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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Französische Litteratur - Französisch-Indien

und Aufschlüsse über die kleinen Ursachen, welche das erste Kaiserreich zu Falle brachten, bieten die drei Bände »Mémoires du général de Marbot«, der mit größter Anschaulichkeit die Erlebnisse in Spanien, wo schon die Mannszucht nachließ, sowie den Rückzug der Grande armée aus Rußland, Leipzig und Waterloo schildert. Derselben Epopöe gehören die Briefe des Generals Lasalle an, dessen Überreste diesen Sommer (1891) aus Wien nach Paris übergeführt und in der Kirche des Invalidenhotels beigesetzt wurden, dem Zeitraum von 1830-79 die »Souvenirs et indiscrétions d'un disparu« des Barons de Plancy). Die Verwandten Gustave Flauberts fahren fort, seine Briefe an Freunde und Bekannte, über sein eignes und der andern Thun und Lassen zu veröffentlichen, und haben hierin unrecht; denn Flaubert, so wie er war, mit seinen Tugenden und Schwächen, ist schon genugsam bekannt und zeigt sich in der neuen Sammlung (1854-69) nicht zu seinen gunsten, wenn er poliert und sich mit Vorliebe roher, schmutziger Redeweisen bedient. Sein Ruhm hat durch solche Kraftgeniestücke nichts mehr zu gewinnen bei einer jüngern Generation, welche das gutmütige große Kind, das in dem Koloß, dem Verfasser der »Madame Bovary« steckte, nicht geliebt hat; eher zu verlieren. Noch mehr Widerspruch forderte der fünfte Band des »Journal des Goncourt« heraus, der von 1872-77 reicht und viele pikante Anekdoten aus der Kunst- und Schriftstellerwelt erzählt, aber auch eine Menge Leute durch mehr oder minder gerechte Urteile und wohl am meisten durch die Art, wie ihre Äußerungen wiedergegeben sind, verletzt. Seitdem Renan sich darüber öffentlich beschwert hat, ist Edmond de Goncourt vorsichtiger geworden, wie der sechste und letzte Band des »Journal« (1878-84) zeigt. Derselbe stellt eine weitere rücksichtslose Veröffentlichung zwanzig Jahre nach dem Tode Ed. de Goncourts in Aussicht.

Geschichtschreibung. Reisebilder.

