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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Ungarn

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Ungarn (Geschichte).

Amtssitzen der betreffenden Komitate. Die Reform der politischen Verwaltung bildete bisher den Gegenstand eingehender Beratungen, und der hierauf bezügliche Gesetzentwurf wurde dem Landtag bereits Anfang 1891 vorgelegt. Mit 1. Mai 1891 tritt als Beginn der beschlossenen Gerichtsreformen die Dezentralisation der bisherigen zwei königlichen Tafeln (Gerichtsbehörden zweiter Instanz) in Budapest und Maros-Vásárhely ins Leben, und in Zukunft werden folgende elf Städte Amtssitze der neuen königlichen Tafeln sein: Budapest, Debreczin, Fünfkirchen, Großwardein, Kaschau, Klausenburg, Maros-Vásárhely, Preßburg, Raab, Szegedin, Temesvár. Eine weitere, auf legislatorischem Wege bereits 1889 durchgeführte Maßregel von hoher Bedeutung ist die Ablösung der in U. bis dahin bestandenen Schankregalrechte und im Zusammenhang hiermit die Einführung des staatlichen Schankgefälles, dessen Ergebnis sich im Staatsvoranschlag für 1890 für U. (ohne Kroatien-Slawonien) mit 12½ Mill. Guld. beziffert. Die Schankregalablösungssumme beträgt 225 Mill. Guld. Die finanzielle Lage des Landes gestaltet sich immer günstiger. Während das Staatsdefizit sich noch 1887 auf 22 Mill. belief (1888: 12,4, 1889: 7,3 Mill.), war es schon 1890 auf 508,901 Guld. herabgesunken. Das Budget für 1891 ergibt sogar einen Überschuß von 39,260 Guld. Nach dem Budget für 1891 beträgt die Gesamteinnahme 369,008,583 Guld., die Gesamtausgabe 368,969,323 Guld., daher Überschuß 39,260 Guld. Die Hauptposten der Einnahmen sind: direkte Steuern 98,8, Verzehrungssteuern 44,5 (darunter Branntweinsteuer 23), Schanksteuer 15, Stempelgebühren und Taxen 28,3, Salzgefälle 15,8, Tabaksgefälle 46,3, Post und Telegraph 12,9 und Staatseisenbahnen 48,6 Mill. Guld.

