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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Historische Litteratur 1890/91 (Deutschland)
zweckmäßiger Anordnung die Betrachtung der politischen Verhältnisse mit derjenigen des rechtlichen, wirtschaftlichen und geistigen Lebens der werdenden Nation; er beruht auf gründlichen, wenn auch nicht immer ganz erschöpfenden Studien und ist gut geschrieben, nur daß der Verfasser, namentlich in Bezug auf die Verhältnisse der Urzeit, sehr zweifelhaften Hypothesen gegenüber sich nicht immer vorsichtig genug verhalten hat. Die Rolle, die er den »Resterscheinungen« eines ursprünglichen Mutterrechts im ältesten germanischen Volksleben einräumt, hat dasselbe nach neuern rechts- und sprachgeschichtlichen Untersuchungen schwerlich bei den Germanen gespielt. A. Sachs' Buch über »Deutsches Leben in der Vergangenheit« (Bd. 2, Halle 1891) ist für weitere Kreise bestimmt; vielseitig und reichhaltig, bietet es gleichwohl nur einzelne Bilder aus dem Leben unsers Volkes, ohne dasselbe in seiner ganzen Breite und Tiefe zu erfassen. H. Herrigs »Kaiserbuch« (Berl. 1890), das sich auf Jahrhunderte deutscher Geschichte bezieht, ist vornehmlich ein ebenso glänzend wie geschmackvoll ausgestattetes Bilderwerk; der Text ist oberflächliche Arbeit.
Für die Rechtsgeschichte der ältesten deutschen Entwickelungsperiode sind von großer Bedeutung J. Fickers »Untersuchungen zur Erbenfolge der ostgermanischen Rechte« (Bd. 1, Innsbr. 1891), ein grundgelehrtes und höchst scharfsinniges, aber wie alle Bücher dieses namhaften Forschers schwer lesbares Werk; von besonderm Interesse ist der Nachweis überraschender Zusammenhänge zwischen Rechtsgebieten, die man bisher weit voneinander getrennt glaubte; sehr merkwürdig auch die Darlegungen, daß in den mittelalterlichen Rechtsaufzeichnungen Spaniens sich vielfach altgermanisch-gotisches Recht erhalten hat, so daß diese zu Schlüssen auf die älteste Entwickelung verwertet werden können. Von A. Haucks ausgezeichneter »Kirchengeschichte Deutschlands« ist der zweite Band erschienen (Leipz. 1891), der die Geschichte der fränkischen Reichskirche bis zu ihrer in der zweiten Hälfte des 9. Jahrh. erfolgenden, mit dem Verfall der karolingischen Monarchien überhaupt zusammenhängenden Auflösung darstellt. Die Vorzüge des nach Form und Inhalt bedeutenden Werkes sind gegen den ersten Band noch gewachsen. Nicht ganz dasselbe gilt von dem zweiten Bande von K. Th. von Inama-Sterneggs »Deutscher Wirtschaftsgeschichte«, der das 10., 11. und 12. Jahrh. behandelt (Leipz. 1891). Der Verfasser, durch eine hohe amtliche Stellung der ausschließlich gelehrten Thätigkeit entzogen, hat den gewaltigen Stoff nicht in so vorzüglicher Weise beherrschen können, wie das im ersten Bande (erschienen 1879) der Fall war; manche neuern Untersuchungen sind nicht genügend berücksichtigt, andern ist vielleicht zu viel Vertrauen geschenkt. Immerhin bleibt das Werk ein wertvoller und dankenswerter Versuch erster Zusammenfassung aller wirtschaftlichen Verhältnisse des ganzen Deutschland, wie er vor dem Verfasser nie unternommen war.
