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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Zinsfuß

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Zinsfuß (Geschichtliches).

noch im ersten Jahrhundert vor Christi nicht unter 30 Proz. Was dagegen das Produktivdarlehen betrifft, so scheinen vom 4. bis ins 1. Jahrh. v. Chr. ziemlich allgemein in der Handelswelt, ebensowohl in Griechenland als auch in Rom, wie auch in Alexandria, 12 Proz. Zinsen genommen worden zu sein. Man rechnete 1/100 des Kapitals für einen Monat, was 12/100 = 12 Proz. fürs Jahr ergab. Etwas niedriger war der Z. wohl eine Zeitlang nach der Eroberung des Perserreichs durch Alexander. Ähnlich nach der Eroberung Ägyptens durch Augustus im 1. Jahrh. v. Chr., wo zeitweilig Geld genug sogar zu 4 Proz. zu haben war. Während der römischen Kaiserzeit, und insbesondere gegen das Ende derselben, nimmt der Z. aber allgemein ein niedrigeres Niveau an. Er war damals meist etwa zwischen 6 und 10 Proz. Justinian setzte im 3. Jahre seiner Regierung den regelmäßigen Z. auf 6 Proz. herab. Für gewisse Fälle sollten 8, für andre dagegen 4 und nur ausnahmsweise die früher üblichen 12 Proz. erhoben werden. In einer spätern Novelle wurden 4 Proz. für den gesamten Bauernstand als maßgebend erklärt. Auch der Anatozismus, die Berechnung des Zinses vom Zins, ward verboten. Endlich wurde erklärt, daß dem Schuldner überhaupt niemals mehr an Zinsen abgefordert werden dürfe, als das Schuldkapital beträgt (alterum tantum).

Im Mittelalter, das ja in seiner ersten Zeit einen völligen Rückfall in die Naturalwirtschaft bedeutet, spielt das Darlehen vorerst eine sehr geringe Rolle. Erst vom 13. Jahrh. an wird dies anders. Von dieser Zeit an bis ins 16. und 17. Jahrh. hinein sind aber streng auseinander zu halten die Zinsen, die für das sogen. freie Darlehen gefordert und gegeben wurden, und jene, die dem Rentenkauf galten, jener durch das kanonische Recht und sein Zinsverbot provozierten Darlehnsform, wo der grundbesitzende Schuldner sich zur Leistung einer Rente als Äquivalent für Zins- und Schuldbetrag an den Gläubiger verpflichtete. Beim Rentenkauf kehrt in Deutschland im 13. Jahrh. der Satz von 10 Proz. am häufigsten wieder. 6 und 15 Proz. scheinen Minimum und Maximum gewesen zu sein. Im 14. Jahrh. ermäßigt sich der Satz, die Grenzen sind 5 und 12½ Proz., und der Z. wird gleichmäßiger über das ganze Gebiet hin. Diese Entwickelung setzt sich dann im 15. Jahrh. fort, und zu Schluß desselben sind 5 Proz. für den Rentenkauf im ganzen Westen des Reiches nahezu normal geworden. Der Osten dagegen hat höhere Sätze, die aber selten 10 Proz. erreichen. Wie schon angedeutet, waren die Sätze des Rentenzinsfußes lokal verschieden, insbesondere in der frühern Zeit. Gegenden mit lebhafterm Verkehr, stärkerm Geldzufluß, besserer Rechtsorganisation und Rechtspflege, wie überhaupt besserer Verwaltung hatten Anwartschaft auf einen niedrigern Z. Gegenden, denen diese Eigenschaften nicht zukamen, mußten sich mit einem höhern Z. abfinden. Am Oberrhein ist bereits im 13. Jahrh. der Z. für Gültenkauf 7-5 Proz. durchschnittlich. Zu Ende des 14. Jahrh. stieg er dann freilich infolge der zahlreichen Fehden. In Norddeutschland ist er, wenn von Lübeck abgesehen wird, die ganze Zeit weit höher. In Breslau verharrt er bis ins erste Jahrzehnt des 16. Jahrh. hinein gleichmäßig auf 10 Proz. Völlig andre Ziffern als dieser Rentenzinsfuß zeigt der des freien Darlehens. Man thut hier gut, Länder, in denen das freie Darlehen als Produktivdarlehen, und solche, wo es als Konsumtivdarlehen überwiegt, zu unterscheiden. Nur indem man diese Einteilung macht, kann man die großen Unterschiede in der Zinshöhe, die sich für das freie Darlehen in verschiedenen Ländern ergeben, erklärlich finden. Das Privilegium, eigentliche Mobiliardarlehen gegen Zins zu gewähren, stand im Mittelalter bekanntlich den Juden zu, wenn es ihnen auch nicht ausdrücklich zugesprochen gewesen sein mag und vielfach verkümmert wurde. Der ihnen entrichtete Zins war in Ländern vorwiegenden Konsumtivdarlehens außerordentlich hoch und überschritt nach unsern Begriffen geradezu alles Maß. In Deutschland betrug er im 13. Jahrh. durchschnittlich 60-70 Proz. pro Jahr. Indes ist das kein Maximum. So finden wir in Österreich, welches freilich das ganze Mittelalter hindurch immer zu den Ländern des höchsten Zinsfußes gehört hat, eine Verordnung des letzten Babenbergers aus dem Jahre 1244, wonach an Zinsen jährlich 174 Proz. zu nehmen gestattet sein soll. Bald darauf hebt 1254 Ottokar für die Juden der österreichischen Länder jede Zinsgrenze auf, in seiner Hauptstadt Prag will er nicht über 104-140 Proz. jährlich an Zinsen eingezogen wissen. Kaiser Rudolf I., in einer Verordnung von 1277, die er für die österreichischen Länder erläßt, kehrt zu dem Satze jener Verordnung von 1244 mit 174 Proz. zurück.

