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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Geldmarkt und Börse 1890/91

Mill. Mk., während in 1890 die steuerfreie Grenze um 26,25 Mill. Mk. überschritten wurde. Die Reichsbank konnte diese glänzende Lage nicht mit einer Diskontoherabsetzung anerkennen, weil sie fürchten mußte, die Wechselkurse ungünstig zu beeinflussen.

Thatsächlich war Geld knapper als im Vorjahr. Die großen Banken haben bekanntlich ihr Aktienkapital bedeutend vermehrt und haben sich trotz dessen zum Teil in einer Geldknappheit befunden. Dieselbe wurde wohl dadurch hervorgerufen, daß das Publikum mehr ausländische Werte aufgenommen hatte, als es festzuhalten vermochte. Dann wirkten auch die Gründungen und Erweiterungen bestehender industrieller Gesellschaften erheblich mit. Der Bedarf der Börsenspekulation hat sich allerdings bedeutend vermindert, doch bietet diese Verminderung keinen genügenden Ersatz für die anderweitige stärkere Inanspruchnahme des Geldmarktes, welche noch dadurch unterstützt wurde, daß der Lombardverkehr der Reichsbank sich auf mehr als 100 Mill. Mk. gehoben hatte. Die Beleihung von Provinzial-, Stadt- und andern inländischen Anleihen durch die Reichsbank hat an dem Plus des Lombardverkehrs jedenfalls einen bedeutenden Anteil.

Der Status der Reichsbank ergab 31. Aug. (in Tausenden Mark) folgendes:

1891 1890 1889 1888

Metall 940147 797561 858109 963763

Notendeckung 972702 826800 888532 995634

Notenumlauf 951439 976061 992150 939851

Steuerfreie Notenreserve 313380 138764 178467 331868

Wechsel 496795 530481 562974 337724

Lombard 92970 67316 69355 44344

Effekten 352 19230 11025 4649

Sonstige Aktiva 37073 27838 32700 35947

Guthaben 486051 336574 422209 380729

Der Schwerpunkt liegt in den Goldankäufen und den Guthaben, von welchen ein bedeutender Anteil auf die Staatsguthaben fällt. Dadurch, daß jede Zahlung durch die Reichsbank vollzogen werden kann, hat sich das deutsche Zahlungswesen in einer Weise entwickelt, wie sie in keinem andern Lande besteht. Alle Bankplätze sind verbunden und können durch einen Buchungsprozeß die Zahlungen miteinander vermitteln. 1890 betrug bei der Reichsbank der Gesamtumfang im Giroverkehr einschließlich der Ein- und Auszahlungen für Rechnung des Reiches und der Bundesstaaten 83894,04 Mill. Mk.

Die durchschnittlichen Diskontosätze am Berliner offenen Markte betrugen:

1891 1890 1889 1880

Januar 3,096 3,830 2,158 1,678

Februar 2,604 3,464 1,521 1,500

März 2,672 3,750 1,770 1,839

April 2,680 2,929 1,537 1,543

Mai 2,869 2,945 1,570 1,555

Juni 3,264 3,720 2,265 1,755

Juli 3,317 3,148 1,768 1,409

August 3,199 3,972 2,157 1,671

September 3,220 3,536 3,157 1,830

Oktober 3,199 4,772 4,185 3,250

November 3,130 5,135 4,702 3,153

Dezember 2,955 5,075 4,776 3,595

Jahresdurchschnitt 3,022 3,781 2,629 2,056

Unsre Aufstellung zeigt, daß die vier letzten Monate alljährlich eine gesteigerte Geldnachfrage und infolgedessen einen steigenden Diskontosatz bringen. Im Juli und August des Jahres 1891 überstieg der Diskontosatz am offenen Markts den 90er Satz, ungeachtet die Börse bedeutend weniger beansprucht war als im Vorjahr. Der gesteigerte Geldbedarf lag also, wie erwähnt, außerhalb der Börse, hat sich aber in den letzten Monaten sehr bedeutend vermindert.

