856

I. Direkte Hauptsteuern (kantonal) 18,2 4,8

II. a) Direkte Spezial- und Ergänzungssteuern (kantonal) 2,4 0,6

b) Bundesanteil am Militärpflichtersatz 1,3 -

III. Erbschafts- u. Schenkungssteuern (kantonal) 3,1 0,5

IV. Verkehrsabgaben (kantonal) 3,9 1,7

V. Luxussteuern (kantonal) 0,3 0,1

VI, a) Kantonale Verbrauchssteuern ¹ 9,3 8,1

b) Zolleinnahmen des Bundes 20,5 2,9

Zusammen: 59,0 18,8

¹ Seitdem durch Aufhebung der Ohmgelder größtenteils in Wegfall gekommen, wogegen die Kantone den Ertrag des Branntweinmonopols erhalten.

Kommunalsteuern wurden 1886 in der Schweiz im Betrag von mindestens 31 Mill. Fr. erhoben, so daß die Gesamtsteuerlast im Lande 90 Mill. Fr. oder 37,3 Fr. pro Kopf erreicht. In Preußen werden an Reichs-, Staats-, Provinzial- und Gemeindesteuern ziemlich gleich viel, nämlich 30,12 Mk. = 37,5 Fr. pro Kopf, erhoben.

Auf direkte S. entfallen 42,9 Proz., auf indirekte 57,1 Proz. der Steuerlast. Das Verhältnis der S. zu den Staatseinnahmen überhaupt wurde 1881 auf rund 75 Proz. angegeben. Die einzelnen Kantone wurden in letzterer Beziehung folgendermaßen gruppiert:

^[Liste]

Waadt und Bern mit 93,2 und 91,8 Proz.

Zug, Zürich, Neuenburg, Genf - 84,0 bis 81,2 -

Wallis, Graubünden, Luzern, beide Appenzell, Baselstadt - 76,1 - 73,5 -

Schwyz, Schaffhausen, St. Gallen, Freiburg, Nidwalden - 69,1 - 61,6 -

Glarus - - 57,6 -

Solothurn, Thurgau, Baselland, Obwalden - 48,0 - 44,2 -

Uri, Aargau und Tessin - 38,2 und 36,9 -

Eine historisch und aus dem in der schweizerischen Gesetzgebung immer vorwaltend gewesenen, ungelehrten Empirismus zu erklärende Besonderheit der schweizerischen Steuersysteme ist die erste Rolle, die in ihnen der Vermögenssteuer zukommt. Nicht eine allgemeine Einkommensteuer bildet den Hauptstock des Steuersystems, an den sich dann die verschiedenen Ergänzungs- und Spezialsteuern anlehnen, sondern meist eine mit Einkommensteuerelementen versetzte Vermögenssteuer. Allerdings, unter je modernern Einflüssen die Gesetzgebung des Kantons steht, und je mehr der vermögenslose, der sogen. unfundierte Erwerb im Staatsgebiet eine Rolle spielt, desto mehr kommt der Einkommensteuergedanke innerhalb oder neben der Vermögenssteuer zur Geltung. Noch gibt es aber heute drei. Kantone in der Schweiz, welche ihre direkte Steuer in keiner Weise über eine Vermögenssteuer hinaus weitergebildet haben. Eine feinere Unterscheidung hat etwa fünf Gruppen auseinander zu halten: in die erste reihen sich Basel-^[folgende Seite]