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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Preußen - Pribram
lesung einer Thronrede eröffnet, in der es hieß: »Anknüpfend an die im vorigen Jahre uersnchte gesetzliche Ordnung des Volksschulwesens wird wiederum der Entwurf eines Volksschulgesetzes vorgelegt werden; derselbe ist bestimmt, die einschlagenden Vorschriften der Verfassungsurkunde zur vollen Ausgestaltung zu bringen.« Der Entwurf wurde dem Äbgeordnetenhause sofort gleichzeitig mit dem Staatshaushaltsentwurf vorgelegt und regelte das gesamte Volksschulwesen in fast 200 Paragraphen. Sofort erkannte man die Artikel, welche die Herrschaft der Kirche über die Schule in P. verwirklichen und damit die Ansprüche der Ultramontanen befriedigen sollten: die Bestimmung, daß auch die Kinder der Dissidenten an dem Religionsunterricht der öffentlichen Volksschule teilnehmen müßten; das Necht der kirchlichen Behörden, bei der Prüfung der Seminaristen gegen die Lehrbefähigung in der Religion ein Veto einzulegen, den Religionsunterricht nicht bloß zu beaufsichtigen, sondern auch dem Lehrer direkte Weisungen zu erteilen und ihm den Religionsunterricht jederzeit zu entziehen, um ihn selbst zu übernehmen; endlich die Freigebung der Errichtung von Privatschulen durch jedermann, also auch durch Mönchsorden. Graf Zedlitz hatte den Entwurf ohne Mitwirkung des von Goßler neu berufenen Ministerialdirektors Kügler ausgearbeitet und verteidigte ihn als die korrekte Ausführung der Verfassung.
Vei der ersten Beratung, die 25. Jan. im Abgeordnetenhause begann, traten die Konservativen, Nltramontanen und Polen entschieden für ihn ein, während er von den Freikonseruatiuen, Nationalliberalen und Freisinnigen heftig bekämpft wurde. Der Unterrichtsminister und auch der Ministerpräsident wurden durch diese Opposition überrascht und gereizt; sie kam ihnen völlig unerwartet, weil sie sich der Tragweite jener Bestimmungen des Entwurfes offenbar nicht bewußt waren. Graf Caprivi vergaß ganz, als er in die Verhandlungen eingriff, daß er bei der Vorlegung des Goßlerschen Entwurfes ein Jahr zuvor geäußert hatte, daß dieser das äußerste Maß an Zugeständnissen an die Kirche enthalte, und bezeichnete die Opposition der drei Parteien als eine Verschwörung, die Gegner des Entwurfes als Atheisten; er schloß mit der herausfordernden Drohung, daß die Regierung auch gegen den Strom zu schwimmen vermöge. Graf Zedlitz erklärte sich schließlich zu einer Verständigung über die einzelnen Punkte in der Kommissionsberatung bereit, zumal der Kaiser schon 23. Jan. in einer Konferenz mit mehreren Ministern und Parlamentariern seinen entschiedenen Willen ausgesprochen hatte, daß das Volkvschulgesetz nur im Einverständnis mit den gemäßigten Parteien zu stände kommen dürfe. Indes in der konservativen Partei hatte die streng orthodoxe Richtung unter Kleist-Retzow und Stöcker das Übergewicht, und ihre Vertreter in der Kommission unterstützten nicht nur nicht die Verständigungsversuche, sondern lehnten im Verein mit den Nltrcimontanen alle vermittelnden Anträge, auch wenn die Regierung sich für sie ausgesprochen hatte, rücksichtslos ab. Die konservativ-ultramontane Mehrheit des Abgeordnetenhauses wollte ihre Macht auch einmal geltend machen. So wurden durch Kommissionsbeschlüsse die Simultanschulen dem Untergang geweiht, die bisherige Organisation des städtischen Volksschulwesens teilweise zerstört. Der Kaiser ergriff daher 17. März in einem Kronrat die Gelegenheit, daran zu erinnern, daß er das Volksschulgesetz nur im Einvernehmen mit den Freikonservativen und den Nationalliberalen,
