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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Illegitimität (Bewegung der Ziffer der unehelichen Geburten)

Anmerkung: Fortsetzung des Artikels 'Illegitimität'

Anmerkung: Fortsetzung von [IV. Ursachen der Häufigkeit unehelicher Geburten..]

Wien42,6Innsbruck17,6
Vorstädte Wiens:Trient4,5
__ Fünfhaus23,1Brünn28,5
__ Sechshaus20,7Olmütz9,4
__ Gaudenzdorf20,4Troppau20,7
__ Rudolfsheim20,4Prag44,3
__ Unter-Meidling27,9Vorstädte von Prag:
__ Ober-Meidling20,4__ Karolinenthal4,9
__ Hernals26,0__ Schmichow8,9
__ Währing21,4__ Weinberge10,7
__ Ottakring28,9__ Zižkow12,6
__ Neulerchenfeld25,2Aussig14,0
__ Wiener-Neustadt22,5Budweis9,5
Linz31,1Eger20,6
Steyr19,0Karlsbad12,9
Salzburg33,8Brüx14,6
Graz44,0Reichenberg7,5
Marburg26,6Jičin9,8
Klagenfurt72,7Pilsen9,3
Laibach33,1Krakau43,9
Triest17,0Wieliczka9,6
Görz10,3Czernowitz34,0
Pola16,9

Die I. ist im allgemeinen am größten in den volkreichsten dieser Städte und vornehmlich auch in den Hauptstädten der Alpenländer, welche sich überhaupt durch eine bedeutende Zahl unehelicher Geburten auszeichnen; nur darf bei Beurteilung der I. der Städte nicht übersehen werden, daß in deren Ziffern auch die oft sehr starke Frequenz der Gebär- und Findelanstalten auch dann mitgezählt ist, wenn deren Insassinnen vom Lande angezogen sind. In 24 der oben genannten 43 Städte steht die Ziffer der unehelichen Geburten über ⅕, in 16 über ¼, in 8 über ⅓; die letztern sind im Drucke hervorgehoben.

6) Konfession. Ein Einfluß der Konfession ist bezüglich des Katholizismus oder Protestantismus nicht zu konstatieren; wenn er überhaupt bestehen sollte, so wird er durch die übrigen Einflüsse verdeckt. So finden wir katholische Völker mit allen erdenklichen Graden der I. ausgestattet; wenn ferner die protestantischen Länder im allgemeinen eine hohe I. besitzen, so ist sehr fraglich, ob für die Verhältnisse in großen Teilen Deutschlands und den skandinavischen Ländern gerade die Konfession ausschlaggebend ist. Daß die Länder griechisch-orientalischen Glaubens im allgemeinen eine geringere I. besitzen, steht mit ihren primitiven Verhältnissen und der frühen Eheschließung daselbst im Zusammenhang. Doch durfte bezüglich der jüdischen Bevölkerung mit ziemlicher Sicherheit eine geringe Zahl der unehelichen Geburten angenommen werden, wenn dasjenige beachtet wird, was oben (S. 463-464) über die rituellen Ehen der orthodoxen Juden gesagt worden ist. — Was die Nationalität anbelangt, so ist auf den Abschnitt VI zu verweisen, da sich dieselbe ja vielfach in staatlicher Form darstellt.

