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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Frantz - Französische Litteratur

beschimpfen. Kaum hatte jedoch Laur zu reden begonnen, als Constans vom Ministertisch auf ihn zustürzte und ihn ohrfeigte. Der Präsident mußte wegen des allgemeinen Tumultes die Sitzung aufheben; die Kammer nahm aber nachher die Entschuldigung Constans' wegen der Verletzung der dem Hause gebührenden Achtung an.

Die Entrüstung des französischen Episkopats über das Verbot der Pilgerfahrten nach Rom und die Bestrafung des Erzbischofs von Aix wurde vom Papste durchaus nicht gebilligt. Leo XIII. hielt an dem Plane Lavigeries fest, daß die Kirche offen zur Republik übergehen müsse, um auf dieselbe Einfluß zu gewinnen, vielleicht sogar im Laufe der Zeit die Mehrheit in den Kammern zu erlangen und auf diese Weise F., »die älteste Tochter der Kirche«, den Interessen des Papsttums dienstbar zu machen. Nach der Erneuerung des Bündnisses zwischen Deutschland, Österreich und Italien setzten die Jesuiten ihre ganze Hoffnung für die Wiederherstellung der weltlichen Macht des Papstes auf F. und Rußland, die Verbündeten von Kronstadt. Der päpstliche Staatssekretär, Kardinal Rampolla, richtete in diesem Sinne 5. Jan. 1892 ein Schreiben an den Erzbischof von Paris, in welchem der Papst die französischen Katholiken aufforderte, sich zum Schutz der religiösen Interessen entschlossen auf den verfassungsmäßigen Boden zu stellen. Der Episkopat und die klerikale Partei fügten sich, wenn auch mit Widerstreben, und die fünf französischen Kardinäle, die Erzbischöfe von Toulouse, Reims, Rennes, Paris und Lyon, veröffentlichten 20. Jan. eine Kundgebung, daß sie, den Erklärungen des heil. Stuhles und den katholischen Überlieferungen entsprechend, keine Opposition gegen die Regierungsform machten, die F. sich gebe, aber nun auch als Freunde und Verbündete, nicht als Verdächtige und Gegner betrachtet werden müßten. Die Regierung ließ sich zwar diese Bundesgenossenschaft gefallen, legte aber gleich nach Wiedereröffnung der Kammern (18. Febr.) diesen ein längst versprochenes Genossenschaftsgesetz vor, das hauptsächlich die religiösen Körperschaften betraf. Weil jedoch der Ministerpräsident Freycinet dabei erklärte, daß das Gesetz nicht zur Bekämpfung der Kirche dienen und die Trennung von Staat und Kirche nicht vorbereiten solle, beschuldigten die Radikalen die Regierung des Bündnisses mit dem Papst und lehnten die von dem Ministerium angenommene Tagesordnung ab; auch die Konservativen thaten das, weil sie das Genossenschaftsgesetz mißbilligten. Die Tagesordnung fiel also mit 304 gegen 212 Stimmen, worauf das Ministerium seine Entlassung einreichte. Zufällig erschien gleich nach Sturz des Kabinetts eine päpstliche Encyklika an den Klerus und alle Katholiken Frankreichs, welche es als eine Pflicht darstellte, die bestehende Regierung anzuerkennen und nichts zu ihrem Sturze zu unternehmen, vielmehr mit allen verfassungsmäßigen Mitteln die kirchenfeindlichen Gesetze zu bekämpfen. Die Radikalen forderten nun erst recht den rücksichtslosesten Kampf gegen den Klerikalismus. Der Präsident Carnot ging indes nicht darauf ein, weil auch die Radikalen in der Kammer über keine feste Mehrheit geboten und ein radikales Kabinett bei dem hohen Verbündeten in Petersburg Anstoß hätte erregen können. Das Kabinett wurde daher 27. Febr. nur etwas umgestaltet, indem ein Freund Carnots, Loubet, den Vorsitz und das Innere übernahm; Constans, Fallières, Barbey und Guyot schieden aus, und die drei letzten wurden durch Ricard, Cavaignac und Viette ersetzt. Das neue Ministerium stellte sich 3. März den Kammern vor und ließ eine Erklärung vorlesen, wonach es die republikanischen Gesetze, namentlich das Militär- und Schulgesetz, verteidigen und das Konkordat aufrecht erhalten wolle; die auswärtige Politik wurde nicht erwähnt, dagegen die Fortsetzung der sozialen Gesetzgebung empfohlen. Da die Kammer eingesehen hatte, daß ihr Beschluß vom 18. Febr. eine Verkehrtheit gewesen war, billigte sie mit 341 gegen 91 Stimmen die Erklärung des Ministeriums, obwohl dessen Kirchenpolitik sich in nichts von der des frühern Kabinetts unterschied.

