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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Eisenbahnbetriebsleistungen (im allgemeinen und in Preußen)

zu ersehen, daß die Art der Heizung durch Elektrizität sehr kostspielig werden würde, was ja auch schon ohne weiteres daraus einleuchtet, daß von der Wärme, die direkt durch die Verbrennung der Kohlen frei wird, infolge der mehrfachen Umwandlung (erst in mechanische Arbeit in der Dampfmaschine, dann in Elektrizität, dann wieder zurück in Wärme) sehr große Verluste entstehen werden. Eine Heizung mit Elektrizität wird erst denkbar sein, wenn man diese auf andre Weise, als mittels Maschinen, bedeutend billiger erzeugen kann. Vgl. die folgenden Artikel.

Eisenbahnbetriebsleistungen. Die hauptsächlichste Aufgabe einer gut verwalteten Eisenbahn besteht darin, neben der Erreichung der denkbar größten Betriebssicherheit (s. S. 222) den steigenden Anforderungen des Verkehrs in Bezug auf die Personen- und Güterbeförderung unausgesetzt zu folgen. Das deutsche Eisenbahnsystem, das 1828 kaum 68 km Kohlenbahnen umfaßte, wies schon 18384 mit Lokomotiven betriebene Eisenbahnen von im ganzen 383 km Länge auf, 1848 schon 4365 Km, 1858: 11,850 km und 1868 ungefähr 25,000 km, die damals bereits mit 5600 Lokomotiven und 150,000 Wagen aller Art betrieben wurden. Dieses große Werkzeug seiner zeitgemäßen Kultur konnte sich Deutschland mit seinen schwachen Hilfsquellen nur schaffen, sobald es Bedürfnis geworden war, und abgesehen von ganz geringen Irrtümern zur Zeit der großen Privatbahnbauten, ist thatsächlich der Ausbau des sich stetig weiter verzweigenden Eisenbahnnetzes lediglich dem Bedürfnis folgend vor sich gegangen, und sämtliche Bahnen haben bald nach ihrer Übergabe an den öffentlichen Verkehr ihre Betriebsleistungen zu immer größerer Höhe steigern müssen. Aber was bis 1868 geschehen war, kann erst als Anfang angesehen werden, denn in den folgenden 20 Jahren ist ein erheblich weiterer Schritt geschehen. Üm die Betriebsleistungen und den Verkehr, über welche weiter unten nähere Angaben erfolgen, zu verstehen und im Verhältnis zu der Größe der Bahnen richtig beurteilen zu können, ist es notwendig, die gegenwärtige Gesamtlänge der Eisenbahnen der gesamten Erde zusammenzustellen und damit einige kurze Längenvergleiche zu verbinden, woran sich Schlüsse auf die weitere Entwickelung der Eisenbahnnetze anschließen lassen.

Die Eisenbahnen der gesamten Erde betrugen Ende des Jahres 1890: 595,767 km, d. h. ungefähr das 15fache des Erdumfanges am Äquator und 200,000 km mehr als die mittlere Entfernung des Mondes von der Erde. Im vorletzten Jahrzehnt unsers Jahrhunderts sind hinzugekommen 245,731 km; diese gleiche Zunahme für das letzte Jahrzehnt angenommen, wird die Gesamtlänge der Eisenbahnen der Erde am Ende des Jahrhunderts betragen: 840,000 km, d. h. mehr als das 21fache des Erdumfanges und mehr als das Doppelte der Entfernung des Mondes von der Erde. Wie sich die Eisenbahnlängen im I. 1888 auf die einzelnen Staaten verteilten, zeigt die Tabelle in Bd. 18, S. 220 u. 221.

Die Vereinigten Staaten von Nordamerika bauen in jedem Jahr ungefähr ebensoviel Kilometer Eisenbahnen, wie die ganze übrige Erde zusammen, und etwa 20mal mehr als der preußische Staat.

