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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Teppiche (orientalische)
teppiche, die in Wien überraschend reich vertreten war, ist in Seide mit Gold - und Silberfäden ausgeführt. Ihre Musterung beruht auf dem mit Recht als persisch bezeichneten Rankenwerk, dessen Kennzeichen eine palmettenartige Blüte und ein gezacktes Lanzettblatt sind. Auf diesen Seidenteppichcn tritt es aber in einer europäischen Einfluß verratenden Anordnung und einer eigenartigen Umbildung auf, welche den Gedanken an persische Arbeit ausschließt.
Man hat diese vortrefflich gearbeiteten Seidenteppiche mit wenig verbürgten und widerspruchsvollen Nachrichten über eine Tcppichindustrie, die im 17. Jahrh, unter persischem Einfluß in Polen geblüht haben soll, in Verbindung gebracht nnd sie daraufhin Polenteppiche genannt. Wahrscheinlicher ist, daß sie in Nachahmung der damals am Sefeuidenhofe in Ispahan massenhaft verwendeten iranischen Eeidenteppiche für den Hof von Stambul gearbeitet worden sind. Die persischen T. lassen sich, wenn man sich nur an das erhaltene Material hält, nicht über das 16. Jahrh, zurückverfolgen. Das Land öat in diesem und dem folgenden Jahrhundert seiner letzten Blütezeit unter Schah Abbas I. und dessen nächsten Nachfolgern zahlreiche Arten vo Munsttevpichen oder Perserteppichen im engern Sinne hervorgebracht.
Ihr Material ist bald Wolle, bald Seide, beide zuweilen mit eingewirkten Gold- und Silberfäden, letztere aber in bescheidenerer Verwendung als bei den türkischen Stücken. Technisch kennzeichnet sie ein kurzer, glatter Flor von so überaus dichter Textur, daß die Wollbündel der einzelnen Points mit dem Auge auf der Schauseite nicht zu unterscheiden sind.
Die Muster sind sehr mannigfaltig, gehen aber alle auf wenige Grundmotive zurück.' Die Grundlage der gesamten rein persischen Teppichornamentation ist vegetabilen Charakters. In erster Reihe steht das schön geschwungene Rankenwerk mit gezacktem Blatt und der palmettenartigen Blüte, die am ehesten der stilisierten Seitenansicht einer Tistelblüte zu vergleichen ist. Dieses Rankenwerk beherrscht die ganze persische Kunst während des 16. und 17. Jahrh, und hat jedenfalls schon vorher eine bevorzugte Rolle in ihr gespielt. Es vereinigt sich in der Regel mit einigen Blattformen der abstrakten, das vegetabile Vorbild nicht mehr erkennen lassenden westsarazenischen Form der Ranke, der Arabeske. Auf den Teppichen bildet das Rankenwerk entweder allein, in einheitlich entworfener Zeichnung von einem spitz-ovalen Mittelfeld ausgehend, das Muster, oder es verbindet sich mit Tieren und (was seltener ist) mit menschlichen Figuren. Unter den erstern sind viele der chinesischen Kunst entnommen, welche Persien vom 13. bis zum 18. Jahrh, stark beeinflußt hat; dazu gehören die Drachen, Khilins und Paradiesvögel. Die übrigen sind Teile der Iagddarstellungen, die seit dem Altertum bis in die Gegenwart die beliebtesten Motive der persischen Kunst bildeten. Daher haben die T. nur jagdbare Tiere, Löwen, Panther, Gazellen, Hasen, Vögel u.a., vielfach im Kampfe miteinander begriffen, wie schon auf den Reliefs der Achämeniden in Persepolis und auf sassanidischen Denkmälern. Man nahm bisher an, daß diese neupersische Flachornamentik sich als Eigentum einer national-iranischen Kunst aus altorientalischen, assyrischen und achämenidischen Anfängen entwickelt habe.
