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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Gefühl (Einteilung der Gefühle nach den Ursachen)

Reich 21 solcher Anstalten, welche durch die unter einem Zentralvorstand verbundenen »Vereine für Arbeiterkolonien« ins Leben gerufen worden sind. Diese Kolonien sollen nur vorübergehende Unterkunft und sowohl Gelegenheit zu landwirtschaftlicher wie zu gewerblicher Beschäftigung gewähren. Die Verwaltung der Kolonien kann und soll auch die Unterbringung der Kolonisten in Arbeitsstellen außerhalb der Kolonien vermitteln.

Die Bedeutung, welche dem Schutzvereinswesen für die Verhütung von Verbrechen, zumal für die Verminderung der Rückfallsziffer zukommt, hat die Frage nahegelegt, ob nicht eine nähere Verbindung unter den verschiedenen Vereinen zweckmäßig wäre, denen das Ziel: die Bekämpfung des Verbrechens durch Vorbeugungsmaßregeln, gemeinsam ist, z. B. Antibettelvereine, Naturalverpflegungs-Stationen, Herbergen zur Heimat, Anstalten für Arbeitsnachweis, Vereine zur Bekämpfung der Trunksucht etc. Wenn auch eine vollständige Zentralisation dieser verschiedenartigen Bestrebungen unmöglich ist, ja sogar schädlich wirken würde, weil die in größern Städten nötige Arbeitsteilung verloren ginge, so kann doch unter besondern Verhältnissen, insbesondere an kleinern Orten, die Verbindung mehrerer solcher Aufgaben von Nutzen sein, indem sie eine größere Mitgliederzahl anzieht und dadurch die Kräfte des Vereins stärkt, vielleicht auch eine Ersparung an Kraft- und Kostenaufwand ermöglicht. Vgl. Fuchs, Die Vereinsfürsorge zum Schutz für entlassene Gefangene (Heidelb. 1888), »Blätter für Gefängniskunde«, besonders Bd. 21, 23, 25 und 26.

