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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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China (Überschwemmungen, Staatsmänner, Außenhandel)

derungen zu erlangen, indem sie die Mächte von ihrem guten Willen zu überzeugen und darzuthun suchte, daß eine kriegerische Aktion das ganze Reich in Aufruhr und die Dynastie zum Sturz bringen werde. Doch würden die gewöhnlichen Schachzüge chinesischer Diplomatie dieses Mal nutzlos gewesen sein, wenn nicht fast gerade im entscheidenden Augenblick die Aufmerksamkeit der Mächte nach einem andern Punkt gerichtet worden wäre. Das Vorrücken Rußlands in die Steppen von Pamir erschien den Mächten wichtiger als die Aufrechterhaltung des europäischen Prestige in C., und aus der Flottendemonstration isi nichts geworden. Dieser indirekte Sieg der chinesischen Diplomatie ist um so mehr zu bedauern, als nach neuesten Ergebnissen die Regierung an den Aufständen weit mehr mitschuldig war, als vorher allgemein angenommen wurde. Der Aufstand in Itschang ist geradezu von Regierungstruppen veranlaßt worden. Es steht fest, daß bis jetzt die Schuldigen nicht bestraft und noch kein Pfennig Entschädigung gezahlt worden ist.

Gegenüber den Verheerungen, denen die nördlichen Gebiete Chinas durch die Überschwemmungen des Huangho im Laufe der letzten Jahre ausgesetzt waren, hat sich der heutige Stand chinesischer Wasserbaukunst machtlos erwiesen. Doch sprechen auch andre Umstände mit, unter denen die Unehrlichkeit der mit den Wasserbauten beauftragten Beamten eine große Rolle spielt, und bei dem herrschenden System ist die Regierung außer stände, dieser bekannten Krebsschäden Herr zu werden. Das einzige Mittel, das dem Übel gründliche Abhilfe verschaffen würde, wozu sich jedoch die Regierung schwerlich entschließen wird, ja angesichts der herrschenden Stimmung im Volke kaum entschließen darf, ist die Verwaltung des Wasserbauwesens durch Europäer. So ist auch im Interesse Chinas selbst das Ende 1890 erfolgte Ausscheiden des um die Flotte hoch verdienten englischen Kapitäns Lang zu bedauern, der, zur Stellung eines chinesischen Admirals befördert, sich durch kränkende Zurücksetzung veranlaßt sah, in sein Vaterland zurückzukehren. Wieviel noch für eine starke chinesische Flotte zu thun übrigbleibt, das beweist die Frechheit der Seeräuberbanden in den Gewässern von Kanton. Diese gipfelte in dem Überfall des großen Passagierdampfers Namoa 10. Dez. 1890 unweit Hongkong. Den Bemühungen der englischen Polizei gelang es später, der Rädelsführer habhaft zu werden, und die chinesischen Behörden des Festlandes in der Nähe Hongkongs konnten ein großartiges Exempel in Gestalt einer Massenhinrichtung statuieren.

In den letzten beiden Jahren hat C. das Unglück gehabt, mehrere seiner bedeutendsten Staatsmänner, die der europäerfreundlichen Fortschrittspartei angehörten, durch Tod oder Rücktritt zu verlieren. Nachdem im April 1890 der bedeutendste chinesische Staatsmann, Marquis Tseng-kwosan (Bd. 15 und 17), gestorben war, folgte ihm sein Bruder Tseng-kwo-tschüan, Generalgouverneur der beiden Kiang-Prouinzen, im November d. J. im Tode. Am 1. Jan. 1891 starb der Vater des gegenwärtigen Kaisers, I-huan, Prinz Tschun, der 7. Sohn des Kaisers Taukwang (1821-51) im 52. Lebensjahr. Prinz Tschun stand mit der Exkaiserin-Regentin an der Spitze der Fortschrittler, und seiner Thätigkeit ist vieles von den Erfolgen in der Eisenbahnfrage 2c. zu verdanken.