Frantz, Konstantin, Politiker und Publizist, starb 2. Mai 1891 in Blasewitz bei Dresden.

Französische Litteratur im Jahr 1891. Über den Roman, so behaupten Verleger und Schriftsteller, ist eine Krise hereingebrochen, deren Hauptursache die allzu starke Produktion sein soll. Im geschäftlichen Leben mag dieser Übelstand sich wirklich fühlbar machen; der Leser aber nimmt andre Zeichen wahr, deren auffälligstes ist, daß der Naturalismus als Schule sich hat verdrängen lassen, wenn er auch in Einzelerscheinungen, wie in Zolas »L'Argent« und minder bedeutenden, noch immer auftritt, und daß auch für die Nachfolger der »Psychologen«, Paul Bourget, Anatole France, Jules Lemaître, Edouard Rod, Paul Hervieu, welche die Naturalisten in der Gunst des Publikums abgelöst hatten, schon ungeduldige Aspiranten da sind. »Symbolisten« und »Magier«, Zwillingsbrüder, die einander nach kurzer Eintracht schon befehden, erheben die Anmaßung, auf dem Boden der Lyrik nicht nur, sondern auch auf dem des Romans mit ihren absonderlichen Phantasien ausschließlich zu herrschen; aber noch hat sich keins ihrer Werke, sei es bei feinfühligen Kennern, sei es bei dem großen Haufen, Geltung verschafft, am allerwenigsten der Cyklus des Magiers Josephin Péladan, der mit betäubendem Lärm die Reklametrommel zu rühren versteht. Sãr Peladan, der sich auch noch den Titel »Magnificus« beigelegt hat, nennt den Magismus den Gipfel der Bildung, das Patriziat der Intelligenz, die Verschmelzung von Wissenschaft und Kunst, das Erbteil der auserwählten Geister aller Zeiten, Orte und Rassen. Der Magismus fordert von dem Künstler wie von dem Schriftsteller, daß er das Alltägliche, die gewöhnlichen Lebensbedingungen nicht kenne und in den höchsten Idealen schweige, katholischer sei als der Papst und der hermetischen Wissenschaft huldige. Der Symbolismus unterscheidet sich von ihm am meisten dadurch, daß er die Geheimkünste vernachlässigt und der Sprache große Aufmerksamkeit schenkt, nicht wie die »Parnassiens«, denen es hauptsächlich um Wohllaut und glänzende Bilder zu thun war, sondern im Sinne geistiger Vertiefung, der bebenden Wiedergabe der innersten Regungen und ihrer Beziehung zu äußern Ursachen. Als Verstärkung der heutigen Sprachmittel wird das Altfranzösische zu Hilfe gerufen, und ein Grieche von Geburt, Jean Moréas, geht ernstlich mit dem Gedanken um, eine »romanische Schule« zu gründen. »La fin d'une âme«, ein ohne Autornamen erschienenes Buch, gehört mit »Daniel Valgraive« von Rosny, »Eu Rade« und »Là-bas« von Huysmans, »Le Crépuscule des Dieux« von Elénor Bourges zu dem Besten, was die neue Richtung bisher erzeugte. Bei einer unbedeutenden Handlung, deren Ausgangspunkt an die »Wahlverwandtschaften« erinnert, bildet die philosophische Beleuchtung des Schöpfungswerks die Grundlage des Ganzen, dessen Held, eine sym-^[folgende Seite]