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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Zuckersteuer (Deutschland)
und örtlich verschieden ist. Wird, wie das thatsächlich vorkommt, in einem Falle aus 15 Ton. Rüben1 T. Zucker gewonnen, während in einem andern hierfür nur 7,50 T. Rüben erforderlich sind, so wird für die gleiche Menge Zucker hier ein doppelt so hoher Betrag an Steuern gezahlt wie dort. Dazu kommt, daß der höher besteuerte Fabrikant unter ungünstigen Umständen auch mit verhältnismäßig höhern Kosten arbeitet. Lediglich um an Steuern zu sparen, werden leicht an und für sich unwirtschaftliche Eiw richtungen getroffen; beim Ankauf der Rüben wird mehr auf den Zuckerreichtum als auf die Menge gesehen, während gerade die großen Ernten der Landwirtschaft billiger zu stehen kommen und ihr mehr Blätter und Preßrückstände für Viehzucht und Düngung liefern. Da bei der einfachen Rübensteuer die Melasseentzuckerung nicht getroffen wird, so wurde auch schon eine besondere Melassebesteuerung gefordert, hiergegen wurde geltend gemacht, daß der Begriff Melasse nicht leicht festzustellen sei. 1885 wurde im Reichstage einmal als Melasse bezeichnet >das Residuum aus der Zuckerfabrikation, in dessen Trocken> substanz die Menge des Nichtzuckers größer ist als die des Zuckers«, dann als »das Residuum, aus welchem Zuckerkristalle von selbst sich nicht mchr abzuscheiden vermögen, von 42 Proz. Beaume und mindestens 48 Teilen Zucker in 100 Teilen« und 1883 von der Zuckerenquetekommission als der bei der Kristallisation von Zucker verbleibende Sirup, welcher auch nach nochmaligem Verkochen bei längerer Ruhe keinen in Kristallform sich abscheidenden Zucker mehr gibt«. Diese Fassung, erklärte hiergegen eine Versammlung von Melassefabrikanten, führe dahin, im allgemeinen jede doppelte Reinigung der Riibensäfte zum Zwecke möglichster Ausbringung des in der Rübe enthaltenen Zuckers, also jeden Fortschritt in der Industrie zu hintertreiben. Auch mache die Melassebesteuerung eine mit großen Schwierigkeiten verbundene Kontrolle geaen Rohzuckerfabriken, Melasse-Entzuckerungsanstalten und Raffinerien nötig.
Schwierigkeiten dieser Art würden bei der Fabrikatsteuer in Wegfall kommen.
Noch 1887 glaubte die Regierung in Deutschland an der Material-(Rüben-) Steuer festhalten und dieselbe mit einer Fabrikatsteuer verbinden zu sollen.
Dagegen wollte das Gesetz von 1886 die zur Wiedererlangung befriedigender Steuererträge gebotenen Reformen ausschließlich auf dem Boden der Materialsteuer vollziehen. Die wirkliche durchschnittliche Ausbeute an Zucker aus den Rüben dürfte darum nicht erheblich über das der Steuer und der Steuervergütung zu Grunde zu legende Verhältnis hinausgehen. Man unterstellte ein Verhältnis von 100:10,1,^. Eine höhere Durchschnittsausbeute war bis dahin nur in den Betriebsjahren 1883/84 und 1884/85 erhielt worden. Nun aber war dieselbe im I. 1885 66 erheblich übertroffen worden, und für 1886 87 wurde abermals ein höheres Ausbringen erwartet. Unter diesen Umständen hatte sich die Aussicht auf sichere und angemessene hohe Steuererträge so verringert, daß eine weitere Abänderung der Zuckcrsteuergesetzgebung im Interesse der Reichsfinanzen als unvermeidlich erschien. Nun war damals noch weiter bemerkt worden, es komme in Betracht, daß zu den sehr hohen Zuckerausbeuten aus den Rüben in den Jahren 1885/86 und 1886/87 außergewöhnlich günstige Wit-terungsverhältnisse nicht unerheblich mitgewirkt zu haben schienen, und daß die große Vorsicht, deren es überhaupt bei dem Ausmaß der Stcueruergütung bedürfe, damit nicht die Zuckerfabriken mit schlech-Meyers Konv.-Lexikon, 4. Aufl., XIX. Bd.
