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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Naturforschergesellschaft (Versammlung in Halle 1891)
heimisch sind, so würde man eine staunenswerte Veränderung wahrnehmen. Die Zimmerpflanzen, die überwiegende Menge der Gewächse unsrer Ziergärten, der Schmuckanlagen unsrer Straßen und Plätze, manche Kulturpflanze und selbst ein Teil der jetzt bei uns wild wachsenden Pflanzen würde verschwinden, und es würde eine erschreckende Verarmung der Vegetation eintreten. Vor einigen Jahrhunderten beschränkte sich unsre Gartenflora auf das, was wir heute etwa in einem Bauerngarten in weit abgelegener Gegend oder in dem wohlgepflegten Garten eines Landapothekers vom alten Schlage erblicken. Allerdings begann schon früh die gelegentliche Einführung fremder Pflanzen, und Konrad Gesner veröffentlichte 1560 ein alphabetisches Verzeichnis nebst Beschreibung der bis dahin in Deutschland vorhandenen 1160 fremden Pflanzen. Aber die Masseneinführung der Fremdlinge begann doch erst um die Wende des 15. und 16. Jahrh., wo die geistige Entwickelung und der Verkehr der Völker jenen unvergleichlichen Aufschwung nahmen. 1545 bestimmte der Rat von Padua ein Stück Gartenland zur systematischen Bepflanzung mit eingeführten Gewächsen, und so entstand der erste botanische Garten. Hauptsächlich war es zunächst Nordamerika, welches uns mit neuen Pflanzenarten versah. Neben der anfangs als Zierpflanze bei uns gehegten Kartoffel waren es beispielsweise die Akazie, der Tulpenbaum, der Sumachstrauch, der Lebensbaum. Ein bemerkenswerter Umschwung trat ein, als die Holländer aus Südafrika eine Menge hier unbekannter Pflanzen, wie Pelargonien, Dracänen, Eriken, Lobelia, Kalla, Aloe, und viele sogenannte Fettpflanzen einführten. Die Kultur der Zwiebelgewächse faßte in Holland Boden; der Leidener botanische Garten wurde zum Sammelpunkte dieser Südafrikaner, und sein Katalog wies schon 1668 eine Zahl von 6000 solcher Gewächse auf. Boerhave, der auch die Regeln zur Konstruktion von Gewächshäusern aufstellte, erwarb sich große Verdienste um die Akklimatisation der »Kappflanzen«. Eine ganz neue Richtung nahm die Einfuhr der Pflanzen an, als der alte französische Gartenstil dem englischen wich. Die Nachahmung der freien Landschaft in dem letztern rief das Bedürfnis nach neuen Holzgewächsen hervor; das Landschaftsbild sollte durch Bäume und Sträucher von abweichendem Wuchs und ungewohnter Belaubung möglichst vermannigfacht werden. Wieder war es Nordamerika, welches man hierzu in Anspruch nahm; man holte von dort Eichen- und Pappelarten, Weißdorne, Nußbäume, die rotblühende Kastanie und vieles andre. Dazu kam dann Asien, besonders Sibirien, welches unter anderm die Karagane und kleinfrüchtige Äpfel, und Ostasien, welches (allerdings erst in den 50er Jahren unsers Jahrhunderts) beispielsweise die Forsythien und Weigelien in unsre Gärten sandte. Wie diese Länder für Nordeuropa, so erwies sich Neuholland als Pflanzenspender für Südeuropa, und es darf als ein seltsamer Wandel des Geschickes betrachtet werden, daß diejenigen Pflanzen, welche ursprünglich während der Tertiärzeit in Europa selbst heimisch waren, heutzutage als Fremdlinge bei uns erscheinen und allmählich wenigstens in Teilen des Kontinents sich wieder heimisch machen. Der meist genannte unter ihnen ist der Fieberbaum (Eucalyptus). Erst spät hielten die eigentlichen Tropenbewohner, die Palmen, Araceen, Melastomaceen, die Baumfarne, letztere in der Mitte unsers Jahrhunderts, bei uns ihren Einzug. Nach den Bananen, Begonien etc. traten als letztes Glied die Orchideen auf. Der Beginn dieser Periode bezeichnet zugleich die Ablösung des Botanikers als Veranstalter der Einführung durch den Gärtner und damit die Organisation eines geschäftlichen Massenschubes von Pflanzen. Es begann eine Liebhaberwut für neue Orchideenspielarten mit ähnlichen übertriebenen Preisen, wie sie seinerzeit Holland in der Tulpenwut sah. Von solchen Auswüchsen des Pflanzenluxus hat man wieder zum einfachen Naturgeschmack zurückzukehren, damit die Pflanzenkunde bleibt, was sie sein soll, die sicentia amabilis.
