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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Russisches Reich (Finanzen und Getreideausfuhrverbot)
ist, daß sie den zu vererbenden Charakter in weit regelmäßigerer und konstanterer Weise festhalten als die aus Samen gezogenen Nachkommen. Ein weiterer Vorteil dieses neuen Samenzuchtverfahrens besteht in der Möglichkeit, die aus bereits auserlesenen Rüben erhaltenen Tochterpflanzen einernochutaligen Auslese zu unterwerfen und durch Veseitiguug aller Individicett, lvelche die gewünschten äußern und innern Eigenschaften nicht besitzen (z. V. Neigung zum Aufschießen zeigen), mancherlei Fehler mit mehr Aussicht auf Erfolg von der Vererbung auszuschließen, als man dies mit den gegenwärtig üblichen Mitteln ermöglichte. Diese vegetative Vermehrung der Rübe, welche nur die vorhandenen Eigenschaften zu erhalten vermag, ist dagegen nicht im stände, eine Steigerung derselben zu ermöglichen. Letzteres sowie die Möglichkeit von Variationen und die Heranbildung neuer Charaktere ist nur an die sexuelle Vereinigung männlicher und weiblicher Blütenorgane oder an die Fortpflanzung durch Samen gebunden.
Russisches Reich (Finanzen und Getreideaus fuhrverbot). Kein Land hat die Konvertierungen in so großartigem Maßstabe betrieben und in seinen finanziellen Verhältnissen solche Fortschritte gemacht wie Rußland, ungeachtet in Deutschland von der Reichsbank die Beleihung russischer Wertpapiere ausgeschlossen wurde. Vis dahin war die Berliner Börse der Mittelpunkt aller russischen Finanzoperationen; der Ausschluß der Beleihung rief aber einen Wechsel hervor und verlegte den Mittelpunkt aller russischen Finanzunternehmungen nach Paris, wo wirtschaftliche und politische Gründe zusammenwirkten, um den auf den Markt kommenden russischen Anleihen gute Aufnahme zu gewähren. Zwar hat die Pariser Börse alle Anleihen aufgenommen, jedoch mit Hilfe der Spekulation, auf welche ein bedeutender Teil diefer aufgenommenen Anleihen fiel. Spekulationsmaterial ist gleichbedeutend mit flottantem Material, und dieses mußte einmal an den Markt kommen und die Kurse drücken. Das geschah, als das Haus Rothschild die Übernahme einer dreiprozentigen russischen Konvertierungsanleihe, welche unmittelbar vor der Emission stand, ablehnte. Rußland soll diese Anleihe von 500 Mill. Frank zu 81,50 Proz. begeben haben. Ist diese Ziffer richtig, dann hätte Nutzland zu 3,68 Proz. Geld erhalten, einem Satze, welcher das Zeugnis voller Kreditwürdigkeit gegeben haben würde. Rothschild aber hat durch seine Ablehnung dieses Zeugnis nicht bestätigt.
Der Kurs der Wechsel und Noten ist, soweit nicht die Spekulation mitwirkt, das Ergebnis der Zahlungsbilanz eines Landes, und diese ist ein Ergebnis des gesamten Verkehrs. Rußland schloß in den letzten Jahren seine Handelsbilanz mit einem bedeutenden, aber in der Höhe wechselnden Saldo des Ausfuhrwertes. Der Ausbau des Eisenbahnnetzes hat größere Landesteile der Ausfuhr landwirtschaftlicher Erzeugnisse erschlossen und den Boden für eine günstige Gestaltung der Verhältnisse gegeben; aber die Belastung des Landes mit im Ausland in Gold zahlbaren Zinsen und Dividenden hat den Einfluß der günstigen Handelsbilanz geschwächt, obwohl Rußland das Schutzzollsystem teilweise zu einem Prohibitiusustem ausgebildet und die Einfuhr fremder Erzeugnisse stark vermindert hat. Hierzu tritt die Einwirkung der Spekulation auf die Kursbildung der russischen Valuta, welche zwar vorübergehend, aber im vorliegenden Falle sehr bedeutend war. Im September 1890 erreichte der Kassakurs der russischen Noten in Berlin 265; die Goldparität berechnete sich mit 324,98 Mk.