term Rübenboden in der Regel, die übrigen Fabriken aber wenigstens in unbefriedigenden Erntejahren empfindliche Einbußen an der Steuer erlitten, gerade jetzt in besondern: Maße geboten sei. Doch war die Durchschnittsailsbeute in den folgenden Jahren immer noch größer als in jenen beiden Jahren mit ihren »außergewöhnlich günstigen Witterungsverhältnissen«. Seit 1879 war fast von Jahr zu Jahr ein Fortschritt zu verzeichnen. Es wurden
aus 100 k F für 1 kx aus 100 KZ für 1 k F
Be Rüben ge Rohzucker Ve Rüben ge Rohzucker
wonnen gebraucht wonnen gebraucht
jahren
Rohzucker Kilogr.
Rüben Kilogr.
jahren Rohzucker Kilogr.
Rüben
1879'80
8,52 11.74 1885/86 11,43 8,75
1880/81
8,79 11,37 1886/87 11.87 8,43
1881/82
9.56 10.46 1887'88 13,08 7.65
1882/83
9.51 10,51 1888/89 11.96 8.36
1883 84 10.54 9.49 1889/90 12.36 8,09
1884/85
10.79 9.29 1890/91 12,09 8.27
Den Steuersatz der Rüben abermals zu erhöhen und in Verbindung damit die Vergütungssätze abzuändern, wurde 1887 als nicht rätlich erachtet. Denn es sei dann zu besorgen, daß die Steuervergütung selbst in Jahren günstiger Nübenernten vielen Zuckerfabrikanten nicht den vollen Ersatz der verlegten hohen Steuer gewähre, und daß in Jahren mit schlechtern Rübenernten die Mehrzahl der Fabriken namhafte Beträge an der Steuer zusetze. Dies aber müsse zur Betriebseinstellung einer großen Anzahl von Zuckerfabriken und einem erheblichen Rückgang unsrer Zuckerproduktion, damit aber auch Zu einer weitgreifenden Schädigung wichtiger wirtschaftlicher Interessen führen.
Könne hiernach in einer Umgestaltung der Materialsteuer allein die geeignete Art der Reform nicht erblickt werden, so erscheine es anderseits auch nicht ratsam, die Materialsteuer gänzlich zu beseitigen und hinfort den Zucker etwa ausschließlich mittels einer Verbrauchsabgabe vom fertigen Fabrikat Zu besteuern. Die Materialsteuer bilde seit langen Jahren die Grundlage unsrer Zuckerbesteuerung; unter der Herrschaft dieser Steuerform habe sich unsre Rübenzuckerproduktion aus kleinen Anfängen allmählich zu einer der bedeutendsten nationalen Industrien entwickelt. Diese Steucrform habe auf die Gestaltung des Rübenbaues und der Zuckerfabrikation sowie aller damit in Verbindung stehenden Verhältnisse einen entscheidenden Einfluß ausgeübt und könne durch eine andre Steuerform nicht ersetzt werden, ohne daß die bezeichneten weitverzweigten Verhältnisse, mit welchen das wirtschaftliche Gedeihen großer Gebietsteile Deutschlands eng zusammenhänge, davon in tief greifender und schädigender Weise berührt würden. Die gegen einen vollständigen Wechsel des Steuersystems sich ergebenden Bedenken wögen besonders im Augenblicke schwer, wo unsre ganze Zuckerindustrie sich ohnehin durch den andauernd niedrigen Stand der Zuckerpreise und die scharfe Konkurrenz der Zuckerproduktion andrer Länder in nicht günstiger Lage befinde. Es werde daher von einem solchen Systemwechsel um so mehr 'Abstand zu nehmen sein, als sich ein andrer Weg biete, welcher unter größerer Schonung der Interessen unsrer Rübenzuckerindustrie und der beteiligten Landwirtschaft einen ausreichenden finanziellen Erfolg in Aussicht stelle. Es sei dies die Verbindung einer Verbrauchsabgabe mit der angemessen abzuändernden Materialsteuer.
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