7) Volkssitten und soziale Einrichtungen. In vielen ländlichen Gegenden, wie in Österreich und Deutschland bis nach Skandinavien hinein beobachtet wurde und vermutlich auch in andern Ländern der Fall ist, herrscht der Gebrauch, daß der Eheschließung ein Zusammenleben der Brautleute vorangeht. Die Ursache liegt entweder darin, daß die Ehe erst geschlossen wird, wenn die Nachfolge in den väterlichen Hof erfolgt (österreichische Alpenländer), oder eine Pachtung erlangt werden konnte (Norwegen), oder vielleicht auch in einer alten Sitte, daß der bäuerliche besitzende Bräutigam sich überzeugen will, ob er von der Braut Nachkommenschaft zu gewärtigen habe. Diese Sitten sind von solchem Einfluß, daß sie der I. ganzer Gegenden ihren Stempel ↔ aufdrücken. Daß soziale Einrichtungen viel zur Erhöhung der I. beitragen können, wird sofort klar, wenn an die verschiedenen Formen dev Cölibats erinnert wird, welche heutzutage faktisch oder rechtlich bestehen, wie z. B. beim Militärdienst. Auch der so weit verbreiteten, in manchen Ländern und vielfach in den Städten herrschenden Unsitte des Ammenwesens muß als einer wichtigen Ursache hoher I. gedacht werden; die leichte Erwerbsmöglichkeit sowie der große Verdienst und das bequeme Leben der Ammen trägt viel dazu bei, die uneheliche Geschlechtsgemeinschaft, resp. ihre Folgen als wenig abschreckend erscheinen zu lassen. Wo, wie insbesondere lange Zeit in Frankreich, Österreich, Gegenden Deutschlands und Italiens, die Findelanstalten mit Drehläden versehen waren, wuchs die Zahl der unehelichen Geburten oder zum mindesten der ausgesetzten Kinder bedeutend an. Im übrigen ist es unleugbar, wenn auch heute nicht mehr leicht auf seine Ursachen zurückzuführen, daß manche Völker oder Volksstämme eine strengere oder laxere Auffassung bezüglich der Gefallenen besitzen, und daß diese gewiß sehr alte Volkssitte heute noch ihre Nachwirkungen ausübt.

8) Die Gesetzgebung besitzt einen großen Einfluß auf die Höhe der I. Das gilt zunächst bezüglich der Vorschriften über Heimatswesen und Verehelichungsfreiheit, wie die frühern hohen Ziffern in Bayern und Mecklenburg beweisen. Ebenso bedeutungsvoll sind dann die Gesetze über die Erbfolge landwirtschaftlicher Besitzungen; wo Grund und Boden geschlossen ist, an Einen Erben übergeht und die Miterben ebenso wie der Erbe vor Ableben des Vaters in Dienststellung auf dem Hofe leben, ist die I. sehr groß. Dagegen ist es wohl zu verneinen (obgleich die Ansichten hier geteilt sind), daß das französische Gesetz und seine Nachahmungen bezüglich des Verbotes der »recherche de la paternité« eine geringere I. zur Folge habe. Überblickt man die Tabelle unter II, so ergibt sich, daß die Länder dieses Rechtes teils eine geringe Kultur besitzen, teils von gar nicht geringer I. sind, während Länder des gemeinen Rechtes nicht selten viel weniger uneheliche Geburten aufweisen. In der Schweiz, wo die Kantone zum Teil diesem, zum Teil jenem Rechte der I. unterworfen sind, ist eine Einwirkung desselben auf ihre Verbreitung auch nicht nachzuweisen. In jenen Gebieten des Deutschen Reiches, wo das französische Recht gilt, vermochte es ebensowenig wie in Frankreich selbst eine Verminderung der I. herbeizuführen.

V. Die Bewegung der Ziffer der unehelichen Geburten.

1) Politische Revolutionen. In den Jahren tief aufgewühlter Volksleidenschaft (z. B. 1848-49) geht die Ziffer der unehelichen Geburten stark in die Höhe, um allmählich wieder zu sinken, wogegen aber 2) bei Kriegen deren Ziffer stark zurückgeht; hier ist aber in erster Linie der Umstand maßgebend, daß ein großer Teil der jugendkräfigen männlichen Bevölkerung unter den Waffen steht; doch soll auch die Einwirkung psychologischer Umstände (wie bei 1) nicht in Abrede gestellt werden. 3) Wirtschaftliche Notjahre bewirken ein plötzliches Sinken der Illegitimitätsziffer, während beim Sinken der Preise eine Vermehrung der unehelichen Geburten stattfindet. 4) Ungleich wichtiger als diese drei Momente vorübergehender Bewegungserscheinungen ist die Frage, ob die I. in unsrer Zeit im Zusammenhang mit der spezifischen Kultur des 19. Jahrh. im Ansteigen oder im Rückgang begriffen ist? Wie bei kulturell ganz zurückgebliebenen Völkern sich die I. stellt, ist

Anmerkung: Fortgesetzt auf Seite 469.