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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Deutschland (Geschichte)

Karabiner 88. 4) Feldartillerie: Feldgeschütz C/73/88 (das bisherige schwere Feldgeschütz) sowohl fahrende als reitende Batterien; Unteroffiziere, Trompeter, Fahnenschmiede, Fahrer der fahrenden Batterien und alle Mannschaften der reitenden Batterien: Artilleriesäbel und Revolver 83; die Fußmannschaften der fahrenden Batterien: Infanterieseitengewehr u/M und Revolver 83 (eingeführt 1891). 5) Fußartillerie: Feldwebel und die Chargen gleichen Ranges: Artillerie-Offiziersäbel und Revolver 83; Unteroffiziere und Gemeine: Karabiner 88 (eingeführt 1891) und Infanterieseitengewehr 71. 6) Pioniere: wie Infanterie, jedoch Pionierfaschinenmesser 71. 7) Eisenbahnregiment und Luftschifferabteilung: wie Pioniere. 8) Train: Unteroffiziere und berittene Mannschaften: Artilleriesäbel (auch Kavalleriesäbel A/M) und Chassepotkarabiner, bez. Karabiner 71, die als Fußmannschaften ausgerüsteten Trainsoldaten: Infanterieseitengewehr u/M. Die eingeführten neuen Regimentsnamen s. im besondern Artikel.

Über die politischen Parteien im Reichstag vgl. den Artikel »Volksvertretung«.

Geschichte.

Die Verhandlungen des Reichstags traten im Frühjahr 1891 an Nichtigkeit hinter denen des preußischen Abgeordnetenhauses über die bedeutungsvollen Reformgesetze zurück. Außer dem rechtzeitig vor 1. April zum Abschluß gebrachten Reichshaushaltsetat, in welchem die Unteroffiziersprämie bewilligt, die Forderungen für die Marine aber erheblich beschnitten wurden, und einem geringfügigen Nachtragsetat wurden ein neues Zuckersteuergesetz u. eine Branntweinsteuernovelle genehmigt. Die Verhandlungen über das Arbeiterschutzgesetz zogen sich so in die Länge, daß dasselbe erst am Schluß der Session zum Abschluß gebracht werden konnte. Die anfänglichen, weit über die praktische Zulässigkeit hinausgehenden Beschlüsse der vorberatenden Kommission wurden im Plenum durch vertrauensvolles Zusammenarbeiten der Regierungen und sämtlicher Parteien, außer der sozialdemokratischen, so umgestaltet, daß die bei den Arbeitgebern erweckten Besorgnisse beschwichtigt wurden. Die seit Jahren vom gesamten Reichstag verlangten gesetzlichen Beschränkungen der Kinder-, Frauen- und Sonntagsarbeit waren nun erreicht (vgl. den Artikel »Arbeiterschutzgesetzgebung«). Eine Krankenkassengesetznovelle wurde zu beraten angefangen, aber nicht beendigt. Um nun aber die Arbeit der Einzelberatung nicht wieder von vorn beginnen zu müssen, wurden die Sitzungen des Reichstags nicht geschlossen, sondern 9. Mai durch eine kaiserliche Botschaft bis 10. Nov. vertagt. Der nicht lange nachher veröffentlichte Finalabschluß der Reichshauptkasse für 1890/91 ergab einen günstigen Stand der Reichsfinanzen. Trotzdem die Kosten des Reichsheers 13,717,000 Mk. mehr betrugen, als veranschlagt war, ergab der Reichshaushalt des Etatsjahres 1890/91 einen Überschuß von 15,148,201 Mk.; außerdem aber wurden 378,826,000 Mk. (80,316,000 Mk. mehr, als im Etat vorgesehen) als Mehrertrag der Zölle und der Tabaksteuer an die Bundesstaaten überwiesen. Die Befürchtungen, welche man nach dem harten Winter und dem ungünstigen Frühjahr hinsichtlich der Ernte hegte, und derentwegen von den Deutschfreisinnigen und Sozialdemokraten die sofortige Aufhebung oder wenigstens die Suspension der Getreidezölle immer wieder, freilich vergeblich, gefordert wurde, erwiesen

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sich als übertrieben. Nur die östlichen Provinzen Preußens hatten bei der Ernte einen erheblichen Ausfall, besonders an Roggen. Trotzdem und trotz der verschärften Schutzzollgesetze mehrerer Staaten, namentlich Nordamerikas, war die Lage der Landwirtschaft und Industrie leidlich; der Handel der Nordseehäfen blieb im Aufschwung.