Von größern Werken über einzelne Perioden der deutschen Geschichte nennen wir, die zahllosen kleinen Monographien selbstverständlich übergehend, G. Meyer v. Knonaus »Jahrbücher des deutschen Reiches unter Heinrich IV. und Heinrich V.«, deren erster Band (Leipz. 1890) von 1056-69 reicht; eine höchst gründliche Arbeit, aber keine eben leichte Lektüre. In zahlreichen Einzelheiten hat der Verfasser die bisherige Auffassung berichtigt, ohne ihre Grundzüge, wie sie von Giesebrecht festgelegt ist, zu verändern: namentlich verhält er sich der Haupt quelle für diese Epoche, den Annalen Lamberts von Hersfeld, gegenüber mit Recht skeptischer als der verstorbene Münchener Gelehrte: auch er freilich folgt ihm vielleicht noch etwas mehr, als nötig ist. Eine gute Biographie Gregor Heimburgs, der als einer der namhaftesten Vorkämpfer kirchlicher Reformbestrebungen im 15. Jahrh. eine bedeutende Rolle gespielt und die Rechte städtischen Bürgertums gegen fürstliche Gewalt mannhaft verteidigt hat, verdanken wir P. Joachimsohn (Hamb. 1891). H. Ulmanns außerordentlich fleißige, in sehr umfassender Weise bisher unbekannte archivalische Quellen berücksichtigende, Licht und Schatten gewissenhaft verteilende Biographie Kaiser Maximilians l.ist mit dem zweiten Bande (Stuttg. 1891) abgeschlossen. Ein durch Forschung und Darstellung gleich ausgezeichnetes Werk ist O. v. Bezolds »Geschichte der deutschen Reformation« (Verl. 1890), die in der illustrierten Groteschen Sammlung erschienen ist. Obwohl auf entschieden protestantischem Standpunkt stehend, sucht der Verfasser doch mit Erfolg die Objektivität des Urteils überall sich zu bewahren. Wie sehr er die Größe Luthers bewundert, ist er doch weit davon entfernt, etwa seine Haltung gegenüber der Bauernrevolution zu verteidigen oder seine Schwäche gegenüber der Doppelehe Philipps von Hessen zu beschönigen, und mit maßvoller Gerechtigkeit urteilt er über Freunde und Gegner der Reformation. Ganz andern Schlages ist Onno Klopps Werk: »Der Dreißigjährige Krieg bis zum Tode Gustav Adolfs« (Bd. 1, Paderb. 1891; eine neue Ausgabe seines ältern Werks: »Tilly im Dreißigjähr. Kriege«), eine ultramontane Tendenzarbeit schlimmster Art; der bekannte Verehrer Tillys nähert sich zwar in der seiner geschichtlichen Darstellung zu Grunde liegenden Auffassung J. Janssen, steht aber an Gelehrsamkeit und Scharfsinn weit hinter ihm zurück: das Buch ist mit geradezu dürftigem Material gearbeitet. Die Darstellung des Dreißigjährigen Krieges, welche G. Droysen in der Groteschen Sammlung gibt, ist, obwohl schon drei Lieferungen erschienen find, noch nicht bis zum Beginn des eigentlichen Kampfes vorgeschritten; und auch B. Erdmannsdörffers in der gleichen Sammlung erscheinende »Deutsche Geschichte vom Westfälischen Frieden bis zum Regierungsantritt Friedrichs des Großen« ist von der Vollendung noch weit entfernt; die vier vorliegenden Lieferungen reichen bis zum Jahre 1674. Ein aus dem Nachlaß von Adolf Schmidt durch Alfred Stern herausgegebenes Werk: »Geschichte der deutschen Verfassungsfrage während der Befreiungskriege und des Wiener Kongresses« (Stuttg. 1890), steht vielfach im Gegensatz zu Treitschkes Auffassung in seiner Behandlung des gleichen Stoffes: durch Heranziehung einiger von Treitschke nicht beachteten Aktenstücke ist manches richtiger bestimmt worden; insbesondere hinsichtlich der Absichten Steins, die Treitschke auf die Errichtung eines deutschen Einheitsstaates oder auf die Vereinigung Deutschlands unter preußischer Führung gerichtet glaubte, weicht Schmidt von seinem Vorgänger gewiß mit Recht ab. Auch K. Biedermanns Buch: »Fünfundzwanzig Jahre deutscher Geschichte. 1815-1840« (Bresl. 1890, 2 Bde.), behandelt ein eben von Treitschke bearbeitetes Gebiet, aber in andrer Art und mit andern Absichten: was Glanz der Darstellung und umfassende Heranziehung neuen Materials, überhaupt was wissenschaftlichen Wert betrifft, darf er mit Treitschke nicht verglichen werden; aber seine kurze und geschickt angelegte Erzählung hat jenem gegenüber das Maß des Urteils und das red-[folgende Seite]