Riegl vertritt in der oben erwähnten Schrift zuerst und mit beachtenswerten Gründen die Ansicht, das gesamte islamitische Flachornament vegetabilen und animalischen Charakters sei durchaus eine Fortbildung des antiken, hellenistischen Ornamentes, das
von der Diadochenzeit an im Orient eingeführt worden wäre. Für die westsarazenische Arabeske ist der hellenistisch-byzantinische Ursprung schon früher erkannt worden. Die Behauptung ist für sie auch zweifellos richtig und durch ihre Anfangsformen an frühen Kairener Moscheen, wie der Moschee Ibn Tulun, in den Einzelelementen schlagend nachzuweisen. Für die iranische Ranke mit ihrer Palmette macht Niegl die gleiche Herkunft wenigstens wahrscheinlich. Fortlaufende Wellenra Mn und Spiralranken kennt die assyrische Kunst nicht, und ihr erstes Vorkommen auf persischem Boden, an sassanidischen Bauten, zeigt sie in Verbindung mit griechisch-römischen Zierformen. Es fehlen aber noch mittelalterliche iranische Denkmäler, welche die Wahrscheinlichkeit zum Beweis erhöhen. Zu weitgehend ist die Theorie vom hellenistischen Ursprung der orientalischen Kunst, wenn sie sich auch auf die Tierdarstellungen ausdehnt. Diese sind in vorgriechischen, assyrischen und persischen Monumenten inhaltlich und formell mit den neupersischen so nahe verwandt, daß direkte Ab.-stammung angenommen werden muß. Die iranische Kunst ist von der Antike beeinflußt, aber sie ist im wesentlichen eine auf nationalen Grundlagen fußende geblieben. Echt iranisch im Ornament ist eine zweite Art des Perserteppichs, welche naturalistisch gebildete Blumenpflanzen, Sträucher und Bäume in freier Anordnung über die Fläche verteilt zeigt. Auch hier sind häufig Jagdszenen oder einzelne Tiere eingemengt. Zu dieser Gruppe gehörte das Hauptstück der Wiener Ausstellung, der sogen. Iagdteppich, als Geschenk Peters d. Gr. m kaiserlichen Besitz nach Wien gelangt. Ganz in Seide ausgeführt, trägt er Hunderte von Reitern und Tieren jagend auf einer blumigen Wiese. Im Mittelfeld sind chinesische Drachen, in der Bordüre geflügelte Genien. In Ausführung, Größe und Erhaltung ist er wohl das kostbarste Werk, das von altorientalischer Teppichknüpferei noch existiert.
Der Türkei, Persien und einigen jetzt unter russischer Oberhoheit stehenden Grenzländern gemeinsam ist der durch die Volkskunst des Hausfleißes von türkischen und turkomenischen Stämmen hergestellte Nomadenteppich. Seine Textur ist immer eine gröbere, die zur Ausführung der kunstvollen Dessins des persischen oder türkischen Luxusteppichs nicht ausreichen würde. Seine Musterung beruht ursprünglich auf den für die Knüpftechnik naturgemäßesten, geradlinigen, geometrischen Figuren, wie Sternen und Rosetten in regelmäßig verteilten Feldern. Ziemlich rein erscheinen die geometrischen Muster noch auf den kleinasiatischen Teppichen des 15. und 16. Jahrh., die selten im Original erhalten, häufiger durch die genauen Kopien auf Bildern europäischer Maler, wie Carpaccio, Ghirlandajo, Holbein u. a., überliefert sind. Bald danach zeigen sie sich aber durch die vegetabilen Motive des persischen Kunstteppichs beeinflußt. Diese werden von den Nomaden imitiert, aber, der primitivern Technik und gröbern Textur entsprechend, in geradlinige Formen umgewandelt, so daß es oft schwierig ist, das vegetabile Vorbild wieder zu erkennen. Die Mischung alter, rein geometrischer und scheinbar geometrischer, stilisierter, vegetabiler Muster ist für den Nomadenteppich aus Persien, dem Kaukasus und Kleinasien in der Neuzeit vorherrschend. Nur die T. der Tekke-Turkmenen aus Turkistan sind von pflanzlichen Zierformen ziemlich frei geblieben.
Eine Art von Teppichen, mit zierlichen Arabesken und Linienverschlingungen gemustert, fast nur in den Farben rot und grün, ist durch Analogie mit nord-