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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Fleischhandel (Grenzschlachthäuser, Kühlhäuser etc.)

Transport finden besonders konstruierte Schiffe Verwendung, welche mit Refrigeratoren ausgestattet sind.

Grenzschlachthäuser. Während der Zeit der Grenzsperre seitens des Deutschen Reiches ist von verschiedenen Seiten die Errichtung von Schlachthäusern an den Landesgrenzen vorgeschlagen und warm befürwortet worden. Und in der That wäre die Errichtung solcher Schlachthäuser ein ganz vorzügliches Mittel, den Schlachttierüberschuß der Nachbarstaaten uns zu nutze zu machen, ohne daß die Gefahr der Einschleppung von Tierseuchen gegeben wäre. Damit aber der Fleischuorrat in den Grenzschlachthäusern nicht nur den Grenzbewohnern, sondern auch dem ganzen Binnenland zu gute kommen kann, müßte für Einrichtungen Sorge getragen werden, welche den Transport frischen Fleisches auf weite Strecken, außerdem aber eine Aufstapelung dieses Fleisches am Orte der Schlachtung wie an den Orten des Verkaufes ermöglichen. Zu diesem Behufe wären mit den Grenzschlachthäusern, in welchen die einheimische Sanitätspolizei ihres Amtes walten müßte wie im Innern des Landes, geräumige Kühlhäuser zu verbinden. Außerdem müßten in jeder größern Stadt, welche ausgeschlachtetes Fleisch einführen will, Kühlräume, am besten in Verbindung mit den daselbst bestehenden Schlachthäusern oder Markthallen, angelegt werden. Schließlich hätten die Eisenbahnverwaltungen oder besondere Transportgesellschaften eine genügende Anzahl von Eisenbahnwagen zu erbauen, welche mit gut funktionierenden Kühlvorrichtungen versehen sind. Mustergültige Kühlräume besitzt Paris für den Hämmelimport, Deptford in London für die daselbst geschlachteten amerikanischen Rinder. Deptford ist gleichsam das Grenzschlachthaus für England. Wöchentlich gelangen etwa 10,000 amerikanische Rinder nach Deptford, um daselbst abgeschlachtet zu werden. Das Fleisch dieser Tiere wird nach der Schlachtung in die Kühlkammern verbracht, um nach Bedürfnis auf den Märkten und in den Läden verwertet zu werden. Beide Anlagen beruhen auf dem neuen (Poppschen) System der Kälteerzeugung durch komprimierte Luft. Die komprimierte Luft wird mittels Röhren in die Kühlräume geleitet, wo sie aus engen Öffnungen ausströmt. Während dieses Ausströmens dehnt sich die Luft wieder aus und bindet in hohem Grade Wärme. Die Druckluftkühlanlagen haben den großen Vorteil, daß sie die Luft nicht nur abkühlen, sondern gleichzeitig eine stetige Erneuerung derselben bedingen. Die Druckluft kann in zweckmäßigster Weise den verschiedensten gewerblichen Zwecken dienstbar gemacht werden. Deshalb glaubt man auch mit Bestimmtheit, daß die Zeit nicht mehr fern sei, in welcher jede größere Stadt ihre Druckluftanlage erhalte, wobei dann für die Zwecke der Nahrungsmittelkonservierung große zentrale sowie in jedem Haus kleine private Kühlräume billig eingerichtet werden könnten. Die einfachsten Kühlhausanlagen sind diejenigen mit Natureiskühlung. Dieselben bestehen im wesentlichen aus drei Räumen, nämlich dem Eisraum, dem Kühlraum und dem Vorraum. Der letztere verbindet die Außenwelt mit dem Kühlraum. Kühlraum und Eisraum sind durch eine Scheidewand voneinander getrennt. Der Eisraum liegt höher als der Kühlraum. Die kalte Luft gelangt durch Klappen aus dem Eisraum in den Kühlraum, fällt alsbald zu Boden und entzieht dein in Manneshöhe hängenden Fleisch seine Wärme und Feuchtigkeit. Die erwärmte Luft steigt durch Schornsteine, bez. Luftzüge in die Höhe und nach außen.

