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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Spanische Litteratur (Belletristik)
Sohn des bekannten Geschichtschreibers Cavanilles, dessen Werk er fortzusetzen beabsichtigte. Am 12. April 1889 starb Galindo y de Vera, Mitglied der Akademie, Cortesdeputierter und bedeutender Rechtsgelehrter; er schrieb eine große Zahl juristischer und geschichtlicher Werke, die von dauerndem Wert sind. Am 12. Febr. 1889 starb Jimenez Delgado, ein lyrischer und Komödiendichter, dessen Werke allgemeinen Beifall fanden. Am 17. Juli schied Salvador Lastra aus dem Leben; er hat eine große Zahl von kleinen Lustspielen und Operettentexten geschrieben, die sich dauernd auf dem Repertoire halten, wie »Vivitos y coleando«, »En la tierra come en el cielo«, »El fantasma de los aires«. In Montalban Herranz verlor die juristische Wissenschaft einen ihrer bedeutendsten Vertreter und Schriftsteller. Die Katalonen verloren in Francisco Pelayo Briz (20. Juli 1889) einen der energischsten Vorkämpfer für dis Wiederbelebung der katalonischen Litteratur. Er war 1869 bereits zum Maestro en gay saber, 1875 zum Präsidenten der Blumenspiele in Barcelona erwählt worden; er übersetzte unter anderm auch Goethes »Faust«. Am 24. Okt. d. J. starb in Valencia ein dortiger Vertreter des Katalonismus, Vicente Wenceslao Querol, der durch seine »Rimas« allgemein bekannt geworden ist. In dem 4. Sept. 1889, kurz nach seiner Rückkehr aus Rom, wo er mehrere Jahre Botschafter Spaniens gewesen war, verstorbenen Marques de Molins, Don Mariano Roca de Togores, hat Spanien einen seiner bedeutendsten Staatsmänner, die Litteratur einen ihrer eifrigsten Förderer verloren. In allen Zweigen derselben zeichnete er sich vorteilhaft aus; er war Mitglied aller Akademien Madrids. Francisco Rodriguez Zapata, langjähriger Lehrer der Dichtkunst und selbst bedeutender Dichter, starb 14. Aug. Die Musikgeschichte Spaniens verlor in Baltasar Saldoni y Remendo, dem Verfasser des »Diccionario biográfico de músicos españoles«, einen ihrer wenigen gründlichen Bearbeiter. An: 19. Dez. starb Francisco Sanchez de Castro, Professor der Madrider Universität und allgemein geichätzter dramatischer Schriftsteller und Litterarhistoriker; Tarrazo y Mateos, ein Granadiner Novellist, starb 16. Nov. Einen schweren Verlust erlitt die spanische Wissenschaft durch den am 4. Nov. 1891 erfolgten Tod Manuel Canñtes, der sich um die Erforschung der spanischen Litteraturgeschichte sehr verdient gemacht hat. Er bekleidete hohe Staatsämter, war Mitglied aller gelehrten Gesellschaften Spaniens und wurde als erste Autorität für alle auf die Geschichte der mittelalterlichen Litteratur bezüglichen Fragen betrachtet.
