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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Bakterien (Geschichte der Bakteriologie)

wurde hier, wenn auch sehr vorsichtig, zum erstenmal im bewußten Gegensatz zu Halliers Anschauungen die Ansicht ausgesprochen, daß die verschiedenen Farbstoffe auch durch verschiedene Arten von B., die sich auch morphologisch unterscheiden ließen, erzeugt würden. Hierauf folgte nun in den nächsten Jahren eine Reihe wertvoller Arbeiten Cohns, welche dieser unter dem Titel »Untersuchungen über B.« in seinen Beiträgen zur Biologie namentlich in den Jahren 1870 bis 1875 veröffentlicht hat. Sein wichtigstes und größtes Verdienst war der Versuch, die bis dahin bekannten oder von ihm entdeckten Bakterienarten nach morphologischen oder, wenn diese nicht ausreichten, biologischen Merkmalen voneinander zu unterscheiden und in leicht erkennbare, durch die Form charakterisierte Gruppen zu bringen. Zunächst wandte er für die ganze Gruppe dieser bisher als Spaltpilze bezeichneten Organismen den Namen B. an, welcher früher schon, aber in sehr viel weiterer Fassung von Hoffmann in die Wissenschaft eingeführt worden war. Die B. teilte er nun weiter in vier große Tribus: Sphaerobacteria, Kugelbakterien, mit der Gattung Micrococcus; Microbacteria, Stäbchenbakterien, mit der Gattung Bacterium; Desmobacteria, Fadenbakterien, mit den Gattungen Bacillus und Vibrio, und Spirobacteria, Schraubenbakterien, mit den Gattungen Spirillum und Spirochaete. Mit den damaligen optischen und technischen Hilfsmitteln ließ sich eine schärfere Trennung von Gattungen und Arten nicht erreichen, doch sind bereits die Gattungen so scharf umschrieben, daß sie im großen und ganzen noch heute beibehalten werden. In Bezug auf die Arten dagegen hat sich herausgestellt, daß sie nicht den natürlichen Arten entsprachen, sondern in den meisten Fällen Kollektivspezies darstellten. Sein System hat zwar in der Folgezeit mancherlei Abänderungen und Verbesserungen erfahren, bildet jedoch noch heute die Grundlage aller praktisch brauchbaren Systeme, auch selbst derjenigen, deren Autoren sich im vollen Gegensatz zu Cohn zu befinden glauben. Der einzige Versuch, eine Systematik der B. auf entwickelungsgeschichtliche Thatsachen zu begründen, rührt von de Bary und van Tieghem her, denen sich später Hüppe und andre anschlossen. Sie teilen nämlich die B. in endospore und arthrospore ein, je nachdem sich die Sporen im Innern der Zellen entwickeln, oder indem sich die ganzen Zellen in Dauerzustände umbilden. Indes ist die Arthrosporenbildung noch nicht in allen Punkten genügend aufgeklärt, um ihr eine hinreichende Wichtigkeit als systematisches Merkmal zulegen zu dürfen, und außerdem kennt man bei der großen Mehrzahl der B. die Sporenbildung überhaupt noch nicht.

Nicht bloß die Systematik wurde durch Cohn in wesentlicher Weise gefördert, sondern auch die Entwickelungsgeschichte der B. erhielt durch seine Entdeckung der Bildung und Keimung von Sporen beim Heubacillus, die er lückenlos verfolgen konnte, eine wesentliche Erweiterung. Auf dem Gebiete der Ernährung der B. waren besonders diejenigen seiner Untersuchungen von Wichtigkeit, durch welche er nachwies, daß sich viele B. auch dann kultivieren lassen, wenn ihnen Stickstoff und Kohlenstoff in Form von organischen Salzen angeboten wurden. Den Anschauungen Cohns traten jedoch eine Anzahl Forscher entgegen, mit der Lehre, daß es unter den B. nur sehr wenige oder auch vielleicht gar nur eine einzige Art gäbe, welche morphologisch außerordentlich vielgestaltig und in biologischer Hinsicht ebenfalls außerordentlich verschiedenartige Prozesse auszulösen im stande sei. Durch verschiedene äußere Bedingungen könnte diese eine Art bald in der Form von Kokken, bald in der von Schrauben oder Stäbchen auftreten, bald Milchsäuregärung, bald Pigmentbildung, bald Typhus oder Cholera herbeiführen. Daß diese Lehre von der Inkonstanz der Arten, welche weniger schroff von manchen Autoren als Polymorphismus der Bakterienarten aufgefaßt wird, der Wirklichkeit nicht entspricht, hat sich in der Folgezeit herausgestellt; vertreten wurde sie wesentlich durch Lister, Billroth, Nägeli, Buchner und Zopf.

