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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Elektrische Kraftübertragung

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Elektrische Boote - Elektrische Kraftübertragung

keit, mit welcher man gerade fahren will, sämtlich hintereinander oder in Gruppen parallel geschaltet. Diese verschiedenen Schaltungen bewirkt ein Umschalter, der mit einer Kurbel od. dgl. bewegt wird. Nachts kann die Batterie zur Beleuchtung des Bootes benutzt werden. Der Betrieb der elektrischen Boote ist überaus einfach, er besteht thatsächlich im Drehen einer Kurbel und Laufenlassen des Fahrzeugs. Die von Immisch u. Komp. in London gebauten, mit Reckenzaunschen Akkumulatoren ausgestatteten elektrischen Boote haben meist eine Länge von 8,40 m bei einer Breite von 1,80 m, sie sind je mit etwa 1000 kg Akkumulator ausgerüstet, welche sie zu einer Fahrt von 96 km bei 10 km in der Stunde befähigen. Ähnliche Verhältnisse weisen die von Woodhouse und Rawson in London gebauten Boote auf, welche gleichfalls die Themse befahren. Auf der Frankfurter elektrischen Ausstellung sah man Zwei e. B. regelmäßige Rundfahrten auf dem Main machen. Das eine von Siemens u. Halske gebaute besitzt eine Batterie von 84 Zellen und einen fünfpferdigen Motor. Bei geladener Batterie und einer Besetzung mit 24 Personen kann man auf stillem Wasser eine fast vierstündige Fahrt machen, ehe das Boot neue Elektrizität aufnehmen muß. Die Geschwindigkeit beträgt 10-12 km in der Stunde.

Die Firma Escher, Wyß u. Komp. in Zürich beschickte ihrerseits die Frankfurter Ausstellung mit einem elektrischen Fahrzeug, welches mit Örlikon-Sammlern ausgerüstet ist und 100 Personen zu fassen vermag. Dessen Länge beträgt 15 m. Die 56 Sammler liegen sämtlich im Kielraum, also nicht wie sonst zum Teil unter den Sitzbänken. Der Elektromotor entwickelt 10 Pferdekräfte und verleiht dem Boot eine Geschwindigkeit von 12 km; der Stromvorrat reicht Zu einer Fahrt von 80 km. Sonst wäre noch in Bezug auf die Verbreitung der elektrischen Boote zu erwähnen, daß die englische Admiralität ein derartiges Fahrzeug für den Dienst ihrer Werft zu Chatham bestellt hat. Dasselbe ist auch zum Segeln eingerichtet. Die elektrischen Fahrzeuge eignen sich in der That als Schiffsbeiboote trotz ihres bedeutenden Gewichts sehr gut, weil sie stets fahrbereit sind und weil die Kriegsschiffe und Handelsdampfer neuerdings stets mit Einrichtungen zur Elektrizitätserzeugung ausgerüstet sind; das Laden der Sammler macht daher keine Schwierigkeiten.

Trouvé in Paris, Vaughan-Sherrin in London u a. haben den Versuch gemacht, die Sammler durch eine Primärbatterie, also durch galvanische Elemente, zu ersetzen, jedoch ohne sonderlichen Erfolg. Allerdings macht das System die Boote unabhängiger, weil die Säuren für die Elemente in jedem größern Ort zu haben sind, doch erwies sich dieser Betrieb als zu teuer und zu umständlich.

Elektrische Kraftübertragung. Die hervorragende Ausbildung der elektrischen Kraftübertragung ließ vor allem die Frankfurter Ausstellung erkennen, in erster Linie die Kraftübertragung von Lauffen a. Neckar nach Frankfurt a. M. (eine Entfernung von 175 km). In Lauffen war eine Turbine aufgestellt, welche mittels Zahnradübersetzung eine Drehstrommaschine von ca. 300 Pferdekräften trieb. Sie war von dem Ingenieur Brown der Maschinenfabrik Örlikon konstruiert und besaß die in Fig. 10 der Tafel »Elektrische Maschinen« gekennzeichnete Schaltung und ein Magnetsystem von 32 Polen, wie in dem angeführten Artikel beschrieben ist. Die Maschine lieferte elektrische Energie von niederer Spannung (50 Volt); diese wurde mittels