Bei der Reichsbank fanden im Laufe des Jahres 1890 folgende Diskontoueränderungen statt: vom 1. Jan. bis 22. Febr. 5, von da bis 26. Sept. 4, bis 11. Okt. 5 und dann bis Ende des Jahres 5 1/2 Proz. Im J. 1891 wurde der Diskont 12. Jan. auf 4 Proz., 4. Febr. auf 3 1/2 Proz., 11. Febr. auf 3 Proz. herabgesetzt und 15. Mai auf 4 Proz. erhöht. Im Durchschnitt betrug der Reichsbankdiskont im J. 1891 3,776 Proz. gegen 4,517 und 3,676 Proz. in 1890 und 1889. In England fanden 1891: 12 Diskonto-Veränderungen gegen 11, bez. 8 in den beiden Vorjahren statt. Der durchschnittliche Zinssatz der Bank von England im J. 1891 betrug 3,35 gegen 4,55 und 3,56 Proz. in den beiden vorhergehenden Jahren. Bei der Bank von Frankreich berechnet sich ein durchschnittlicher Zinsfuß von 3, bez. 3 und 3,10 Proz.

Die Entwickelung der Wechselkurse in Berlin zeigt, daß Deutschland Gläubiger des Auslandes geworden ist. Die Wechselkurse haben einen Tiefstand erreicht, welcher das Ausland zur Goldzahlung verpflichtete. Am 15. Aug. 1891 wurden in Berlin notiert in kurzer Sicht:

Goldparität

Amsterdam 168,20 Mark 168,34 für 100 Gulden

London 20,31 " 20,43 " 1 Pfd. Sterl.

Paris 80,10 " 81,00 " 100 Frank

Italien 78,80 " 81,00 " 100 Lire

Wien 171,10 " 202,50 " 100 Gulden

Petersburg 211,25 " 324,08 " 100 Rnbel

Wien und Petersburg sind mit einem bedeutenden Disagio ausgestattet. Die Kursbewegung besonders für Petersburg hängt mit spekulativen Operationen eng zusammen. Auch andre Wechselkurse ergeben ein Disagio. Es sind aus London in den ersten acht Monaten des Jahres 1891: 3,876,274 Pfd. Sterl. Gold ausgeführt worden gegen nur 585,182 Pfd. Sterl. in 1890. Frankreich empfing in derselben Zeit aus Großbritannien 5,406,044 Pfd. Sterl. gegen 677,803 Pfd. Sterl. in 1890. Dagegen haben Portugal, Australien und die Vereinigten Staaten in Großbritannien mehr eingeführt, die letztern 7,648,438 Pfd. Sterl. gegen 2,579,170 Pfd. Sterl. in 1890. Einschließlich des Veredelungsverkehrs betrug in Deutschland 1890 die Einfuhr 285,257,911 kg im Werte von 4,258,468 Mk., die Ausfuhr 196,886,157 kg im Werte von 3,460,264 Mark.

Auf die Höhe der Wechselkurse sind aber von Einfluß 1) der Saldo der Handelsbilanz, 2) des Effektenverkehrs, welcher zwischen den betreffenden Ländern besteht, 3) der etwaige Saldo der Guthaben, bez. der Verpflichtungen des einen oder des andern Landes. Die Guthaben zwischen Großbritannien und Deutschland haben hierbei immer eine bedeutende Rolle gespielt, sie sind wahrscheinlich aus London zurückgezogen worden. Auch der Effektenverkehr ergibt jedenfalls einen Saldo zu gunsten Deutschlands.

Der Rückgang der Geschäfte wird am deutlichsten durch die außerordentliche Abnahme der Neueinführungen an der Börse gekennzeichnet. Es wurde im Laufe des Jahres 1890 bei dem Berliner Börsenkommissariat für 82 Werte das Gesuch zur amtlichen Notierung für den Kurszettel gestellt gegen 135 im J. 1889, 88 in 1888, 68 in 1887 und 72 in 1866. Im J. 1891 hat sich das Emissions- und Gründungsgeschäft noch ganz bedeutend reduziert, denn bis Mitte