[Geschichte.] Das neue Ministerium Szapary, in welches Graf Bethlen als Ackerbauminister eintrat, während Szapary das Innere übernahm, betonte anläßlich seines Amtsantritts im Reichstage, daß sein Programm jenes des Liberalismus sei, und daß es sich auf die liberale Partei zu stützen gedenke. Als nächste Aufgaben hat sich die Regierung die Erhaltung des Gleichgewichts im Staatshaushalt, dann die Justiz- und Verwaltungsreform gestellt. Bei letzterer handelt es sich um das Prinzip der Verstaatlichung der Administration und der Ernennung der Komitatsbeamten, welche bisher durch den Komitatsausschuß gewählt wurden. Hinsichtlich der Justizreform hat der Justizminister Szilagyi bereits 5. Febr. 1890 sein Programm entwickelt, welches die Kodifikation des Privatrechts, ferner den Strafprozeß, endlich eine Änderung der Gerichtsorganisation durch Dezentralisation der königlichen Tafel, an deren Stelle elf neue Gerichtshöfe zweiter Instanz errichtet werden, umfaßt. In letzterer Beziehung wurde dem Reichstag ebenfalls schon ein Gesetzentwurf vorgelegt (s. oben). Die Kossuth-Frage, welche den Sturz Tiszas veranlaßt hatte, wurde vom Ministerium Szapary in einfacher und glücklicher Weise gelöst, indem der Antrag der Unabhängigkeitspartei, die Bestimmung des Heimatsgesetzes, betreffend den Verlust der Staatsbürgerschaft durch zehnjährige Abwesenheit im Auslande, aufzuheben, nach einer mehrtägigen Kossuth-Debatte, in welche der Ministerpräsident wirksam eingriff, mit imposanter Majorität abgelehnt wurde. Auch die gemäßigt Oppositionellen hatten sich hierbei der Regierungspartei angeschlossen. Zu der bereits vielbesprochenen Fusion dieser beiden Parteien, welche in ihrem Programm, namentlich in Bezug auf die Verwaltungsreform, nicht auseinander gehen, kam es vorläufig nicht, hauptsächlich wegen des persönlichen Antagonismus zwischen Tisza, welcher auch nach seinem Rücktritt eine einflußreiche Stellung in der Regierungspartei einnimmt, und Graf Albert Apponyi, dem Führer der gemäßigten Opposition, doch fand die Regierungspartei aus den Reihen jener Oppositionspartei einige Verstärkung. Innerhalb der äußersten Linken, der Unabhängigkeitspartei, welche im allgemeinen den Standpunkt der reinen Personalunion einnimmt, hat Ugron, welcher sich auf den Boden der Verfassung stellen und seine Partei als die Achtundvierziger regierungsfähig machen wollte, eine Krisis herbeigeführt, indem er die Anhänger Iranyis als Neunundvierziger, welche nicht einmal die Gemeinsamkeit der Dynastie anerkennen wollen, aus dem Klub zu verdrängen suchte. Doch endete die Krise damit, daß Ugron selbst nebst 16 Getreuen aus dem Klubverband austreten mußte. Für die Haltung der Siebenbürger Sachsen hat der am 17. Juni 1890 in Hermannstadt stattgefundene Sachsentag ein neues Volksprogramm aufgestellt. Während von den sächsischen Vertretern im ungarischen Reichstag bisher ein Teil als sächsische Volkspartei eine außerhalb der Parteien stehende Fraktion bildete, ein zweiter Teil der gemäßigten Opposition und ein dritter Teil, die »Abgefallenen«, der Regierungspartei angehörte, wurde für die Zukunft den Vertretern des sächsischen Volkes der Beitritt zu jeder der auf dem Boden des Ausgleichs von 1867 stehenden Parteien, also auch der Regierungspartei, freigestellt. Das Programm bekundet ferner die loyale Anhänglichkeit und Opferwilligkeit für den ungarischen Staat, anderseits aber beharrt das sächsische Volk mit Entschiedenheit auf der Basis seiner nationalen Existenz als ein deutscher Volksstamm in U. und will auch künftig allen Magyarisierungsbestrebungen nachdrücklich entgegentreten. Alle fünf Jahre soll ein Sachsentag zur Beratung der öffentlichen Angelegenheiten des Volkes zusammentreten. Auch die Rumänen haben 28. Okt. 1890 in Hermannstadt eine Konferenz abgehalten, in welcher sie ihre Beschwerden wegen der fortgesetzten Angriffe der Magyaren auf die rumänische Sprache und Kirche aufrecht erhielten und die Überreichung eines die Beschwerden zusammenfassenden Memorandums zu gelegener Zeit an den Monarchen beschlossen. Einen Konflikt zwischen der Regierung und dem katholischen Klerus rief die Angelegenheit der Wegtaufen hervor. Eine Verordnung des Kultusministers Grafen Csaky vom 26. Febr. 1890 verpflichtete nämlich die christlichen Seelsorger, welche ein von Eltern andrer Konfessionen stammendes Kind taufen und in ihrer Matrikel verzeichnen, den Matrikelauszug (Taufschein) binnen acht Tagen dem Seelsorger der andern Konfession, nämlich jener, welcher bei Knaben der Vater, bei Mädchen die Mutter angehört, amtlich mitzuteilen, damit dieser in der Lage sei, das Kind in der Reihe seiner Gläubigen zu registrieren. Gegen diese Verordnung, welche bezweckte, dem ungarischen Gesetz vom Jahre 1868, wonach eben bei gemischten Ehen die Knaben der Konfession ihres Vaters, die Mädchen jener der Mutter folgen, Anerkennung zu verschaffen, erhob die katholische Geistlichkeit Widerspruch, da es gegen das Gewissen und die Pflicht des katholischen Priesters gehe, ein nach katholischem Ritus getauftes Kind der andern Konfession, also der Häresie, zu überantworten. Der Konflikt dürfte übrigens dadurch gelöst werden, daß die katholische Geistlichkeit künftig die Fälle solcher Wegtaufen nicht direkt der andern christlichen Konfession,