Unter denen, die heute eine bedeutende Rolle in der Belletristik spielen, muß zuerst Perez Galdos, genannt werden. Obgleich er der Versuchung nicht hat widerstehen können, die in Spanien an alle Männer herantritt, die sich auf irgend einem Gebiete der Geisteskultur auszeichnen, nämlich am politischen Leben aktiven Anteil zu nehmen und in die Cortes einzutreten, so hat er doch darum nicht nur nicht aufgehört, litterarisch thätig zu sein, sondern er hat seinen Fleiß womöglich noch gesteigert. Selbst die häufigen Reisen nach den baskischen Provinzen, wo er sich ein Schloß bauen läßt, beeinträchtigen nicht seine litterarische Thätigkeit. Im Jahr 1889 erschienen von ihm die Novellen »La incógnita« und »El suplicio de Torquemada«. 1890 erschien ein Band kleinerer Schriften, 1891 dann der große dreibändige Roman »Angel Guerra«, der sehr ungleiche Beurteilung erfahren hat, und gleichzeitig der die sozialen Tagesfragen behandelnde Roman »La desheredada«. Im allgemeinen können sich alle seine neuern Arbeiten, so viel Schönes sie auch enthalten mögen, doch nicht mit den frühern messen. Ermüdende Weitschweifigkeit ist einer der Hauptvorwürfe, welche Perez Galdos gemacht werden. Die neuern Werke dieses fruchtbaren Romanschriftstellers bekunden überdies eine wesentliche Veränderung der, Weltanschauung desselben. Er hat sich dem Einfluß des Realismus und Naturalismus nicht entziehen können. Wollte er seinen litterarischen Ruf bewahren, seine Stellung behaupten, so mußte er der von Frankreich her eingedrungenen Geschmacksrichtung Rechnung tragen, die in Spanien festen Boden gefaßt und mehrere der bedeutendsten Schriftsteller vollständig für sich gewonnen hat. »Die Enterbte« , (»La desheredada«) behandelte nicht nur einen den Tagesfragen entlehnten Stoff, sondern wurde auch in naturalistischem Stil abgefaßt. Neuerdings gedenkt der Dichter verschiedene seiner Novellen für die Bühne zu bearbeiten, und seine Anhänger sind der Überzeugung, daß damit eine neue Ära für das, spanische Theater beginnen wird. Das wird man, abwarten müssen; was indessen bis jetzt über den ersten derartigen Versuch berichtet wird, den er vorbereitet, über das Drama »Realidad« gibt noch keinen Anlaß zu derartigen überschwenglichen Vermutungen. Die hauptsächlichsten Konkurrenten, welche Perez Galdos den Rang des ersten Novellisten streitig machen, sind José M. Pereda, ein früherer Karlist, und Emilia Pardo Bazan, die beide durchaus auf dem Boden des Realismus stehen, doni denen die letztere aber unbedingt als die Hauptvertreterin des weitestgehenden Naturalismus betrachtet werden muß. Beide weichen jedoch in ihren religiösen Ansichten bedeutend von den französischen Realisten und Naturalisten ab, sie stehen beide auf dem katholisch - kirchlichen Standpunkt, und dieser Umstand söhnt selbst die strengsten Verurteiler der französischen Naturalisten und ihrer spanischen Jünger und Nachahmer mit den Werken der beiden Genannten aus. Pereda hatte 1888 »Bocetos al temple«, »Sotileza« und 1889 »La Puchera« veröffentlicht; 1890 und 1891 folgten die Romane »Al primer vuelo« und »Nubes de estío«. Der Verfasser geht auch in diesen neuern Werken nicht über den engen Rahmen seiner Heimat, der Provinz Santander, hinaus, was der weitern Verbreitung der Werke Peredas, namentlich im Ausland, sogar in Spanien selbst nicht dienlich ist. Überdies wird der Genuß der an sich meisterhaften Schilderungen durch Weitschweifigkeit recht beeinträchtigt. Emilia Pardo de Bazan ist von dem Ehrgeiz beseelt, dis spanische Staël zu sein, das litterarische Leben ihrer Zeit womöglich zu beherrschen. Sie geht im Naturalismus bis an die äußersten Grenzen, die die französischen Kollegen erreicht haben; unterstützt von einem starken Gefolge von Verehrern, Nachfolgern und Kritikern sucht sie die Gesellschaft Spaniens ihrer Geschmacksrichtung zu gewinnen; sie hat ihr eignes Journal gegründet, »Nuevo teatro critico«, in dem sie jede litterarische Neuigkeit von irgend welcher Bedeutung ihrer scharfen Kritik unterwirft, in dem sie alle litterarischen und sozialen Streit- und Zeitfragen behandelt, mit Unerschrockenheit alle ihre zahlreichen Gegner bekämpft und zu neuen Kämpfen herausfordert. Überall tritt sie für die modernen Forderungen des weiblichen Geschlechts ein, will diesem die Akademien und gelehrten Gesellschaften er-^[folgende Seite]