Die äußere Lage des Deutschen Reiches wurde durch die Erneuerung des Dreibundes mit Österreich und Italien befestigt. Dieselbe srfolgte im Juni 1891, nachdem 1890 in D. und 1891 in Italien ein Wechsel in der Person der leitenden Staatsmänner stattgefunden hatte. Die Verhandlungen zwischen Kalnoky, Caprivi und Rudini führten bald zum gewünschten Abschluß, und wenn auch die Einzelheiten der geschlossenen Verträge geheim blieben, so konnte doch die auch vom Kaiser Wilhelm vor seiner Abreise nach Norwegen mitgeteilte Thatsache des erfolgten Abschlusses als ein neuer Beweis dafür gelten, daß die drei Mächte ihre Kraft für die Erhaltung des Friedens einzusetzen entschlossen waren. Auch die Reise des Kaisers nach England, wo er in London glänzend empfangen wurde, sollte dazu dienen, das Vertrauen auf die friedlichen Absichten des Dreibundes, besonders des Deutschen Reiches, zu bestärken. Der Besuch der französischen Flotte in Kronstadt, ihr enthusiastischer Empfang daselbst und das Verhalten des Zaren dabei schienen die Gerüchte von dem Abschluß eines förmlichen Bündnisses zwischen Rußland und Frankreich zu bestätigen. Indes die deutsche Reichsregierung ließ sich dadurch nicht in ihrer ruhigen Zuversicht auf Erhaltung des Friedens beirren. Der Reichskanzler erklärte vielmehr 27. Sept. in Osnabrück, als sich ihm eine Gelegenheit zu einer Äußerung bot, daß die Annäherungen der Staaten in neuester Zeit kein Grund zu Befürchtungen, sondern nur ein Ausdruck schon bestehender Verhältnisse und vielleicht nichts andres seien, als die Feststellung eines europäischen Gleichgewichts, wie es früher bestanden habe. Und während das französische Volk, seine Presse und seine Politiker in hochtrabenden Phrasen über das russische Bündnis und die Wiedererlangung des Frankreich gebührenden Ranges schwelgte, hob die Reichsregierung den Paßzwang in Elsaß-Lothringen (s. d.) auf.

Im Oktober 1891 fand wiederum ein sozialdemokratischer Parteitag in Erfurt statt, um ein neues Programm festzustellen. Der Entwurf desselben ließ die letzten Ziele der Sozialdemokratie unerörtert und enthielt nur eine Reihe von Forderungen für das Volk im allgemeinen und den Arbeiterstand im besondern, welche auch ohne Zertrümmerung der bestehenden Gesellschaft verwirklicht werden könnten. Durch ihre Mäßigung wollte die Sozialdemokratie beweisen, daß das Sozialistengesetz überflüssig war. Indem die Führer der Partei in dunkeln Redewendungen den baldigen Sieg der sozialdemokratischen Sache verkündeten, um immer größere Massen für sich zu gewinnen, suchten sie vor allein die Macht im Staate, auf welche Weise immer, an sich zu bringen und schüttelten daher unruhige, anarchistische Elemente, welche die Taktik des Vorstandes zu stören suchten, von sich ab. Das Programm wurde fast einstimmig angenommen.

Der Reichstag trat 17. Nov. 1891 wieder zusammen, um seine 9. Mai unterbrochenen Arbeiten fortzusetzen. Der Wiederbeginn der Sitzungen erfolgte daher auch ohne jede Förmlichkeit, und der Reichstag trat sofort in die laufenden Geschäfte ein, indem er die zweite Beratung des Krankenkassengesstzes vor-