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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Österreich (Geschichte)
Franzosen fraternisierten und das Bündnis mit Deutschland offen bekämpften, mußte der Statthalter Graf Thun beschwichtigend eingreifen und durch Veranstaltung von Loyalitätskundgebungcn jene häßlichen Vorfälle vergessen zu machen suchen. Der in Aussicht gestellte Besuch der Prager Landesausstellung durch den Kaiser wurde von Woche zu Woche verschoben, endlich zwar auf dringendes Anraten Taaffes im September doch unternommen, aber mit einem Besuch des deutschen Industriebezirks Reichenberg verbunden (s. Böhmen, Geschichte). Die Mahnungen des Kaisers zur Versöhnlichkeit blieben freilich anscheinend wirkungslos, und da die Alttschechen bei ihrer Bedingung bestehen blieben, daß sie den Ausgleich nur annehmen könnten, wenn die tschechische Amtssprache in den tschechischen Bezirken von der Regierung zugestanden werde, so war die Durchführung des böhmischen Ausgleichs aufs höchste gefährdet ,, wenn nicht unmöglich gemacht. Die Lage im Innern Österreichs war daher noch immer ganz unklar, als die Sitzungen des Reichsrates 10. Okt. wieder eröffnet wurden. Dem Abgeordnetenhaus wurde sofort der Voranschlag des Staatshaushaltes für 1892 vorgelegt, der bei 584,620,378 Gulden Ausgaben und 585,238,262 Guld. Einnahmen einen Überschuß von 617,884 Guld. aufwies; die Ausgaben waren um fast 20 Mill., die Einnahmen um 16 Mill. höher als 1891. In seiner erläuternden Rede kündigte der Finanzminister Steinbach eine Reform der direkten Steuern zu gunsten der kleinern Steuerträger an, während er den Zeitpunkt der allerdings ernstlich beabsichtigten Valutaregulierung noch nicht angeben zu können erklärte. Der Budgetausschuß beschloß, um die Budgetberatung zu beschleunigen, nur einige Etatsposten, welche gegen das Vorjahr erhebliche Veränderungen aufwiesen, im Ausschuß zu beraten ;; die übrigen sollten sofort im Plenum beraten und die übliche Generaldebatte erst am Schlüsse der Budgetberatung abgehalten werden. Das Haus genehmigte diesen Vorschlag 16. Okt. mit 173 gegen 31 Stimmen und bewilligte 23. Okt. ohne große Debatten den Dispositionsfonds; nur tadelte Plener ernstlich die schlaffe Haltung der Regierung in der Ausgleichsaktion und wiederholte, daß die Linke durch Bewilligung des Dispositionsfonds der äußerlich veränderten parlamentarischen Lage Rechnung trage, ohne der Regierung damit ein politisches Ver^ trauen auszusprechen, und ohne in der gegenwärtigen parlamentarischen Lage einen in: Sinne gedeihlich fortschreitender gesetzgeberischer Arbeit befriedigenden Zustand zu sehen.'
Die allßere ^^ ageder Monarchie erlitt 1891 keine Veränderung. Die Erneuerung des Dreibundes mit Deutschland und Italien hatte nur den Zweck, den von O. gewünschten Frieden zu befestigen, und die Verhandlungen über Handelsverträge mit diesen Nachbarmächten, welche zu einem glücklichen Abschluß führten, sollten die Bürgschaften des Friedens verstärken helfen. Gleichwohl verhehlten sich einsichtige Politiker und Militärs die Gefahren nicht, die dem frieden von Rußland drohten. Die panslawistischen Umtriebe machten sich nicht nur in Serbien seit der Abdankung Milans, sondern auch in Rumänien geltend, und daß Bulgarien allen Drohungen und Liebeswerbungen Ruhlands unzugänglich blieb, war zwar für Ö. erfreulich, erregte aber um so mehr den Zorn der russischen Panslawisten, so daß ein Gewaltakt Rußlands gegen Bulgarien nicht unmöglich war.
