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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Kartelle (in England, Amerika, Deutschland)
für Solidität in der Produktion Sorge zu tragen., So verpflichteten sich die Königinhofer Kattundruckereien, vom Lodentuch abzustehen und andre Stosse zu verarbeiten; 57 Zementfabriken wünschen den Begriff des Portlandzements gegenüber den unreellen, von andern Fabriken in den Handel gebrachten Fabrikaten festzustellen, oder es sollen die Surrogate verdrängt werden, welche an Stelle des Asphaltmastix in den Handel gebracht werden und das solide Geschäft schädigen. Mitunter wird auch die Bekämpfung der »unsoliden Konkurrenz« schlechthin, eines allerdings nicht fest bestimmten Begriffs, als Aufgabe eines Verbandes bezeichnet.
Bei Vereinigungen der vorgedachten Art bleibt die Selbständigkeit der einzelnen Unternehmungen gewahrt. Alle innern Einrichtungen können nach Bedarf getroffen werden. Doch können die Vereinbarungen auch weiter gehen und sich auf den Betrieb selbst erstrecken, ja zu einer vollständigen Verschmelzung der verschiedenen Unternehmungen zu einer einzigen führen. Nach sozialistischer Auffassung würden die K. überhaupt nur eine Erscheinungsform in dem gesellschaftlichen Entwickelungsprozeß darstellen, in welchem die kleinen Betriebe immer mehr dem Großbetrieb weichen, welcher durch alle ihm eignen Hilfsmittel leistungsfähiger und ergiebiger ist, und die Sieger im jetzigen Wettkampfe würden selbst wieder durch an Zahl geringere, aber durch ihr Kapital kräftigere und überlegene Gegner verdrängt, bis schließlich auch ihre Stunde geschlagen und die letzten Expropriateure durch die Gesellschaft selbst zum Zwecke der Einführung einer großen gesellschaftlichen Produktion expropriiert würden.
Eine besondere Art von Kartellen bilden die eng tischen Iuv63tm6iit-1i'N8t8, welche freilich ebenfalls schon dahin geführt haben, eine größere Zahl von Unternehmungen in einer Hand zu vereinigen. Der Zinsfuß für Leihkapitalien ist in England nicht hoch.
Der einzelne Kapitalist, welcher seine Kapitalien in nur einer Art von Papieren anlegt, läuft die Gefahr eines möglichen Verlustes. Die Veranlagung in mehreren Arten von Papieren aber erschwert die Verwaltung. Nun bildeten sich Gesellschaften (trn8t compkiiiks) unter Leitung erfahrener Börsenmänner, welche verfügbare Leihkapitalien sammeln, um dafür die verschiedensten Papiere zu erwerben. Dieselben sind bei allen Schwankungen von Zinsen und Dividenden doch in der Lage, regelmäßige und auch in ihrer Höhe annehmbare Zinsen zu gewähren. Außerdem entheben sie den Kapitalisten der Mühe einer kostspieligen Verwaltung. Die Gesellschaften suchen nun die Ergiebigkeit ihrer Kapitalien dadurch zu erhöhen, daß sie, besonders in andern Ländern, sich auch mit Spekulationen in gewerblichen Unter^ nehmungen befassen und größere Werke, wie Brauereien, Hüttenwerke u. dgl., ankaufen. 1888 gab es 18 solcher Gesellschaften mit 190 Mill. Mk.; 1889 traten bereits 34 neue hinzu mit einem Kapital von 480 Mill. Mk. Mit Einschluß der Anlehen stellte sich die Summe, über welche alle Gesellschaften verfügten, 1890 bereits aus etwa 2 Milliarden Mark.
Der amerikanische Trust (s. d., Bd. 17) unterscheidet sich von dem deutschen Kartell wesentlich dadurch, daß die Mitglieder des letztern sich eine größere Selbständigkeit bewahrt haben. Der erstere, welcher eine durch die nordamerikanische Gesetzgebung ge botens eigne Form der Vergesellschaftung wählte, stellt bereits eine vollständige Fusion verschiedener Unternehmungen dar, welche äußerlich und formell nicht als solche hervortritt und auf einem weitgehenden
Vertrauen der Aktionäre zu dem ^rust-Voaiä beruht.