Im Mai 1891 trat der Gouverneur der Satrapie Formosa, Liu Mingtschuan, aus

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Gesundheitsrücksichten seinen wichtigen Posten ab und hat sich in den Ruhestand zurückgezogen. Es ist dies für den Fortschritt in hohem Maße zu bedauern, da er unter den Gouverneuren wohl der europäerfreundlichste war und die Fähigkeit hatte, viele wichtige Neuerungen in der Verwaltung durchzuführen. Seine vielfachen Verdienste um die wirtschaftliche Hebung Formosas sind schon in unserm vorjährigen Bericht (Bd. 18, S. 155) gewürdigt worden. Eine allgemeine Empörung der Ureinwohner im Süden der Insel unterdrückte er im Februar und März 1891 durch Waffengewalt. Sein Nachfolger ist Schao, der in den 70er Jahren als Sekretär bei der chinesischen Gesandtschaft in Berlin und Petersburg fungierte und 1882-84 das Amt des Tautai von Schanghai bekleidete.

Den größten Verlust nach dem Marquis Tseng erlitt C. durch den Tod des Gouverneurs der Provin; Schantung, Tschang Yao, gest. 22. Aug. 1891. Er war einer der wohlwollendsten Beförderer westländischer Kultur. In den 70er Jahren war er Höchstkommandierender der Kwantung-Truppen, 1881 wurde er Gouverneur von Sinkiang, 1885 Gouverneur von Kuangsi, 1886 Gouverneur von Schantung. Sein größtes Verdienst besteht in Versuchen zur Regulierung des Flußlaufes des Huangho (Gelber Fluß). Seit 1888 fungierte er auch als assistierender Direktor der Admiralität zu Peking, und seine freimütige Kritik des großen Flottenmanövers, das im Frühjahr 1891 unter dem Kommando des Vizekönigs Li Hungtschang im Golf von Petschili stattfand, scheint auf fruchtbaren Boden gefallen zu sein. Der Nachfolger dieses verdienten Staatsmannes, der sichere Anwartschaft auf die höchsten Ämter des Reiches hatte, und der, erst 50 Jahre alt, infolge eines Karbunkels unerwartet schnell dahingerafft wurde, ist Fujun, der bisherige Schatzmeister der Provinz, ein Mongole.

Die beiden bedeutendsten noch lebenden und der Fortschrittspartei angehörenden Staatsmänner sind die schon in unserm vorjährigen Bericht genannten Generalgouverneure Li Hungtschang und Tschang Tschihtung. Eine der neuesten Schöpfungen des erstern ist der Kriegshafen Port Arthur in der Provinz Liantan, der zum Schutze der Mündung des Peihoflusses und somit von Peking und Tientsin dienen soll. Die Arbeiten wurden im Laufe von 5 Jahren ausgeführt, die starken Befestigungen sind größtenteils mit Kruppschen Geschützen armiert; der Hafen ist als Hauptstation des Peiyang oder Nordgeschwaders bestimmt. Tschang Tschihtung wurde schon oben bei der Eisenbahnfrage erwähnt, deren mächtigster Beförderer er geworden ist. Zur Ausführung seines Lieblingsplanes, das Material für den Eisenbahnbau 2c. aus heimischen Quellen zu liefern, hat er in Wutschang große Stahl- und Eisenwerke einrichten lassen, die aber für den gedachten Zweck noch keineswegs ausreichen.

Der Außenhandel Chinas hat in den letzten Jahren einige nicht unbedeutende Veränderungen erlitten durch den Rückgang der Einfuhr von Opium und der Ausfuhr von Thee, was sich aus den Berichten des statistischen Bureaus der Seezölle ergibt. Als Hauptgrund für den Rückgang der Opiumeinfuhr ist der Mitbewerb des einheimischen Produkts zu betrachten, das viel billiger ist als das fremde.

Auch nationale Unglücksfälle, wie die Überschwemmungen und Dürren 1888, wodurch ein Teil der Bevölkerung verarmte, haben eingewirkt; außerdem wird viel Opium nach der Provinz Kuangtung eingeschmuggelt. Zur Preisvergleichung des fremden