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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Eisenbahnbetriebssicherheit (Brücken, Wagenachsen, Radteile)

Betriebssicherheit der Eisenbahnen herabgemindert würde. Einmal stellen thatsächlich unsre großen Schienenwalzwerke in Deutschland ausgezeichnetes Material her, dann aber sind die Lieferungsbedingungen sämtlicher Eisenbahnen sehr strenge; die Überwachung der Herstellung, die Vornahme der vorgeschriebenen Zerreißungs-, Biegungs- und Bruchproben sowie die gesamte Abnahme zunächst im Werke selbst, sodann auf der Verwendungsstelle erfolgt durch wissenschaftlich vorgebildete und durchaus gewissenhafte höhere Beamte. Außerdem aber haben die Walzwerke stets eine mehrjährige Garantie zu leisten, d. h. sie müssen für alle Walzfehler, ganz besonders aber für alle Schienenbrüche, die innerhalb dieser Zeit gefunden werden, derart haften, daß sie kostenfrei eine neue Schiene liefern und die alte beseitigen müssen. Bei den preußischen Staatsbahnen beträgt zur Zeit die Dauer der Garantiezeit 5 Jahre. Außerdem trägt für das rechtzeitige Auffinden von Schienenbrüchen sehr viel die bei allen Bahnen übliche Bestimmung bei, daß diejenigen Unterbeamten und Arbeiter (Weichensteller, Bahnwärter, Streckenrevisoren, Bahnarbeiter u. a.), welche einen derartigen Bruch entdecken, eine angemessene Geldprämie erhalten.

Nach amtlichen Ermittelungen sind in den 7 Jahren 1884-91 überhaupt 3,012,903 Stück neue Schienen für die preußischen Staatseisenbahnen geliefert und innerhalb dieses Lieferungsumfanges von je 10,000 Stück 1,8 Stück gebrochen und ersatzpflichtig geworden. Von dem Walzwerk des Bochumer Vereins sind von der obigen Gesamtzahl 329,076 Stück Schienen geliefert, von denen auf je 10,000 Stück 0,724 Stück gebrochen und ersatzpflichtig geworden sind.

Übrigens geht die preußische Staatsbahnverwaltung bereits damit vor, den Oberbau noch erheblich zu verstärken. Es werden jetzt Schienen von 41 kg Gewicht auf das Meter hergestellt, welche 138 mm Höhe, 72 mm Kopfbreite, 110 mm Fußbreite und 14 mm Stegstärke haben. Diese Schienen werden bereits versuchsweise auf einigen Strecken eingelegt. Mit diesen erheblichen Verstärkungen wird ungefähr die vielfach besprochene sogen. Goliathschiene, wie sie in Belgien und England teilweise zur Verwendung kommt, erreicht. Diese Verstärkung geschieht einmal zu noch weiterer Erhöhung der Betriebssicherheit, dann aber wegen der in Aussicht stehenden Erhöhung der Tragfähigkeit der Güterwagen von 200 auf 300 Ztr. und der damit verbundenen Vergrößerung der Wagenraddrucke.

Wenn naturgemäß derartige Verbesserungen nur nach Lage der hierfür aufzuwendenden Geldmittel allmählich zur Durchführung gelangen können, so kann man doch schon jetzt behaupten, daß die auf den deutschen Bahnen zur Zeit vorhandenen Oberbausysteme den Anforderungen selbst an eine erhöhte Betriebsleistung genügen, und daß in der Beschaffenheit des Oberbaues keine Befürchtung für Betriebsgefährnisse zu finden ist.

