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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Ameisenpflanzen (neuentdeckte Formen und Arten)

stehenden Blattpaares in der Regel zwei enge, meridional gestellte Längsspalten auf, welche unabhängig von der Thätigkeit der Insekten entstehen und an ihren Rändern Wundkork entwickeln; außerdem lassen sich am obern Ende der Schlitze kleine, kreisrunde Einbruchslöcher nachweisen. Die Höhlungen beherbergen, wie Schumann an Herbarium-Exemplaren nachweisen konnte, zahlreiche kleine, glänzend schwarze Ameisen (Myrmelachiste Schumanni und Azteca depilis Emery). Die Entstehung der Schlitze ist auf eine Art von Gewebespannung, ähnlich der beim Aufspringen gewisser Kapselfrüchte, zurückzuführen; später werden sie durch den Biß der Ameisen zu kreisrunden Löchern erweitert. Als den Insekten dargebotene Genußmittel dienen vermutlich die Aussonderungen von Drüsen, die unterhalb der die Knospen einschließenden mützenförmigen Hüllen nach dem Abwerfen derselben stehen bleiben. Bei Duroia petiolaris treten außer den oben erwähnten noch zwei andre, zu den erstern rechtwinkelig gestellte Spalten auf; auch schließen sich die Ränder derselben allmählich durch Überwallung, weshalb die Ameisen hier eine ganze Reihe übereinander stehender Eingangspforten herstellen. Die Schläuche von Nauclea entwickeln sich wie bei Duroia dicht unter der Blütenstandregion; sie besitzen zwei ungefähr gegenüberliegende Längsspalten, innerhalb deren bestimmte Stellen zu größern kreisförmigen Öffnungen erweitert sind. Bei der Gattung Cuviera liegen die Auftreibungen von schlankkegeliger Form nicht am obern Ende, sondern am Grunde des Internodiums, in dessen Höhlung zwei einander gegenüberstehende Reihen rundlicher, zu 3-4 senkrecht angeordneter Öffnungen führen; letztere stehen stets genau über den vorausgehenden Blättern. Als Bewohner fand sich eine Crematogaster-Art. In andern Fällen, z.B. bei der Lauracee Pleurothyrium macranthum Poepp., kann auch die ganze Blütenstandachse hohl werden, die bei genannter Art außen mit flachen, regelmäßig über den Seitenzweigen stehenden Längsfurchen versehen ist; in den Hohlraum führen kreisförmige, oberhalb der Seitenverzweigung der Achse stehende, an den Rändern mit Wundholz besetzte Eingangslöcher, die ebenfalls spontan, d. h. ohne Eingriff der Bewohner, zu entstehen scheinen. Hieran schließen sich noch mehrere andre, bereits von Beccari beschriebene A. aus der Familie der Monimiaceen (Kibara), Myristikaceen (Myristica), Euphorbiaceen (Endospermum. Macaranga) u. a., deren Achsenschläuche zum Teil durch leicht durchdringbare, dünnere Gewebepartien den Ameisen das Eindringen erleichtern.