nicht bloß durch die konservativ-klerikale Mehrheit zu stände gebracht zu sehen wünsche, und dies nahm Zedlitz zum Anlaß, sofort 18. März seinen Abschied zu erbitten. Er erhielt denselben und wurde durch den bisherigen Staatssekretär des Reichsjustizamtes, Bosse, ersetzt. Aber auch Graf Caprivi reichte seine Entlassung ein, weil er sich infolge seines entschiedenen Eintretens für das Volksschulgesetz mit Zedlitz solidarisch fühlte. Ein Wechsel im Reichskanzleramt war indes in vieler .Hinsicht unerwünscht, und so wurde das Auskunftsmittel gewählt, daß Caprivi Reichskanzler blieb, aber sein Amt als preußischer Ministerpräsident niederlegte; er blieb als Minister
! des Auswärtigen Mitglied des preußischen Ministeriums und behielt die Entscheidung über die Führung der preußischen Stimmen im Bundesrat. Zum Ministerpräsidenten wurde der frühere Minister des Innern und bisherige Oberpräsident von Hessen-Nassau, Graf Eulen bürg, ernannt, der am 28. März im Abgeordnetenhause die Mitteilung machte, daß die Regierung auf die Fortsetzung der Beratung des Volksschulgesetzes verzichte, da die Erörterung desselben die schärfsten Gegensätze hervorgerufen und die Beratungen der Kommission zu einer Verständigung nicht geführt hätten. Diese unerwartete Wendung der Dinge reizte die so siegesgewissen Mehrheitsparteien zu äußerstem Zorn. Die Ultramontanen waren sich wenigstens konsequent geblieben und hatten 1891 den Goßlerschen Entwurf zu Falle gebracht, während der Zedlitzsche ihre Ansprüche zu erfüllen schien. Die Konservativen jedoch, die 1891 sich mit den gemäßigten Parteien über den Goßlerschen Entwurf verständigt, dann aber eine scharfe Schwenkung zu den Kleritalen gemacht hatten, mußten sich nun eine völlige Verleugnung von höchster Stelle gefallen lassen. Die Entrüstung kam bei der Beratung des Nachtragsetats, durch welchen ein besonderes Gehalt für den Ministerpräsidenten ohne Portefeuille ausgeworfen wurde, Ende April in ausgiebigster Weise zum Ausdruck.
Der Staatshaushaltsetat für 1892/93 war infolge der Verminderung der Einnahmen und der erheblichen Vermehrung der Ausgaben in der Staatseisenbahnverwaltung bei weitem nicht so günstig wie der vorjährigerer Minderüberschuß betrug 42Mill.Mk.),
^ weswegen die peinlichste Sparsamkeit vom Finanzminister für notwendig erachtet wurde. Die Beratung des Etats wurde zur rechten Zeit vor dem 1. April zu Ende geführt. Außerdem wurden noch eine Reihe kleinerer Gesetze über die Gehaltsverhältnisse der Lehrer an den höhern Schulen, über die Aufhebung der Steuerfreiheit der Standesherren, über die Entschädigung für die zu beseitigenden Stolgebühren, die Kosten der Polizeiverwaltungen in den Städten u. a. beschlossen.
Pribrnm, Francis Alfred, österreich. Historiker, geb. 1. Sept. 1859 zu London, studierte in Wien Geschichte, habilitierte sich als Privatdozent der Geschichte an der Universität daselbst und ward zum Professor ernannt. Er schrieb: »Österreich und Brandenburg 1685-86 < (Innsbr. 1884); »Österreich und Brandenburg 1688 - 1700« (Prag 1885); »Die Berichte des kaiserlichen Gesandten Franz von Lisola aus den Jahren 1655-1660« (Wien 1887); »Zur Wahl Leopold I.« (das. 1888); »Beiträgezur Geschichte des Rheinbundes von 1658« (das. 1888); »Aus englischen und französischen Archiven und Bibliotheken^u a. Auch gab er die Abteilung »Auswärtige Akten.
Österreich« in den »Urkunden und Aktenstücken des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg« (Bd. 14, Berl. 1890) heraus.