Von großer Wichtigkeit ist ferner die allen Anforderungen an die erhöhten Betriebsleistungen der Bahnen genügende Stabilität und Sicherheit der eisernen Brücken. Auch hier sind für die preußischen Staatsbahnen und in ähnlicher Weise auch für sämtliche übrigen deutschen Bahnen Bestimmungen über Prüfung der Projekte in den höchsten Instanzen der Landesaufsichtsbehörden vorgeschrieben. Ferner bestehen Bestimmungen über die Revision und fortlaufende Unterhaltung der Brücken. Über jede einzelne Brücke wird ein Revisionsbuch geführt, aus

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welchem alle Einzelheiten der Konstruktion, Herstellung und Unterhaltung zu ersehen sind. Über jede Revision wird ein Protokoll aufgenommen und dem Revisionsbuch einverleibt. Außer den täglich durch Bahnmeister und Bahnwärter bei ihren Streckengängen vorzunehmenden Beobachtungen finden alljährlich durch den Eisenbahnbauinspektor eingehende Revisionen statt in Bezug auf lose Niete, schadhaft gewordene Verbindungsteile, Auflockerungen der Lagersteine und des Mauerwerks überhaupt, tadellosen Ölfarbenanstrich etc. Die gefundenen Mängel werden sofort beseitigt. Ferner müssen die vorgesetzten Eisenbahnbetriebsämter mindestens alle 5 Jahre außerordentliche Revisionen mit Belastungsproben und Durchbiegungsmessungen vornehmen, um danach den Gesamtzustand der Brücke zu prüfen und etwanige Erneuerungen einzuleiten. Diese Prüfungen werden in Deutschland sehr gewissenhaft ausgeführt, und es ist auch hier Thatsache, daß durch Brückeneinstürze Unfälle noch nicht herbeigeführt sind. Der im Sommer 1891 in der Schweiz bei Mönchenstein erfolgte Einsturz einer eisernen Brücke über die Birs mit seinen überaus traurigen Folgen steht vereinzelt da und ist Anlaß gewesen, nicht nur in der Schweiz, sondern in allen Staaten des Kontinents verschärfte Bestimmungen über Bau, Konstruktion und besonders Revision der eisernen Brücken zu erlassen, so daß die Wiederkehr eines derartigen Unglücksfalles nicht zu befürchten ist. S. Brücke.

Wenn nun der gute Zustand des Eisenbahnkörpers mit allen Nebenanlagen in erster Linie für die Betriebssicherheit von hoher Bedeutung ist, so ist dies nicht minder der Fall bei den Betriebsmitteln, d.h. bei den Lokomotiven und Wagen. Selbstverständlich sind auch hier bei allen Bahnen eingehende Bestimmungen über Unterhaltung und Revisionspflicht erlassen.

Hinsichtlich der Beschaffung der Achsen und Radteile gilt bei den preußischen Staatsbahnen die Bestimmung, daß für Achsen, Räder, Radreifen, Kurbelzapfen, Trieb- und Kuppelstangen eine zweijährige und für alle übrigen Teile eine einjährige Garantiezeit vorgeschrieben ist. Die Garantiezeit beginnt nach dem ersten Monat der Inbetriebnahme der betreffenden Teile.

Achsenbrüche und Radreifenbrüche lassen sich trotz schärfster Kontrolle und täglicher genauer Revision nicht ganz vermeiden, da hauptsächlich plötzlich eintretende große Kälte den Grund für diese Unfälle abgibt. Die durch den schnellen Temperaturwechsel hervorgerufene starke Zusammenziehung bringt Spannungen, besonders in den Radreifen hervor, denen das Material häufig nicht gewachsen ist. Indessen gehören Achsenbrüche auf der Fahrt zu den Seltenheiten, während Radreifenbrüche wohl häufiger vorkommen, aber nicht allemal eine Entgleisung des betreffenden Wagens bewirken, da einmal der Wagen auf den übrigen gesunden Rädern noch eine Weile, bis zur nächsten Station, läuft, besonders aber weil infolge der neuern, sehr guten Befestigungsart durch Sprengringe das ab- oder angebrochene Stück nicht gleich herabfällt, sondern so lange auf dem Rade festgehalten wird, bis der Wagen auf einer Station ausgesetzt werden kann. Auf sämtlichen Bahnen des Vereins deutscher Eisenbahnen sind an Achsenbrüchen, und zwar zusammengerechnet bei voller Fahrt auf freier Strecke, beim Durchfahren eines Bahnhofs, bei der Revision, bei einem Zusammenstoß oder einer Entgleisung vorgekommen im J. 1886: 159, 1887: 173, 1888: 185 und 1889: 166. Hiervon kommen etwa 1/3 auf volle Fahrt auf freier Strecke.