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Auf diese Weise wird nach zuverlässigen Angaben eine so ausgezeichnete Ventilation erzeugt, daß die Wände und das Fleisch stets trocken sind. Für kleinere und mittlere Betriebe reichen Kühlhäuser mit Natureiskühlung vollkommen aus und empfehlen sich für solche Betriebe auch sehr wegen ihrer großen Billigkeit. Für größere Schlachthäuser sind zumeist Kühlhäuser mit Kaltluftmaschinen eingerichtet worden. Dieselben beruhen auf dem physikalischen Gesetz, daß beim Übergang eines Körpers aus dem flüssigen in den gasförnngen Aggregatzustand Wärme gebunden wird. Die betreffenden Körper werden in flüssigem Zustande mittels einer Dampfmaschine in Röhrensysteme getrieben, in welchen sie sich zu Gasen ausdehnen können. Die Gase werden nun mit Hilfe derselben Maschine wieder angesogen und verdichtet. Die Röhrensysteme verbreiten sich in den Kühlräumen. Weitaus am häufigsten verwendet man Ammoniak als Kälte erzeugendes Mittel. Indessen könnte auch der (teurere) Äthyl- und Methyläther Verwertung finden. Als wesentlicher Vorteil der Kühlanlagen mittels Kaltluftmaschinen wird gerühmt, daß die Temperatur niemals +5° und die relative Feuchtigkeit der Luft 70 Proz. übersteige. Denn die Kühlflächen der Kühlapparate besitzen stets eine Temperatur von -4 bis 5° und entziehen der Luft ihre Feuchtigkeit bis zu dem Grade, daß sie der dem Fleisch entstammenden Feuchtigkeit gegenüber stets noch aufnahmefähig bleibt.

Zum Schlusse erübrigt noch eine kurze Bemerkung über die für den Transport frischen Fleisches auf weite Strecken unentbehrlichen Eisenbahnwagen mit Kühlvorrichtung. Verschiedene Systeme verfolgen den Zweck, Fleisch während des Schiffs- und Eisenbahntransports tage- oder wochenlang mit möglichst kalter und trockner Luft zu umgeben. Das System Craven bedient sich zu diesem Behufe künstlicher Kältemischungen, das System Tellier, welches wir bereits bei den Kühlhäusern kennen gelernt haben, der Komprimierung und schnellen Expansion von Äther oder Ammoniak. System Giffard und Bell-Coleman beruhen auf der Komprimierung und schnellen Ausdehnung gekühlter atmosphärischer Luft; Bate, Wickes und Pallausch erreichen die Abkühlung, indem sie in den Kühlraum Luft pressen, welche, aus demselben angesogen, zuvor durch einen Eisbehälter gegangen ist. Für Eisenbahnkühlwagen sind hauptsächlich Eissysteme im Gebrauch, bei welchen entweder die Luft von außen durch das Eis eingesogen wird (System Straschiripka und Tiffany, System Anderson, Zimmermann, Acclan) oder aus dem Kühlraum durch den Eisraum mittels Ventilatoren (in luftdichtem Raum) in steter Zirkulation erhalten wird (System Jaschka, Wickes, Schreiber). Die Schreiberschen Kühlwaggons sind 7 m lang, 2 m hoch und 2,33 m breit. Die doppelte Fußbodendecke ist mit einer Schicht Sägemehl versehen; von den dreifachen Bretterschichten an den Seitenwänden sind die beiden innersten durch eingestampfte Kuhhaare voneinander getrennt, außerdem mit wasserdichter Pappe bekleidet. Der ganze Raum ist ringsum mit einer dicken Filzschicht und zuinnerst mit verzinktem Eisenblech beschlagen. Das Fleisch wird an Längsstangen so aufgehängt, daß, es sich nicht berührt. In dem Wagen befindet sich der Eiskasten für 18 Ztr. Eis, welche auf die Dauer von 8-10 Tagen ausreichend sein sollen. Schreiber gibt an, es sei möglich, in einem solchen Wagen 200 Ztr. Fleisch zu verladen. Die Konstruktion der Schreiberschen Wagen hat große Ähnlichkeit