Im darauf folgenden 14. Jahrh. jedoch gelten schon wesentlich niedrigere Zinssätze. Herzog Albrecht II. von Österreich gestattet den Juden nicht über 65-72 Proz. zu gehen. In Frankfurt wird ihnen ziemlich gleichzeitig, nämlich 1368, ein Zins von 32½-43⅓ Proz. zugestanden. Und auch weiter setzt der Z. sein Sinken fort. Im J. 1491, also zu Schluß des Mittelalters, werden den Frankfurter Juden 21⅔ Proz. gestattet, d. h. für das Konsumtiv- und nur ausnahmsweise für das Produktivdarlehen. Denn dort, wo Handel und Kaufmannschaft bereits in großem Stile thätig werden, und wo dem entsprechend das freie Darlehen seine Natur als Notdarlehen verliert, kann der Z. unmöglich bei Sätzen wie den vorgenannten verharren. Zinsen in solcher Höhe vermag keine kaufmännische Thätigkeit zu tragen. Und so trifft man denn in der That beispielsweise in Flandern und Brabant, die verhältnismäßig früh zu großer wirtschaftlicher Blüte gelangt sind, bereits im 13. Jahrh. den Zins bei 20-30 Proz. an. Wenn uns berichtet wird, daß die italienische Kaufmannschaft schon im 12. Jahrh. einen Zins von bloß 20 Proz. entrichtet habe, so ist das wohl zurückzuführen darauf, daß das kanonische Zinsverbot um jene Zeit noch nicht volle Kraft erlangt hatte. Aber im 13. Jahrh. soll in Sizilien ein Z. von sogar nur 10 Proz. für freie Darlehen bestanden haben. In Italien und in jenem Landgebiet, das sich in der Richtung des frühern Burgund, aber breiter als dieses gegen die heute belgische Küste hinzieht, weiter in Südfrankreich erhält sich das ganze spätere Mittelalter hindurch der Z. auf verhältnismäßig niedrigem Stande. Freilich hat er damit auch viel weniger Raum für seine Entwickelung nach unten. Der Satz von 10-12 Proz., wie ihn zu Anfang des 16. Jahrh. die südlichen Niederlande besitzen, war um diese Zeit ebenso in Südfrankreich und Italien gebräuchlich, was aber nicht hinderte, daß unter Umständen hier überall auch noch 20 Proz. gefordert und gegeben wurden. In Deutschland erfreuen sich nur Fürsten und Städte des Vorzugs so niedriger und unter Umständen noch niedrigerer Zinse. Sie erhalten frühzeitig ihre Darlehen bereits zu 12-10 und gegen die Neuzeit hin zu 8-7 Proz.

Die Neuzeit hat überall eine Erniedrigung des Zinsfußes und in Verbindung damit eine zeitliche