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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Fachschulen, gewerbliche (Entwickelung in Preußen 1883-90)

in Preußen kunstgewerbliche Unterrichtsanstalten, Zeichen- und Modellierschulen zu errichten. Der Erfolg ist nicht ausgeblieben; aber freilich ist der Vorsprung, den eine so wohlhabende und kunstsinnige Nation wie die französische einmal gewonnen hat, nicht so rasch einzuholen. Neben der Ausbreitung des kunstgewerblichen Unterrichts ist auch dessen richtige Methode eine wichtige und schwierige Frage, der die Leitung des Fachschulwesens unausgesetzte Aufmerksamkeit widmet. Besonders bedeutsam ist in dieser Hinsicht die richtige Verbindung praktischer Arbeit mit theoretischem Unterricht, der zuliebe man an verschiedenen Orten sogen. Lehrwerkstätten eingerichtet hat. »Die Verbindung des praktischen Unterrichts mit dem Zeichnen und Modellieren an kunstgewerblichen Schulen, in den Klassen für Ziseleure und Bijouteriearbeiter in Hanau und in den Klassen der Dekorationsmaler gewährt den Vorteil, daß Lehrer und Schüler veranlaßt werden, bei den schulmäßigen Übungen und bei ihren Entwürfen die Grenzen innezuhalten, welche die Natur des Stoffes und der Kostenpunkt ihnen zieht, und anderseits auch die Vorteile, welche Technik und Material bieten, auszunutzen. Das Bestreben muß zugleich darauf gerichtet sein, den Betrieb der Lehrwerkstätte dem handwerklichen so ähnlich wie möglich zu gestalten und in den Schülern hier wie bei dem Unterricht im Zeichnen und in der Theorie Überhebung und falschen Künstlerstolz nicht aufkommen zu lassen. Es versteht sich von selbst, daß die Arbeiten der Lehrwerkstätten, soweit dergleichen überhaupt verkaufbar hergestellt werden, auch auf den Markt gebracht werden müssen, weil sonst der Zweck, daß die Schüler für den Markt arbeiten lernen sollen, vereitelt, ihr Interesse an der Arbeit verringert und der Aufwand, den der Unterricht verursacht, erheblich gesteigert werden würde. Durch den Verkauf der Fachschularbeiten sind die Ansprüche, die das Publikum an Schönheit und Güte der Arbeiten stellt, schon mehrfach in erfreulicher Weise allgemein gesteigert worden. Dadurch ist den Gewerbteibenden bewiesen worden, daß auch schönere und sorgfältigere Arbeiten verkäuflich sind. Die Preise der Schularbeiten müssen den allgemeinen entsprechen, um nicht begründete Klagen der Gewerbtreibenden des Faches über die Konkurrenz der Fachschulen hervorzurufen, und die bei ihrer Herstellung beschäftigten Schüler müssen so weit bezahlt werden, wie dies ihren Leistungen entspricht. Es versteht sich von selbst, daß in einer Lehrwerkstätte nicht ausschließlich Anfänger, sondern auch ausgebildete Gehilfen so weit beschäftigt werden müssen, wie dies nötig ist, um an den zum Verkauf bestimmten Gegenständen Arbeiten ausführen zu können, für die das Können der Schüler nicht ausreicht, oder soweit der Lehrer deren als Werkmeister bei Ausbildung der Schüler bedarf.« Bei aller Wertschätzung dieses vereinten theoretisch-praktischen Unterrichts gibt jedoch das Handelsministerium sich nicht der Täuschung hin, daß, wie zuweilen gefordert, die Lehrwerkstätte der Fachschulen heute an Stelle der Lehre in der Einzelwerkstatt eines Meisters allgemein treten könnte.

