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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Delos (Ausgrabungen)

Hafens, teils auch wegen des berühmten Heiligtums. So geht Aschines von Athen über D. nach Rhodos, Cicero von Athen über Syra und D. nach Samos und Ephesos. Im Mithridatischen Kriege blieben die Delier den Römern treu, ernteten aber übeln Lohn; denn die Insel wurde 88 v. Chr. durch die Feldherren des Mithridates völlig verwüstet. Sulla eroberte sie zwar 87 wieder und versuchte die alte Blüte wiederherzustellen, jedoch ward D. durch die während der Bürgerkriege stark gewordenen Piraten Vielfach geplündert; 69 wurden durch Athenodoros ihre Heiligtümer zerstört, ihre Einwohner in die Sklaverei geführt. Seitdem war es mit D., welches in sich keinerlei Hilfsquellen hatte, vorbei. Von da an teilt D. das Geschick aller griechischen Ruinenstätten im Mittelalter: seine Bauten bildeten einen unerschöpflichen Steinbruch für die bevölkerten Nachbarinseln, seine Statuen wurden verschleppt oder zu Kalk verbrannt, soweit sie nicht allmählich die schützende Decke des Trümmerschutts verdeckte und dadurch erhielt. Die Wiederaufdeckung der Reste des Altertums ist das Verdienst der Franzosen, welche hier unter Leitung des französischen archäologischen Instituts zu Athen von 1873 bis 1889 fortgesetzt gegraben und über die Resultate in ihrer Zeitschrift »Bulletin de correspondance hellénique« berichtet haben. Die Ausbeute war groß:

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ca. 60 Gebäude, eine große Anzahl von Statuen von den ältesten Zeiten der griechischen Kunst an bis zu den spätesten, eine ganz besonders große Anzahl (über 2000) von Inschriften, darunter mit die größten, welche existieren (Schatzverzeichnisse von Tempeln). Endlich gelang es auch, den Situationsplan des ganzen Heiligtums zu rekonstruieren und ein Bild voll fast verwirrender Mannigfaltigkeit der Tempel, Säulenhallen, Altäre, Vorratshäuser (Thesauren), Fußgestelle von Weihgeschenken etc. zu gewinnen (s. Plan).

Unter den Statuen steht in erster Linie eine ganze Reihe altertümlicher Skulpturen; voran die Marmorstatue der Naxierin Nikandra. Sie sieht aus wie ein runder, noch dazu abgedrehter Baumstamm, in den die Falten des Gewandes als senkrechte, Linien eingraviert sind (7. oder 6. Jahrh.). Solcher säulenartiger Gestalten wurden mehrere entdeckt. Ihnen zur Seite stehen die brettartigen Figuren, wie aus einer dicken, vierkantigen Bohle herausgearbeitet, aber so, daß der Eindruck des flachen Brettes bleibt. Das hervorragendste Denkmal dieser ältesten Kunst ist die Nike des Archermos, mit der ältesten bekannten griechischen Künstlerinschrift. Wer dabei an die herrlichen Siegesgöttinnen von der Nikebalustrade von Athen denkt, wird sich arg enttäuscht finden. Die Figur des Archermos soll eine

^[Abb.: Plan der Ausgrabungen auf Delos, nach H. P. Nénot (im »Guide Joanne«).]