Den zweiten Vortrag hielt Ebsteinm Göttingen über die Kunst, das menschliche Leben zu verlängern. Vortragender hob in einleitenden Bemerkungen die Lust am Leben hervor, welche die weiten Schichten des Volkes beseelt, trotz der pessimistischen Anschauung, welche von einigen modernen Philosophen gelehrt wird, und betonte das Interesse, mit welchem die Kulturstaaten die Erziehung eines langlebigen Geschlechts befördern. Die Länge des menschlichen Lebens deckt sich nicht mit der mittlern Lebensdauer. Die Untersuchungen von Lexis-Göttingen haben ergeben, daß in den meisten europäischen Staaten die normale Lebensdauer 70-75 Jahre beträgt. Im allgemeinen hat das weibliche Geschlecht ein etwas längeres Leben als das männliche. Die Sterblichkeit ist im ersten Lebensjahr weitaus am größten, und man hat sogar gemeint, diese große Sterblichkeit im frühsten Kindesalter als eine Naturnotwendigkeit ansehen zu müssen. Bis zum Anfang des zweiten Jahrzehnts, wo sie ihr Minimum erreicht, nimmt die Sterblichkeit stetig ab, sie steigt dann bis zum 50. Lebensjahr ganz allmählich an und ist verhältnismäßig gering. Nach dem Alter von 70-75 Jahren, in welchem die absolute Zahl der Todesfälle am größten ist, sinkt sie, indem die Zahl der Überlebenden sich mehr und mehr erschöpft, und sehr wenig Personen haben Aussicht, mehr als 90 Jahre alt zu werden. Hundertjährige sind Ausnahmen. Besonders aus Griechenland werden in neuester Zeit unverhältnismäßig viele über 100 Jahre alte Personen gemeldet. Die Zeiten sind vorbei, wo man wähnte, das Leben durch spezifische Mittel beliebig verlängern und Greise verjüngen zu können. Die Frage, ob es möglich ist, das menschliche Leben bis zur normalen Lebensdauer von 70-75 Jahren oder etwas darüber hinaus zu verlängern und dem entsprechend günstig zu beeinflussen, kann nur bedingungsweise bejaht werden, insofern dabei unzweifelhaft eine angeborne, häufig vererbte, glücklich geartete Beschaffenheit unsers Körpers die erste Stelle einnimmt. Indessen gibt es auch Mittel, welche der Langlebigkeit Vorschub leisten. Diese Kunst, das Leben zu verlängern, sollte bereits in der frühsten Kindheit einsetzen. Die Bedeutung einer verständigen Kinderernährung, bez. Erziehung, kann nicht genug hervorgehoben werden; leider bestehen heute in dieser Beziehung betrübende Schäden. Nicht minder wichtig ist der Einfluß, den der Staat mit seinen gesetzlich geregelten Einrichtungen auf die Erziehung eines ausdauernden Geschlechtes hat. Die Schule, das Turnen und die militärische Ausbildung spielen hier die wesentlichste Rolle. Außer diesen durch die häusliche Erziehung und die staatlichen Einrichtungen für die makrobiotischen Bestrebungen gegebenen Hilfsmitteln kommt besonders sowohl bei dem in den Kampf des Lebens eintretenden Jüngling als beim Greise die Selbstdisziplin in körperlicher und geistiger Beziehung in Betracht. Auch die »Muße des Greisenalters« soll nicht in Unthätigkeit bestehen. Das Wesentliche ist, daß die Menschen