Den ersten sichern Beweis davon, daß gewissen Erscheinungen auf dem Gebiete der ansteckenden Krankheiten auch bestimmt unterscheidbare, konstante Bakterienarten entsprechen, zugleich ein Beweis für die Nichtigkeit der Lehre vom Contagium vivum und der Konstanz der Bakterienarten, lieferte Robert Koch 1876 durch seine Entdeckung des Milzbrandbacillus. Wie bereits erwähnt, waren die Stäbchen in dem Blute milzbrandkranker Tiere schon längst gesehen worden, indes erst Koch stellte in seiner grundlegenden Arbeit: »Die Ätiologie der Milzbrandkrankheit, begründet auf die Entwickelungsgeschichte des »Bacillus Anthracis«, unzweifelhaft die Rolle fest, welche diese Stäbchen bei der Milzbrandkrankheit spielten, indem er die ganze Entwickelungsgeschichte dieses Organismus lückenlos verfolgte. Die Entdeckung andrer Krankheitserreger ließ nun nicht lange mehr auf sich warten, doch scheiterte die genaue Sicherstellung der Pathogenität sowie der Spezifität der gefundenen Organismen an der Unmöglichkeit, die einzelnen Arten voneinander zu trennen und jede für sich in Reinkulturen fortzuzüchten. Kochs Verdienst war es wiederum, diesem Mangel einer geeigneten Kulturmethode durch Zuführung gelatinierender Substanzen zu den gebräuchlichen Nährflüssigkeiten abgeholfen zu haben. Dadurch, daß man eine geringe Menge des bakterienhaltigen Materials mit der zuvor verflüssigten Nährgelatine vermischte und auf sterilisierte Glasplatten ausgoß, konnte man erreichen, daß die einzelnen Bakterienkeime räumlich voneinander getrennt und durch das Erstarren der Gelatine auch voneinander getrennt fixiert wurden. Da nun die nach Kochs Verfahren hergestellte Gelatine auch zugleich ein vorzüglicher Nährboden für die B. war, so wuchsen die einzelnen Keime auf der Platte zu kleinen Kolonien aus, welche ebenso viele kleine Reinkulturen von B. darstellten. Hierdurch war das Problem der Isolierung der Bakterienarten gelöst und dem weitern Ausbau der Bakteriensystematik der Weg gebahnt. Es stellte sich nun zwar freilich gar bald heraus, daß diese Kulturmethode nicht in allen Fällen verwendbar sei, sondern daß man vielmehr für bestimmte Arten gewisse Abänderungen daran vornehmen müßte. So mußte man bei denjenigen Arten, welche nur bei Blutwärme wachsen, an Stelle der sich bei dieser Temperatur verflüssigenden Gelatine das Agar-Agar oder auch Blutserum verwenden etc. Es folgten nun rasch eine große Anzahl hochwichtiger Entdeckungen auf dem Gebiete der pathogenen B., namentlich durch Koch selbst, welcher 1884 den Organismus der asiatischen Cholera, den Kommabacillus, und den Tuberkelbacillus auffand. Das Auffinden des letztern ist noch besonders deshalb von großer Bedeutung, weil der Wert der Färbemethoden hierbei besonders in die Augen springt. Als Erreger von Krankheiten sind zur Zeit B. bekannt bei Aktinomykose, Wundinfektionskrankheiten, Osteomyelitis, Erysipel, Puerperalfieber, Tetanus,