Schnellsuche:

Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

316

Fleischhandel (Verkehr mit ausgeschlachtetem Fleisch)

anscheinend keinen Überfluß an exportfähiger Ware. Denn außer minderwertigen Bullen, welche des geringern Zolles wegen gern eingeführt wurden, gelangten sogar ganz wertlose Büffel nach Deutschland. Mastochsen erster Qualität wurden fast völlig vermißt. Nur München erhielt mehr und bessere Ware aus Österreich-Ungarn. Es ist interessant, hier etliche Zahlen anzugeben: November 1890 wurden aus Österreich-Ungarn nach Deutschland 14,282, im Februar 1891 wegen der geringern Nachfrage nach Fettschweinen nur 3666 und im Juni d. J. nur 2472 Schweine eingeführt. Dagegen erreichte die Einfuhr der magern Russen in einem halben Monat (15.-28. Febr.) bereits die Höhe von 3363 Stück. Über Korsör nach Kiel gingen im ersten halben Jahre 1891 an Großvieh 11,764, an Kleinvieh 112 und an Schweinen 18,066 Stück. Im J. 1887 dagegen hatte sich die monatliche Schweine-Einfuhr auf ca. 8000 Stück belaufen.

Unter diesen Umständen war es ganz erklärlich, daß man von gewerblicher Seite dahin strebte, den thatsächlichen Überfluß von guten Schlachtrindern, welchen Amerika aufzuweisen hat, auch für Deutschland nutzbar zu machen. Amerika versieht den größten Teil Englands mit Fleisch. England bezahlt durchschnittlich höhere Preise für Fleisch als Deutschland, so daß trotz der 70 Mk. Transportkosten, welche auf ein Rind entfallen, der amerikanisch-englische Viehhandel immer noch ein recht lohnendes Geschäft bildet. Im Oktober 1890 z. B. wurden nicht weniger als 40,000 Stück Hornvieh aus den Vereinigten Staaten und Kanada nach London verbracht. Die Fleischpreise in Deutschland waren nun dermaßen in die Höhe gegangen, daß der Versuch thatsächlich gemacht wurde, amerikanische und zwar zuerst nordamerikanijche Rinder nach Deutschland einzuführen. Diese Einfuhr stieß aber auf eine bedeutende Schwierigkeit: die amerikanischen Rinder durften nicht unmittelbar nach ihrer Ankunft in Deutschland verkauft werden, sondern mußten erst eine vierwöchige Quarantäne in Tönning durchmachen. Die Quarantäne verteuerte durch Futterkosten (ca. 30 Mk. das Stück) die Transporte dermaßen, daß von einer weitern Einfuhr amerikanischer Rinder endgültig abgesehen worden wäre, wenn sich die Regierung nicht entschlossen hätte, die Quarantäne in Tönning fallen zu lassen. Die amerikanischen Rinder dürfen jetzt in Hamburg und Altona, ähnlich wie es in dem englischen Hafenorte Deptford bei London der Fall ist, sogleich in den öffentlichen Schlachthäusern abgeschlachtet werden. Neuerdings wurde sogar einem Transport südamerikanischer Ochsen erlaubt, daß derselbe in amtlich verschlossenen Eisenbahnwagen in das Binnenland (nach Berlin) von Hamburg aus versandt wurde. Rinder vertragen den Seetransport im allgemeinen recht gut, während Schweine demselben in großer Zahl erliegen. Deswegen ist auch die Einfuhr überseeischer Schweine in lebendem Zustand nicht durchführbar. Die Rinder kommen trotz der 10-16 tägigen Seereise fast durchweg in einem verhältnismäßig guten Ernährungszustand aus Nordamerika an; Todesfälle ereignen sich, stürmische Überfahrten ausgenommen, nur selten.