Daß dabei auch Ö. bedroht war, bewiesen die Ansammlungen ungeheurer russischer Truppenmassen
an der österreichisch-rumänischen Grenze des Zarenreichs und die äußerst lebhafte russische Spionage in Galizien. Das Reichskriegsministerium hielt daher eine weitere Verstärkung des österreichisch-ungarischen Heeres durch Vermehrung des Offizier- und Unteroffizierkorps, Erhöhung des Präsenzstandes der Infanteriekompanien und Erhebung aller Feld-batterien auf den Normalstand für notwendig, wozu 18 Mill. Guld. jährlich für erforderlich erachtet wurden. Aber bei den gemeinsamen Ministerberatungen über diese Heeresanforderungen, welche im September in Wien stattfanden, widersetzten sich sowohl der österreichische als der ungarische Finanzminister auf das entschiedenste und hartnäckigste einer erheblichen Vermehrung des Heeresbudgets, weil sie das mühsam hergestellte Gleichgewicht in ihren Staatshaushaltsvoränschlägen für 1892 nicht wieder gefährden wollten. Nur die Vermehrung der Artillerie wurde zugestanden und die Mehrforderung im gemeinsamen Budget für 1892 auf wenige Millionen (im ganzen 6V2 Mill.) beschränkt. Das Gesamterfordernis für die gemeinschaftlichen Reichsausgaben belief sich auf 140 Mill., von denen 40 Mill. durch die gemeinschaftlichen Zölle und 4V2 Mill. durch sonstige Reichseinnahmen gedeckt waren, so daß im ganzen nur 95 V2 Mill. Guld. von Ö. und Ungarn aufzubringen waren.
Die Delegationen traten 9. Nov. 1891 in Wien zusammen. Zum Präsidenten der österreichischen Delegation wurde der Vizepräsident des Herrenhauses, Fürst Schönburg, zum Vizepräsidenten des Budgetau^schusses Plener gewählt; den Vorsitz in der ungarischen Delegation erhielt Graf Franz Zichy. Dem Gebrauch gemäß hielt der Kaiser beim Empfang der beiden Delegationen 11. Nov. nach einer patriotischen Ansprache ihrer Präsidenten an jede der Delegationen eine gleichlautende Rede: »Mit Befriedigung kann Ich es aussprechen, daß wir mit allen Mächten
in durchaus freundlichen Beziehungen stehen.....
Zwar hat dies bisher noch nicht dazu geführt, die Gefahren der politischen Lage Europas zu beseitigen oder die allgemeinen militärischen Rüstungen zum Stillstand zu bringen; da aber das Friedensbedürfnis sich so allgemein und einmütig bekundet, erscheint die Hoffnung auf eine endgültige Erreichung jenes Zieles nicht ausgeschlossen. Möge es Mir beschieden sein, Meinen Völkern die frohe Botschaft verkünden zu können, daß die gegenwärtigen Sorgen und Lasten des bedrohten Friedens ihr Ende erreicht haben! Die Ihnen zur verfassungsmäßigen Behandlung zugehenden Vorlagen geben Zeugnis davon, daß Meine Regierungen mit größter Gewissenhaftigkeit die finanzielle Lage der Monarchie in Betracht gezogen und im Voranschlag für das stehende Heer und die Marine sich für nächstes Jahr auf die unaufschiebbaren und dringendsten Bedürfnisse beschränkt haben, wobei sehr wichtige Anforderungen der Heeresleitung vertagt werden mußten.« Der Kaiser hielt es jedoch für nützlich, im mündlichen Verkehr mit den Delegierten vor der allzu optimistischen Auffassung seiner Rede zu warnen und die Wahrscheinlichkeit künftiger Mehrforderungen für die Wehrkraft des Reiches zu betonen. Die nähern Erklärungen Kalnokys über die auswärtige Politik des Reiches, in denen er die engen Beziehungen zu den Mächten des Dreibundes betonte und alle Eroberungsgelüste Österreichs auf der Balkanhalbinsel entschieden abwies, wurden von beiden Delegationen gebilligt und das gemeinschaftliche Budget nach dem Voranschlag genehmigt. Die Sitzung der Delegierten wurde 3. Dez. geschlossen.