Gefühl, psychologisch die Lust oder Unlust, die wir im Anschluß an andre gegebene psychische Zustände empfinden. Es gibt also nur Lustgefühle und Unlustgefühle; unter einem gemischten G. versteht man die schnelle Aufeinanderfolge von Lust und Unlust in steter Abwechselung. Die Gefühle werden nach der verschiedenen Art ihrer Ursachen eingeteilt in sinnliche, ästhetische und triebartige Gefühle. Die erste Klasse schließt sich an gegebene Sinnesempfindungen, die zweite an Formwahrnehmungen, die dritte an Willensregungen an. Ein sinnliches G. wird unmittelbar durch einen uns zur Empfindung gelangenden Reiz hervorgerufen. Dieser Reiz gehört meistens den Sphären des Geruchs-, Geschmacks- und Hautsinnes an, während die das Gesicht oder Gehör treffenden Erregungen der Regel nach keine sinnliche Lust oder Unlust hervorrufen, »unbetont« oder »farblos« sind. Die Zweckmäßigkeit einer solchen Verschiedenheit leuchtet ein, denn die höhern Sinne sollen uns zur Erkenntnis der objektiven Vorgänge in der Außenwelt verhelfen und dürfen daher durch Gefühle nicht beeinträchtigt werden, während die Gefühlsbetonung der Empfindungen niederer Sinne eine Schutzeinrichtung unsers Organismus darstellt. Von welchen Umständen es abhängt, daß ein Reiz angenehm oder unangenehm oder indifferent gefühlt wird, läßt sich nicht sagen. Wir kennen bisher bloß zwei Bedingungen, unter denen immer Unlust einzutreten scheint, nämlich sehr hohe Stärkegrade (a) und intermittierendes Auftreten eines Reizes (b). a) Jeder Reiz, der eine gewisse Stärke und damit die sogen. »Unlustschwelle« überschreitet, weckt unangenehme Gefühle im Anschluß an die Wahrnehmung des Reizes. Starkes Licht und laute Töne nennen wir »grell«, um diese Unlust auszudrücken; Berührungen können so lange gesteigert werden, bis sie in Schmerz übergehen. Der Stärkegrad, bei welchem das G. zur Empfindung hinzu tritt, ist von der Ausdehnung des Reizes und der Erregbarkeit der betroffenen Stelle abhängig, derart, daß er um so geringer zu sein braucht, je größer die Ausdehnung und die Erregbarkeit sind. Weniger durchsichtig ist die Abhängigkeit der Unlust von der Dauer der Reizung; denn in manchen Fällen wächst sie mit der Andauer, in andern nimmt sie mit ihr ab. b) Intermittierende Sinnesreize, d.h. solche Sinnesreize, welche in schneller Aufeinanderfolge in sich abwechseln, sind unlusterregend. Das peinliche G. beim Anblick einer flackernden Flamme beruht darauf, daß sehr schnell hintereinander starkes und schwaches Licht auf das Auge fällt und dem Sehnerv weder Zeit zur ordentlichen Wahrnehmung noch zur Erholung läßt. Ebenso erklärt sich der unangenehme Eindruck, den dissonierende Töne hervorrufen, aus der Intermittenz der Schwingungen im Ohr. Es erhebt sich nunmehr die Frage, ob die sinnlichen Gefühle eine bleibende Eigenschaft der Empfindung sind oder eine selbständige Bedeutung besitzen. In ersterm Falle wären sie der Intensität und Qualität der Empfindung gleichzuzustellen, in letzterm Falle auf einen besondern Nervenprozeß (den algischen, bez. hedonischen im Gegensatz zum sensorischen) zurückzuführen. Man muß sich wohl für die zweite Annahme entscheiden, und zwar aus folgenden vier Gründen: a) Bei vielen Wahrnehmungen scheint ein begleitendes G. zu fehlen und kann jedenfalls fehlend gedacht werden. Wir vermögen uns keine Sinneswahrnehmung ohne einen gewissen Stärkegrad (Intensität) und eine gewisse Beschaffenheit (Qualität), wohl aber dieselbe ohne jede Lust, bez. Unlust vorzustellen, b) In gewissen Nervenkrankheiten tritt Analgesie auf, d. h. ein Zustand der Schmerzlosigkeit, bei dem aber die Empfindlichkeit für die Sinnesreize ungetrübt erhalten ist. Obwohl die Patienten jeden Druck deutlich wahrnehmen, erweckt doch der stärkste Druck keinen Schmerz. c) Bei Rückenmarksleidenden findet sich häufig eine beträchtliche Verlangsamung des Schmerzgefühls, was gleichfalls auf die Unabhängigkeit von Empfindung und G. deutet, d) Starke Gefühle verdecken den Inhalt der Empfindung. Sehr heiße und sehr kalte Gegenstände können nicht unterschieden werden, weil der Schmerz jede objektive Wahrnehmung übertäubt.

Die ästhetischen Gefühle entstehen im Anschluß an Wahrnehmungen der Form der räumlich-zeitlichen Verbindungsreize äußerer Vorgänge. In welcher räumlichen Anordnung Gesichtsobjekte sich befinden oder in welcher rhythmischen Zeitfolge Klänge sich abwechseln, das gibt Anlaß zu Gefühlen des Gefallens und Mißfallens. Vornehmlich die erste Klasse der ästhetischen Gefühle ist wissenschaftlich untersucht worden und hat den Grundstock einer experimentellen Ästhetik abgegeben. Unser Urteil über das Angenehme oder Unangenehme gewisser Formen ist a) abhängig von den mit den Formen verknüpften Nebengedanken. Der Halbmond wird einen Mohammedaner, das Kreuz einen Christen schon deshalb anmuten, weil religiöse Gefühle sich an den Anblick dieser geweihten Zeichen associieren; die Architektur eines Hauses wird bereits dann eine Befriedigung in uns wachrufen, wenn wir es zweckmäßig, mit Rücksicht auf Licht, Luft etc., gebaut finden, b) Aber auch an sich können Formen schön oder häßlich sein, und gerade solche Gefühle, die ohne Rücksicht auf Außenliegendes entstehen, sind die wahrhaft ästhetischen Gefühle. Sie hat Fechner untersucht, indem er von der doppelten Voraussetzung ausging, einmal, daß für den Anfang bloß die elementarsten