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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Erdbeben (Fortschritte der Seismologie).

geordneter Bedeutung umgeben werden. Die Beobachtungen erstrecken sich nicht bloß auf die seismischen Erscheinungen, sondern umfassen in gleicher Weise die eruptiven Vorgänge wie alle Veränderungen, welche an den Thermalquellen sich bemerkbar machen. Als erste Frucht dieser erneuten Thätigkeit ist die Übersicht zu verzeichnen, welche Taramelli von der Verbreitung der E. in Italien geliefert hat. Auf Grund derselben ist es möglich, das ganze Gebiet in bestimmte seismische Provinzen zu zerlegen; die beigedruckte Karte (Fig. 1, S. 267) läßt in sechs verschiedenen Schattierungen die seismische Intensität der verschiedenen Gegenden erkennen.

^[Fig. 2. Die peripherische Linie der Liparen (nach E. Sueß).]

Vergleicht man diese Karte der Verbreitung der E. mit einer geologischen Karte der betreffenden Gegend, so tritt vor allem die innige Beziehung hervor, welche zwischen den Erderschütterungen einerseits und der Gesteinsart sowie dem Relief des Bodens anderseits besteht. Mittelpunkte hoher seismischer Thätigkeit finden sich im N. bei Siena, Florenz und in dem alluvialen Gebiete der Pomündungen. Ein andres Zentrum liegt in Umbrien, das weiter südlich in den Abruzzen mit der höchsten Erhebung der Apenninen zusammenfällt. Neapel und Melfi sind zwei vulkanische Zentren, zwischen denen die Zone von Benevent und Ariano liegt, in welcher verhältnismäßig junge Gesteine in metamorphosiertem Zustand vorkommen; die südliche Fortsetzung dieser Zone bildet die Gegend von Potenza. Die südwestliche Halbinsel Kalabrien bildet mit der gegenüberliegenden Spitze von Sizilien eine zusammengehörige und einheitlich gebaute Zone (Fig. 2).

Die Westküste der Halbinsel wird von Gneis- und Granitmassen umsäumt, die zum Meer steil abgebrochen sind. Im N. ist es der Monte Cocuzzo, der landeinwärts vom Längenthal des Crati von der Gebirgsmasse der Sila getrennt wird. Gegen S. sind die aus Gneis bestehenden Höhen des Kap Vaticano und die granitischen Klippen der Scylla abgesunkene Bruchstücke des Aspromonte, welcher sich mit schroffem Abfall über dieselben erhebt. Aus Granit besteht auch die Nordostspitze von Sizilien, alles Trümmer eines einst zusammenhängenden Gebirgskerns, dessen hauptsächlichster Bruchrand gegen die Liparischen Inseln gerichtet ist. Dieser Bruchrand war 1783 einige Monate hindurch der Sitz einer heftigen seismischen Thätigkeit; die Erschütterungen pflanzten sich gegen S., W. und N. fort, aber nur wenig gegen O. über den Bruchrand hinaus. Diese Zone ist jedoch nur ein Teil einer großen Kurve, welche fast im Kreisbogen die Liparischen Inseln gegen S. und O. umgibt. Dieselbe verläuft östlich vom Monte Cocuzzo durch das Cratithal, dann längs der Dislokation des Aspromonte und jenseit der Straße von Messina zum Ätna. Außer dieser peripherischen Linie ist in derselben Gegend eine Anzahl andrer Stoßlinien bekannt, welche strahlenförmig von den Liparen ausgehen, und auf denen die Erschütterungen meistens von den Liparen nach außen, und zwar bis an oder auch über die peripherische Linie gerichtet sind. Der Schnittpunkt dieser Stoßlinien südlich von Stromboli, der gleichzeitig als Mittelpunkt der peripherischen Erdbebenlinie angesehen werden kann, fällt nun mit einer Gruppe von kleinen Inseln innerhalb der Liparen zusammen, welche die Trümmer eines einzigen mächtigen Kraters ausmachen. Von dieser Gruppe gehen drei radiale Linien aus, die mit Ausbruchsstellen der Liparen besetzt sind. Es liegt nahe, diese radialen Vulkanlinien mit den radialen Stoßlinien in Verbindung zu bringen, und zwar in der Weise, daß man annimmt, der von der peripherischen Linie abgegrenzte Raum sinkt schüsselförmig ein, dabei entstehen radiale Sprünge, welche gegen die Liparen konvergieren und in der Nähe des Zentrums mit vulkanischen Ausbruchsstellen besetzt sind.

Wie wenig ausgebildet die Seismologie als exakte Wissenschaft ist, beweist der Umstand, daß die Seismologen über die wichtigsten Begriffsbestimmungen durchaus nicht einig sind, so z. B. in betreff des bedeutendsten seismischen Elements der Intensität eines Erdbebens. Geht man von der Voraussetzung aus, daß die Zerstörung eines Gebäudes proportional der Beschleunigung ist, die durch den Erdbebenstoß in einer mit der Erdoberfläche verbundenen Masse erzeugt wird; nimmt man ferner an, daß die Bewegung bei einer Erdbebenwelle eine einfache harmonische ist, so ist die Intensität I = V² / a = (4π²a) / t², wobei a = Amplitude, t = Periode der größten Welle ist, V = (2πa) / t die Geschwindigkeit bedeutet. Mechanisch läßt sich die Intensität als der Zerstörungseffekt definieren oder als die größte, von dem Impuls herrührende Beschleunigung. Um einen absoluten Wert der Erdbebenintensität zu erhalten, müßte man I in Bruchteilen der Beschleunigung der Schwerkraft ausdrücken; einfacher ist es jedoch, die Werte von I