Unermüdlich setzt der Herzog von Broglie seine akademischen Studien über die diplomatische Geschichte Frankreichs fort; sie erscheinen regelmäßig in der »Revue des Deux Mondes« und lieferten dieses Jahr zwei neue Bände: »Maurice de Saxe et le marquis d'Argenson«. Lucien Perey vollendete den begonnenen Lebenslauf des Herzogs von Nivernais (»Un petit-neuve de Mazarin«) in einem zweiten Oktavbande: »La fin du XVIII. siècle (Le duc de Nivernais) 1764-98«, in dem fleißige Forschung und anmutige Erzählerkunst sich an einem ereignisreichen, wechselvollen Zeitabschnitt üben. H. Taine ist in seinen »Origines de la France contemporaine« bei dem »Régime moderne« angelangt, das er mit der Unparteilichkeit studiert, durch welche er sich in allen Lagern Feinde gemacht hat, aber feinem Werke Dauer verleiht. In »Napoléon et Alexandre I« hat Albert Vandal die Dokumente zusammengestellt, die ein übersichtliches Bild der französisch - russischen Allianz unter dem ersten Kaiserreich liefern. Die Wiederaufnahme der Feste zu Ehren der Johanna d'Arc in Orléans förderte die Entstehung einer Litteratur, die bald mehr zur Geschichte, bald mehr zur Legende hinneigt. Der erstern Kategorie ist eine Schrift des Marquis de Pimodan beizuzählen: »La première étape de Jeanne d'Arc«, in welcher der Verfasser dem aus Vaucouleurs ausziehenden Mädchen von Domrémy mit um so größerer Pietät folgt, als der Ritt die reisige Schar durch Waldgebiet führte, das sich seit Jahrhunderten im Besitze seiner Familie befindet. Der Marquis de Pimodan ist übrigens kein Neuling in der litterarischen Geschichtsforschung: er hat diese durch eine hübsche Monographie der Mutter der Guisen, Antoinette de Bourbon, und andre Studien bereichert. Bei der Wendung, welche die politischen Dinge genommen haben, interessiert man sich in Frankreich mehr als je für alles Russische. Die Zeitungen bringen aus Rußland mehr Berichte über Zustände, Land und Leute, als sonst irgendwoher, und die Bücher, welche dieses Thema in unterhaltender Weise behandeln, werden verschlungen. Der Russe E. de Cyon, der sein Buch dem Andenken Michael Katkows widmet, zeigt den französischen Lesern, in deren Mitte er als Arzt und Publizist schon lange, eine Weile auch als Delegierter des russischen Finanzministeriums lebte, Rußland, Verwaltung, Regierung, Bevölkerung von der vorteilhaftesten Seite und weiß sogar, obwohl selbst Jude, die unmenschlichen Judenverfolgungen zu beschönigen oder doch die Verantwortung dafür von der Regierung abzulenken. Mit einer Einleitung von Alexander Dumas versehen, macht auch eine Übersetzung von Tolstois »Lasterhaften Freuden« (»Plaisirs vicieux«, Übersetzung aus dem Russischen von Halperine Kaminsky) ihren Weg, wie wenig eine solche Lebensauffassung dem französischen Temperament Zusagen mag. Dabei bilden die Antworten, welche eine Reihe angesehener Persönlichkeiten, Charcot und Richet, die Irrenärzte, Emile Zola, Jean Richepin, Melchior de Vogüé, Francisque Sarcey u. a., dem Übersetzer gaben, der sie um ihre Meinung über Tabak- und Alkoholartikel gefragt hatte, mit ihrer Ablehnung der Übertreibungen Tolstois einen der Reize des Buches. In dem Maße, wie man sich für Rußland begeisterte, nahm das Interesse auch für das malerische Italien ab, das noch Taine enthusiastisch nach allen Richtungen schilderte. Paul Bourget, der letztes Jahr seine mehrmonatliche Hochzeitsreise auf der Halbinsel machte, zeigte dann in seinen »Sensations d'Italie« nur sich selbst, eine empfindsame Grüblernatur, grau in grau, welche sich vor dem hellen Licht und dem flutenden Leben zurückzieht. Wie ein ausgelassener Streifzug nach dem äußersten Osten nimmt sich daneben »Outamaro« von Edmond de Goncourt aus, eine eingehende Studie der Werke des japanischen Malers dieses Namens, zu welcher der Verfasser der »Maison d'un artiste« besonders befähigt war. Damit noch nicht zufrieden, hat er schon den Plan entworfen, in ähnlicher Weise auch andre japanische Künstler, ein volles Dutzend Elfenbeinschnitzer, Bronzegießer, Graveure, Fächermaler etc., seinen Landsleuten vorzuführen, wenn ihm, dem beinahe Siebzigjährigen, genug Lebensjahre und Kräfte dazu beschieden bleiben.

Französisch-Indien. Die Bevölkerung der fünf französischen Enklaven in Britisch-Indien bezifferte sich 31. Dez. 1891 auf 283,053 Seelen. Davon entfielen auf Ponditscherri 172,941, auf Tschandernagor 24,281, auf Karikal 70,526, auf Mahé 9978, auf Janaon 5327 Seelen. Die immerhin schwache Zunahme der Bevölkerung vollzieht sich durch Zuwanderung, denn die Sterblichkeit überschreitet den Zuwachs durch Geburten erheblich (1889 um 196). Hauptprodukte sind Reis, Kokosnüsse, Betelnüsse, Pfeffer, Öl u. a. Der Gesamthandel betrug 1889: 32,480,807 Frank; davon 15,373,092 mit Frankreich, 16,797,363 mit dem Ausland; in den Hafen von Ponditscherri liefen 354 Schiffe von 414,483 Ton. ein, in den von Karikal 265 Schiffe von 158,486 T. Für das öffentliche Schulwesen wurden durch Ordonnanzen vom 30. Sept. 1843, 1. März 1880 und 20. Febr. 1885 eingehende