Gerade in dieser festern Organisation mit einheitlicher Leitung aller Unternehmungen durch eine Hand beruht die Hauptstärke des Trust im Gegensatze zum Pool. Unter letzterm begreift man in Amerika eine unsern deutschen Kartellen ähnliche losere Vereinigung. Die Mitglieder eines Pool treffen Vereinbarungen über die Preishöhe und über die Produktenmenge; oder sie errichten auch eine gemeinschaftliche Verkaufsstelle. Die einzelnen Unternehmungen bewahren dabei im übrigen ihre volle Selbständigkeit.
Doch haben sich die meisten Pools, nachdem sie nur wenige Monate bestanden, wieder aufgelöst, da es an den nötigen Mitteln fehlte, um den Vertragsbruch durch einzelne Mitglieder zu ahnden und zu hindern. Der Trust ermöglicht eine planmäßigere Produktion, dann aber gestattet er vorzüglich dadurch an Kosten zu sparen und die Rentabilität zu erhöhen, daß er die weniger leistungsfähigen Unternehmungen eingehen und nur die erfolgreichern weiter produzieren läßt. Er stellt also den Übergang zersplitterter kleiner Betriebe zu einem wirksamern Großbetrieb dar. Dazu kam, daß mehrere Trusts noch ein andres Mittel anwandten, welches im engen Zusammenhang mit der Betriebsausdehnung und der dadurch erlangten Macht steht und diese Macht selbst wieder erheblich steigerte. Dieselben schlössen Verträge mit Eisenbahngesellschaften, auf Grund deren ihnen für ihre Transporte erhebliche Rabatte (Refaktien) zugestanden wurden. Dies ging bei mächtigen Trusts sogar so weit, daß denselben nicht allein für ihre eignen Zahlungen, sondern auch für diejenigen aller andern Verfrachter solche Rabatte gewährt wurden.
Den letztern wurde dadurch der Wettbewerb erschwert oder geradezu unmöglich gemacht. Zwar wurde wohl auch bestimmt, daß die vereinbarten Rabatte jedem andern Verfrachter gleichfalls zugebilligt werden sollten, welcher gleiche Frachtmengen liefern und solche Anlagen, Mittel und Erleichterungen zum Betrieb und zur Förderung des betreffenden Handels besitzen und anwenden würde, die den von i)er betreffenden Gesellschaft besessenen und angewandten gleichkämen.
Doch konnte dieser Bedingung von keinem der Konkurrenten entsprochen werden.
In Deutschland ist man aus guten Gründen eifrig bemüht, einer Verwechselung der Begriffe Kartell, Ring, Corner (wörtlich: »Winkel«, »Ecke«) und Pool (wörtlich: »Pfuhl«) vorzubeugen. Man glaubte wohl ein Unterscheidungsmerkmal in der sittlichen Berechtigung der verschiedenen Wirksamkeit zu finden, indem die K. als das Bestreben einer legitimen Produktion, sich gegen Überproduktion und Schmutzkonkurrenz zu schützen, die Ringe aber als schmutzige Wucherspekulationen bezeichnet werden.
Die K., sagt man, wollten kein Ausbeutesystem, sondern sie wünschten die Produktion nun auch wirklich produktiv zu machen, sie wollten nicht eine intrigierende Spekulation, die schließlich immer wieder zum wüsten Kampfe aller gegen alle führen müsse, sondern die harmonische Ordnung und Gestaltung der nationalen Arbeit. Nun ist aber die Grenze zwischen der legitimen Produktion und Beeinflussung des Marktes und der illegitimen eine flüssige und schwer findbare. Auch die Mitglieder der K. wollen große Gewinne ziehen, nicht allein die der Ringe. In diesem Bestreben können sie gegen gefährliche Konkurrenten Mittel anwenden, welche vor dem Richterstuhl einer strengern Moral nicht standhalten. Setzen auch die Ringe sich vielfach zusammen aus Vertretern der Börse, des Handels und des Großkapitals, die K.