Eine zweite Reihe bilden diejenigen A., bei welchen die Wohnräume sich an Blättern bilden. Entweder werden in diesen; Fall die zu Dornen umgewandelten Nebenblätter (als sogen. Stipuladornen) zu Hohlräumen, in denen sich die Ameisen ansiedeln, wie bei einer Anzahl von Acacia-Arten (A. sphaerocephala. A. cornigera), oder die Hohlräume entstehen aus Teilen der Blattfläche. So treten sie z. B. bei Duroia saccifera Hook. fil. am Grunde des Blattes rechts und links vom Blattstiel als zwei dicht nebeneinander liegende, durch eine Furche getrennte Hohlblasen auf, deren am obern Ende liegender Eingang durch eine darüber gelegte, kurze Einfaltung des Blattgrundes vor einfließendem Regenwasser geschützt wird. Als Bewohner der Blasen fand sich an Exemplaren aus Nordbrasilien Allomerus septemarticulatus Mayr. Ähnliche Blattanschwellungen kamen auch bei einer Reihe von Melastomaceen (Tococa, Majeta, Microphysca, Calophysca u. a.) vor, bei denen sie bereits von ältern Beobachtern, wie Aublet, v. Martius, Naudin, Triana, bemerkt und als Ameisenwohnstatten erwähnt wurden. Die Größe und Gestalt dieser Blasen wechselt mannigfach; bald liegen sie ganz auf der Oberseite der Blätter und sind dann ihrer ganzen Länge nach mit der Blattfläche verbunden (z. B. bei Tococa lancifolia Spruce), oder sie stehen nur zum Teil mit dieser, im übrigen aber mit dem Blattstiel in Verbindung. Bei andern Formen liegen sie ganz auf dem Stiel, indem sie frei auf demselben reiten (z. B. bei Tococa macrophysca Spruce) oder nur mit ihrer Spitze den Blattgrund berühren. Endlich können sie (z. B. bei (Calophysca tococoidea Dec.) auch dicht unterhalb des Blattstiels als einheitliche Höhlung auftreten, deren Eingang dann durch den darüber liegenden Stiel selbst vor Regen geschützt wird. Häufig entwickelt bei den Melastomaceen von den beiden Blättern eines Paares nur das größere eine Blase, während eine solche dem gegenüberliegenden kleinern Blatt fehlt. Beccari hat aus dem Vorkommen von Drüsenhaaren im Innern der Blasen, z. B. von Majeta, den Schluß gezogen, daß sie als Ameisenfallen mit innern Verdauungsorganen dienen möchten, jedoch spricht eine Reihe anatomischer Gründe gegen diese Ansicht; auch finden sich ganz gleiche Drüsen auf äußerlichen Teilen desselben Blattes. Am meisten plausibel erscheint die Anschauung, die ameisenhaltigen Hohlblasen mit jenen »Domatien« (s. d., Bd. 17) zu vergleichen, die in den Aderwinkeln zahlreicher Blätter (bei Tiliaceen, Sterkuliaceen, Myrtaceen, Lauraceen, bei Chinchona u. a.) als taschenartige Einsackungen vorkommen und von Milben bewohnt werden. Auch diese Gebilde werden nicht durch ihre tierischen Bewohner hervorgerufen, sondern treten andeutungsweise schon vor Besiedelung mit solchen im Knospenzustand der Blätter auf.

Die von Ameisen bewohnten Schläuche und Blasen nebst den von Milben besetzten Blatteinsackungen deuten auf eigenartige, symbiotische Beziehungen zwischen den genannten Tieren und ihren Wohnpflanzen. Keinesfalls sind diese Bildungen mit Gallen (Cecidien) zu vergleichen, da die letztern pathologischer Natur sind und erst durch Einwirkung des gallenbewohnenden Tieres entstehen. Gerade die am längsten bekannten A. bieten der Deutung die meisten Schwierigkeiten. Schon Rumphius (1750) beschrieb nämlich als »schwarzes und rotes Ameisennest« zwei merkwürdige Scheinschmarotzer des ostindischen Archipels, deren untern, knollig angeschwollenen, von Hohlgalerien durchzogenen und von Ameisen bevölkerten Teil er für richtige Ameisenstöcke hielt; auch war er der Meinung, daß aus diesen Nestern die Pflanzen ohne Samen hervorsprossen sollen. Die erste genaue Beschreibung derartiger Ameisennestpflanzen, deren Zahl beiläufig ca. 56 (meist aus den Gattungen Hydnophytum und Myrmecodia) beträgt, hat Beccari geliefert und die ältern märchenhaft klingenden Angaben richtig gestellt. In den Hohlräumen der knollenartig anschwellenden Grundachse dieser Pflanzen leben in der That häufig ganze Heere von Ameisen, welche bei Berührung der Pflanze hervorkommen und sich wütend auf den Ruhestörer zu stürzen pflegen. Treub fand bei genauerm Studium der Entwickelungsgeschichte, daß die Knollen schon sehr früh an Keimpflanzen auftreten, welche mit Ameisen überhaupt nicht in Berührung waren; auch entwickelten sich in diesem Fall die innern Höhlungen ganz normal. Infolgedessen betrachtet