Die nordamerikanischen Rinder sind eine vorzügliche Schlachtware (Shorthornkreuzung) und erfreuen sich eines ganz besonders guten Gesundheitszustandes. Die Tuberkulose, welche in unsern Beständen in ganz bedeutendem Grade verbreitet ist (bis zu einem Drittel der ganzen Bestände), kommt bei den amerikanischen Rindern sehr selten vor. Ebenso ist es mit

^[Spaltenwechsel]

dem Vorkommen der bei uns so häufigen Leberegel und Echinokokken. Deshalb wäre es sehr zu wünchen, daß die Einfuhr amerikanischer Rinder, solange die Not bei uns anhält, möglichst gefördert würde. Der Transport der amerikanischen Rinder geschieht auf besondern Dampfern. Früher vermochte ein Schiff 300-500 Rinder zu spedieren. Jetzt hat die White-Star-Linie einen Dampfer gebaut, welcher 1216 lebende oder 2400 zerlegte Ochsen aufzunehmen vermag. Nach diesem Muster sollen bei zunehmendem Export noch eine größere Anzahl von Schiffen gebaut werden. Die Beifracht dieser Viehtransportdampfer besteht in der Regel aus Heu. In die englischen Häfen pflegen die Schiffe soviel wie möglich davon mitzunehmen, weil sie dort auch für diese Beifracht ein gutes Absatzgebiet finden. Wie bereits erwähnt, stellen sich die Transportkosten für ein nordamerikanisches Rind nach Deutschland auf etwa 70 Mk.

Der Transport aus Südamerika, welches neuerdings seinen Rinderreichtum auch in Europa zu verwerten sucht, stellt sich wegen der erheblich längern Seereise beträchtlich teurer. Jedoch gleicht sich dieser Unterschied durch den viel geringern Einkaufspreis der südamerikanischen Rinder wieder aus. Die Südamerikaner stehen an Qualität den Nordamerikanern bedeutend nach, weil für Verbesserung der Rassen anscheinend noch sehr wenig gethan worden ist.

Für den Eisenbahntransport lebender Tiere sind besondere Vorschriften in Deutschland erlassen worden. Der Bundesrat bestimmte durch Erlaß vom 13. Juli 1879, daß die lichte Breite der Transportwagen mindestens 2,4 m betrage. Offene Wagen für Großvieh müssen eine Bordhöhe von wenigstens 1,5 m und für Kleinvieh von 0,75 m besitzen. Die bedeckten Wagen sind mit geeigneten Ventilationsvorrichtungen zu versehen. Bei Festsetzung der größten Zahl der in einem Wagen zu verladenden Tiere ist davon auszugehen, daß Großvieh nicht aneinander oder gegen die Wandung des Wagens gepreßt stehen darf, für Kleinvieh aber genügender Raum, um sich legen zu können, verbleiben muß. Bei Verladung von Groß- und Kleinvieh müssen durch Verschlage 2c. zwei verschiedene Abteilungen hergestellt werden.

Über die zulässige größte Stückzahl der in einen Wagen oder in die einzelnen Abteilungen desselben aufzunehmenden Tiere entscheidet im Streitfall der diensthabende Stationsbeamte. Bei allen Transporten, welche eine Zeit von 24 Stunden und darüber erforden, müssen die Tiere getränkt werden. Das Reichsgesetz vom 25. Febr. 1876, bez. die Festsetzungen des Bundesrates vom 20. Juni 1886, betr. die Beseitigung von Ansteckungsstoffen bei der Viehbeförderung auf Eisenbahnen, schreiben vor, daß jeder Viehtransportwagen nach seiner Entleerung nach einem bestimmten Verfahren gereinigt und desinfiziert werde, bevor derselbe wieder in Gebrauch genommen werden darf.

II. Verkehr mit ausgeschlachtetem Fleisch. Es ist bereits hervorgehoben worden, daß im allgemeinen gegen den Handel mit ausgeschlachtetem Fleische schwere hygienische Bedenken geltend gemacht werden müssen. Indessen werden einzelne Städte und ganze Staaten, welche ihren Bedarf an Schlachtvieh nicht vollständig oder wenigstens in der Hauptsache nicht selbst hervorbringen, des Importes ausgeschlachteten Fleisches aus finanziellen Erwägungen nicht entbehren können. Es leuchtet ohne weiteres ein, daß der Schlächter auf dem Lande oder in der Provinz überhaupt billiger schlachtet als der Schlächter in der Großstadt, weil der erstere billigere Ar-