Der Unterschied zwischen beiden war also noch ein erheblicher, aber die Spekulation glaubte den Übergang Rußlands zur Goldwährung mit solcher Sicherheit voraussetzen zu dürfen, daß ein Zweifel ohne jede Berechtigung erschien. Die Ansammlung großer Hausse-Engagements und andre Verhältnisse veranlaßten aber einen solchen Andrang zum Verkauf, daß der Kurs der Noten bis zum Jahresabschluß auf 240 und seitdem bis 210 und noch weiter sicl. Man hatte eine sehr gute Ernte und eine sehr starke Ausfuhrfähigkeit landwirtschaftlicher Erzeugnisse vorausgesetzt, sah sich aber getäuscht, weil das Wetter alle Rechnungen zu schänden machte. Es wurde behauptet, daß Nußlcmd eine schlechte Ernte zu erwarten habe und ein vollständiger Notstand, sogar eine Hungersnot in vielen Landesteilen unausbleiblich sei.
Das alles schließt nicht aus, daß Rußland die Herrschaft über den europäischen Geldmarkt bis zu einem gewissen Grade gewonnen hatte; durch das Roggenausfuhrverbot und die durch dasselbe veranlaßten wirtschaftlichen Veränderungen wird diese Herrschaft jedoch wieder in Frage gestellt. Rußland besitzt bedeutende Guthaben in England, Frankreich, Deutschland; dieselben lassen sich nicht genau angeben, weil nicht allein die russische Staatsbank, sondern auch das Finanzministerium solche Guthaben hat. Am 1./13. Juli hatte allein die Staatsbank 130,28 Mill. Nubel, das sind, weil die Staatsbank ihre Veröffentlichungen in Kreditrubel macht (zum Kurse von 210), rund 274 Mill. Mk. Zur Zeit der dem Hause Baring von der englischen Bank geleisteten Hilfe hatte Nußlandi^ Mill. Pfd.Sterl. und darüber bei der englischen Bank stehen. Die Vermittelung mit derselben lag in den Händen des Hauses Rothschild, und dieses zog im Juli 1891 bedeutende Summen zurück. Da aber der russische Finanzminister in dieser Zeit keinen Goldbedarf hatte, so blieben diese Summen in der englischen Bank, und die Gefahr einer Diskontoerhöhung war vorläufig beseitigt. Die Thatsache, daß Rußland in jedem Augenblick nicht allein in England, sondern auch in Frankreich und Deutschland stehende Guthaben zurückziehen kann, verleihen Rußland eine Macht, welche nicht unterschätzt werden darf. Die im Auslande stehenden Guthaben des russischen Finanzministeriums sind nicht genau bekannt. Das 1891er Budget enthält Angaben vom 20. Dez. 1890 (1. Jan. 1891), welche keinen Maßstab geben, teils weil sie nicht ganz klar sind, teils weil sie aus einer Zeit stammen, seit welcher sich durchgreifende Änderungen vollzogen haben. Später hat Rußland bedeutende Summen Gold aus dem Auslande zurückgezogen; den größten Teil hiervon zur Verwendung für die Linderung des Notstandes.
In der neuesten Zeit hat sich in der Gestaltung der Verhältnisse ein vollkommener Wechsel bemerkbar gemacht. Der Rubelkurs ist unter 210 Mk. für 100 Kreditrubel gefallen. Das Ausfuhrverbot für Roggen, Roggenmehl und Kleie ist ergangen und übt einen bedeutenden Einfluß auf die Preisbildung der Brotfrüchte, besonders des Roggens, aus, zu welchem sich durch spekulative Deckungsankäufe ein Faktor hinzugefügt hat, welcher den Preis des Roggens sehr bedeutend steigerte. Der Ernteertrag Rußlands betrug in Millionen Tschetwert ft 2,099 kl):
1890
188?
1886
Weizen .. .. . 37.9 35.9 55.1 46,7 27,0
Roggen .. .. . 120,7 101.2 133.7 125,0 111,0
Hafer. .. .. . 96,9 99.8 100.1 101.0 95.0
Gerste. .. .. . 29,5 2.',8 32,7 28.9 22,4