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Mehrphasenstrom-(Drehstrom-)Transformatoren auf hohe Spannung gebracht und mittels blanker Leitungen, die an Ölisolatoren (s. Elektrische Leitungen) und auf Stangen (sogen. Originalgestänge) befestigt waren, oberirdisch bis Frankfurt a. M. geführt. Dort wurde die Energie hoher Spannung mittels Transformatoren auf 50 Volt transformiert und zur Beleuchtung und Kraftübertragung verwendet. In der Ausstellung zur Frankfurt a. M., in der Nordwestecke der Verteilungshalle, wurde die der Wasserkraft des Neckars ^[im Faksimile Nekkars - alte Silbentrennung] entnommene Energie nutzbar gemacht. Einesteils diente sie zur elektrischen Illumination der Firmaschilder der beiden Unternehmer, nämlich der Maschinenfabrik Örlikon und der Allgemeinen Elektrizitätsgesellschaft (Berlin), anderseits wurde sie mittels eines 100pferdigen Dreiphasenmotors mit Zentrifugalpumpe in ihre ursprüngliche Gestalt, und zwar in einen feenhaft beleuchteten, prächtigen Wasserfall übergeführt, und so erzeugte die Wasserkraft am Neckar eine zweite Wasserkraft: einen Wasserfall zu Frankfurt a. M. Nicht weniger als 530,000 m Kupferdraht von 4 mm Durchmesser wurden zur Leitung benötigt, was einem Gewicht von ca. 60,000 kg Kupfer gleichkommt und einen ungefähren Wert von 120,000 Mk. repräsentiert. Die Befestigung dieser Leitungen beanspruchte ca. 3000 Leitungsstangen mit ca. 9000 Ölisolatoren. Die Kraftübertragung Lauffen-Frankfurt a. M. hatte schon beim ersten Auftauchen des Projekts ein begreifliches Aufsehen erregt; namentlich wurde allenthalben die Frage erörtert, ob sich so gewaltig hohe Spannungen, ohne welche eine Energieübertragung mit relativ dünnen Leitungen auf so beträchtliche Entfernungen undenkbar ist, auch betriebssicher isolieren lassen - dies war die Kardinalfrage. Das Ergebnis hat gezeigt, daß selbst bei den ungünstigsten Witterungsverhältnissen die Übertragung tadellos und ohne Verluste infolge von Erdableitungen vor sich ging, obwohl man die Spannung bis zu 22,000 Volt steigerte. Ungeachtet der großen Entfernung wurden von 100 Pferdekräften zu Lauffen 70 bis nach Frankfurt a. M. gebracht. Dieser großartige Erfolg hat neuerdings die Amerikaner veranlaßt, für die Chicagoer Weltausstellung (1893) eine Energieübertragung von den Niagara-Fällen nach Chicago (eine Entfernung von 800 km) zu planen. Es bestehen zwei Projekte, von welchen das eine die Übertragung mit Mehrphasenstrom ins Auge faßt, während das andre Gleichstrom von etwa 30,000 Volt verwenden will. Das erste Projekt rührt von der Maschinenfabrik Örlikon her, das zweite von dem Ingenieur Turetini. Letzterer will die hohe Gleichstromspannung dadurch erzeugen, daß er zehn Gleichstrommaschinen zu 3000 Volt hintereinander schaltet. Dieses System ist unzweifelhaft das schwierigste, um nicht zu sagen das bedenklichste. Jedenfalls würde aber die Ausführung desselben Klarheit darüber bringen, ob man bei Gleichstrom auf die angegebene Weise betriebssicher solche Spannungen erzeugen kann - dies wird vorläufig von den bedeutensten Ingenieuren noch verneint.

Die unmittelbare Folge der Lauffeuer Kraftübertragung war, daß alles, was nur einigermaßen nach einer Wasserkraft aussah, sofort als ein großes Wertobjekt angesehen wurde und demgemäß im Preise stieg. Hierdurch aber werden meistens die Vorteile einer Fernübertragung derart verringert, daß sie gegen Dampfmaschinenbetrieb an Ort und Stelle unterliegen müssen. Die Kohlen sind denn doch noch nicht so teuer, und eine Wasserkraft bietet um so weniger Vorteile, je höher ihr Preis und je weiter sie von der