An Maschinen- und metalltechnischen Fachschulen sind oben sechs gerechnet worden, von denen aber eine (Magdeburg) erst im letzten Jahr ins Leben getreten ist. Die fünf im Winter 1890/91 schon bestehenden derartigen Anstalten zählten damals 312 Schüler (263 Tages-, 49 Abendschüler). Alle diese Anstalten sind sogen. Werkmeisterschulen, die der Ausbildung mederer Fabriktechniker und Vorarbeiter

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dienen. Gerade auf diesem Gebiete aber liegt das anerkannte Bedürfnis vor, auch mittlere technische Beamte gehörig schulmäßig vorzubilden. Die für diesen Zweck vorhandenen sogen. Fachklassen sind, wie oben bemerkt, einigen höhern Lehranstalten als Aufsatz auf den sechsklassigen, bis zur Untersekunda einschließlich und zum Recht auf den Einjährig-Freiwilligendienst führenden Unterbau eingefügt und daher mit den Hauptanstalten unterm Unterrichtsministerium geblieben. Diese Anstalten sind die Oberrealschule zu Gleiwitz mit Fachklassen für Maschinentechniker und Hüttenleute (1890: 21 Schüler); Oberrealschule zu Breslau mit Fachklassen für Maschinenbauer und Chemiker (1891: 42 und 20 Schüler); höhere Bürgerschule (Gewerbeschule) zu Barmen mit Fachklasse für Maschinenbauer (1890: 26 Schüler); höhere Bürgerschule (Realschule) zu Aachen mit Fachklasse für Maschinenbauer (1891: 9 Schüler); höhere Bürgerschule (Gewerbeschule) zu Hagen mit Fachklasse für Maschinenbauer (1891: 80 Schüler). Im ganzen kann man demnach auf diese Klassen 150-180 Schüler rechnen, eine Zahl, die angesichts des Bedürfnisses nicht bloß vermehrt, sondern vervielfacht werden möchte. Indes ist hierin nicht bloß die Verschiedenheit der leitenden Ministerien, sondern auch das Schwanken der Ansichten im Kreise der Interessenten, der deutschen Ingenieure, bisher hinderlich gewesen. Zwar hat die im August 1889 in Karlsruhe abgehaltene Hauptversammlung des Vereins der deutschen Ingenieure eine Vorlage ihrer Schulkommission angenommen, welche einige feste Gesichtspunkte für die künftige Einrichtung der technischen Mittelschulen aufstellt. Es sind die folgenden: »1) Die technische Mittelschule hat die Aufgabe, Leiter und Beamte technischer Betriebe sowie Hilfskräfte für Konstruktionsbüreaus auszubilden. 2) Sie ist als selbständige Lehranstalt vom Staate zu errichten und zu leiten. 3) Der Unterricht erstreckt sich im wesentlichen auf das Gebiet der Maschinentechnik. 4) Für die Aufnahme sind nachzuweisen: a) die wissenschaftliche Berechtigung zum einjährig-freiwilligen Militärdienst, b) eine praktische Thätigkeit von zweijähriger Dauer. 5) Die Schulzeit umfaßt 2 Jahre in zwei Lehrkursen von einjähriger Dauer; die grundlegenden Wissenschaften, Mathematik 2c., sind als Lehrgegenstand im ersten Jahr zu erledigen.« Aber diese Beschlüsse haben nicht überall einmütigen Beifall in den Einzelvereinen gefunden, begegnen außerdem auch im Handelsministerium unerledigten Bedenken, z. B. hinsichtlich der als Bedingung des Eintritts geforderten zweijährigen Praxis. Der Handelsminister hat sich daher einstweilen begnügt, im Verband mit der maschinentechnischen Werkmeisterschule zu Dortmund probeweise eine Mittelschule nach dem Programm des Vereins zu errichten.

Als Gesamtzahl aller in den Fachschulendes Handelsministeriums unterrichteten Schüler ergibt die der Denkschrift beigefügte Übersicht 10,088, darunter 3290 Tagesschüler, 6798 Abend- und Sonntagsschüler. Daß das für diesen Zweig des Staatslebens in der großen preußischen Monarchie verantwortliche Ministerium damit sich nicht begnügen will und kann, ist ohne weiteres klar. Das Mißverhältnis dieser Zahlen zu der Bevölkerungsziffer würde noch greller hervortreten, wenn nicht in der Denkschrift jede vergleichende Heranziehung statistischer Angaben aus dem Auslande wie aus den außerpreußischen Reichsstaaten vermieden worden wäre.

Wenn die Denkschrift zum Schlusse noch die Summen nennt, die im Laufe der nächsten 6 Jahre