Um ein richtiges Bild der Betriebsleistungen in Bezug auf die Einnahmen und die prozentuale Verzinsung der Anlagekosten zu erhalten, gibt die nachstehende Tabelle das Gesamtanlagekapital und das Anlagekapital reduziert auf 1 km Bahnlänge für die Hauptstaaten und die gesamten Bahnen der Erde. Es beträgt das statistische Anlagekapital der Bahnen in:

Deutschland 10259015000 Mk. und 252268 Mk. auf 1 km

Österreich-Ungarn 6098170000 249922

England 17531903000 546369

Frankreich 11189610000 319575

Rußland 7095600000 263100

Italien 2431666000 237630

Belgien 1027298000 320930

Schweiz 850438000 282537

Gesamt-Europa 59948269000 306382

Verein. Staaten 43373346000 167909

Die übrigen Erdteile zusammen 54217593000 162399

Die ganze Erde: 128466000000 215700

Das gesamte Anlagekapital aller Eisenbahnen der ganzen Erde betrug Ende 1890 rund 128,5 Milliarden.

Aus vorstehender Tabelle ergibt sich auch, daß die Vereinigten Staaten von Nordamerika bei weitem am billigsten und England bei weiten: am teuersten bauen, während Deutschland und Österreich-Ungarn sich am meisten dem Gesamtdurchschnitt nähern.

Im J. 1890 wurde der gesamte Verkehr auf den preußischen Staatsbahnen mit 9118 Lokomotiven u. 201,283 Wagen aller Art bewältigt. Von der Gesamtzahl der Wagen entfallen auf Personenwagen 14,597 Stück mit zusammen 648,249 Sitz- und Stehplätzen, auf Gepäckwagen 3957 Stück, auf Güterwagen 182,729 Stück. Außerdem waren der Postverwaltung gehörige 987 Stück Postwagen vorhanden. Die Beschaffungskosten dieser Betriebsmittel betrugen bei den Lokomotiven im ganzen 400,431,042 Mark und für 1 Stück 43,917 Mk., bei den Personenwagen 125,857,706 Mk. und für 1 Stück 8621 Mk., bei den Gepäckwagen 25,378,354 Mk. und für 1 Stück 6388 Mk., und bei den Güterwagen 521,525,353 Mk. und für 1 Stück 2854 Mk. Die Gesamtbeschaffungskosten für Lokomotiven u.Wagen betrugen 1,073,192,455 Mk. Im J. 1890 fand an Betriebsmitteln folgender Zu- und Abgang statt: Neu beschafft wurden an Lokomotiven 531 für 17,728,455 Mk., an Personenwagen 765 für 8,110,740 Mk., an Gepäckwagen 228 für 1,605,341 Mk. und an Güterwagen 10,892 für 28,946,760 Mk., während ausgeschieden wurden 212 Lokomotiven, 128 Personenwagen, 63 Gepäckwagen und 2603 Güterwagen. Es fand somit eine Vermehrung der Betriebsmittel statt um 319 Lokomotiven, 597 Personenwagen, 160 Gepäckwagen und 8289 Güterwagen. Diese Vermehrungen an Betriebsmaterial finden in ähnlichem Umfange, den Bedürfnissen entsprechend, aus den laufenden Mitteln des Betriebsetats und aus den hierfür bei den Baufonds für neue Linien besonders vorgesehenen Mitteln alljährlich statt. Bei dem in den letzten beiden Jahren aber durch den enorm gestiegenen Verkehr hervorgetretenen Wagen- und'Maschinenmangel hat sich eine außergewöhnliche Beschaffung von Betriebsmitteln zur Notwendigkeit gemacht. Es sind deshalb durch Gesetz vom 20. Juni 1891 zur Beschaffung von Betriebsmitteln für die bereits bestehenden Staatsbahnen 53,800,000 Mk. besonders bewilligt worden. Die Beschaffungen aus diesem Fonds haben unter Heranziehung aller leistungsfähigen deutschen Fabriken bereits im Herbst 1891 in vollem Umfange begonnen, und man darf hoffen, daß nach erfolgter Fertigstellung dieser neuen Betriebsmittel und bei weiterer sachgemäßer Ergänzung aus dem laufenden Etat die begründeten Klagen über Wagenmangel verstummen werden. Die wichtigsten Zahlen der Betriebsleistungen auf den preußischen Staatsbahnen in den Jahren 1885-90 sind in nachfolgenden Tabellen dargestellt.