Anmerkung: Fortsetzung des Artikels 'Aargau'
Bezirksammann. Jede Gemeinde besitzt einen Gemeinderat unter einem Gemeindeammann, und einen Friedensrichter; jeder Bezirk ein Bezirksgericht.
Höchste Instanz ist das aus 9 Mitgliedern bestehende Obergericht, das als Kassationshof und in Kriminalfällen, event. unter Zuziehung von Geschworenen, als
Kriminalgericht fungiert. Die Staatsrechnung ergab für 1882: 2,293 (1890: 2,729) Mill. Frs.
Einnahmen, darunter als Ertrag des Staatsgutes 1,183 Mill. Frs., und 2,351 (1890:
2,689) Mill. Frs. Ausgaben, darunter für Erziehungs- und Unterrichtszwecke 433190 Frs. Das Staatsvermögen betrug (1890)
33,816 Mill. Frs., die Schulden 3,110 Mill. Frs.; dazu kommen 17 Fonds zu besondern
Zwecken. In militär. Beziehung bildet der A. mit Basel und Solothurn den Stammbezirk der 5. Division. Der Kanton ist paritätisch: von den sieben
Regierungsräten müssen wenigstens drei reformiert, drei katholisch sein. Die reform. Kirche steht unter einem Kirchenrate von 9 Mitgliedern und der Synode;
die kath. Gemeinden gehörten bis 1873 zum Bistum Basel, jetzt stehen sie in keinem Bistumsverbande. Mehrere haben sich der altkath. Bewegung
angeschlossen.
Öffentliche Anstalten. Neben den obligatorischen Primärschulen bestehen 26 Bezirksschulen, in Aarau eine
Kantonsschule mit 4 Gymnasial-, 2 Progymnasial- und 4 Gewerbeschulklassen und ein Lehrerinnenseminar, in Wettingen ein Schullehrerseminar;
Kantonsspital in Aarau, Irrenheilanstalt in Königsfelden, Strafanstalt in Lenzburg.
Das Wappen ist ein in die Länge geteilter Schild; in dessen linker (blauer) Hälfte drei goldene Sterne, in der rechten
(schwarzen) ein silbern geschlängelter Fluß (die Aare).
Geschichte. Die Kultur des Landes an der untern Aare, das im Mittelalter auch die heutigen Kantone Luzern,
Unterwalden und Stücke von Bern, Solothurn u.s.w. umfaßte, reicht bis ins Altertum hinauf; bei Windisch unweit der Reußmündung lag die große helvet.-röm.
Ortschaft Vindonissa; die Thermen von Baden sind schon bei Tacitus erwähnt. Mit den andern Ländern der jetzigen deutschen Schweiz kam der A. am Ende
des 5. Jahrh. als Bestandteil von Alamannien unter fränk. Herrschaft. Im Vertrage von Verdun 843 fiel der A. westlich der Aare an Lothar, das Land östlich des
Flusses an Ludwig den Deutschen. Bei der Teilung Helvetiens zwischen Burgund und Deutschland 888 blieb der A. bei letzterm. Die mächtigsten Herren des
Landes waren die Grafen von Lenzburg und Kiburg, später die Habsburger. Seit Anfang des 13. Jahrh. stand fast der ganze A. unter habsburg. Herrschaft, wurde
1415 von den Eidgenossen eingenommen und in der Weise geteilt, daß das Land bis an die Reuß an Bern, der Süden an Luzern kam, die Grafschaft Baden und
die «Freien Ämter» in eine «gemeine Herrschaft» umgewandelt wurden. Das Frickthal und Rheinfelden dagegen blieben bei Habsburg-Österreich. Bern führte
1528 in seinem Teile die Reformation ein; die andern Gebiete blieben katholisch. Infolge des Einbruchs der Franzosen 1798 wurde der A. aus seinem
Unterthanenverhältnis befreit und bildete nun die Kantone A. und Baden der Helvetischen Republik. Durch die Mediationsakte Napoleons I. und die
Einverleibung des Frickthals entstand 1803 der heutige paritätische Kanton A. mit repräsentativ-demokratischer Verfassung, die sich nach Napoleons
↔ Sturz in eine mehr aristokratische verwandelte. Die wachsende Unzufriedenheit trieb nach der franz. Julirevolution 1830 das Volk zur
Erhebung (Volksversammlung zu Wohlenswil 7. Nov.) und zu einem unblutigen Aufstande, infolgedessen die freisinnigere Verfassung von 1831 zu stande kam.
Die von der Regierung versuchte Durchführung der Beschlüsse der Badener Konferenz (s. Schweiz)
gegen die Übergriffe der kath. Hierarchie führte im Nov. 1835 zu einem Aufstande der Freien Ämter, der schnell und ohne Blutvergießen unterdrückt werden
konnte. Ernstere Wirren verursachte die 5. Jan. 1841 angenommene Verfassungsrevision, die statt der bisherigen Gleichberechtigung beider Konfessionen in
den Behörden den Grundsatz des Verhältnisses nach der Volkszahl aufstellte. Unzufrieden mit dieser Bestimmung und gehetzt von den Klöstern, erhob sich
das Volk der Freien Ämter und des Bezirks Baden, wurde aber 11. Jan. zu Vilmergen geschlagen und zerstreut. Unter dem Eindrucke dieser Ereignisse beschloß
der Große Rat auf Antrag von Augustin Keller 13. Jan. die Aufhebung sämtlicher Klöster und die Einziehung ihrer Güter. Ein Teil der kath. Stände, unter
Einmischung des päpstl. Stuhls und Österreichs, erhob dagegen als gegen eine Verletzung der schweiz. Bundesakte Widerspruch
(Aargauischer Klosterstreit). Am 31. Aug. 1843, nachdem die aargauische Regierung die Wiederherstellung der vier
Nonnenklöster zugestanden, erklärte sich endlich die Mehrheit der Stände auf der Tagsatzung für befriedigt. Die Minderheit protestierte, und die aargauische
Klosteraufhebung samt der Jesuitenberufung Luzerns und den Freischarenzügen gaben die Hauptmotive ab zur Stiftung des Sonderbundes der sieben kath.
Stände (s. Schweiz). Die Staatsverfassung des Kantons A. wurde 1852 und 1862 revidiert. Einen
Triumph errang die ultramontane Partei durch Abberufung des Großen Rats (27. Juli 1862), der durch ein Gesetz die bürgerliche Gleichstellung der im Kanton
ansässigen Israeliten mit den Christen bestimmt hatte. Der neue Große Rat änderte das verworfene Gesetz zwar gänzlich ab, gewährte aber doch auf
Verlangen der Bundesversammlung im August 1863 den Israeliten freie Niederlassung und Verehelichung und die polit. Rechte in eidgenössischen und
kantonalen Angelegenheiten. Weitere Abänderungen der Verfassung wurden 1863 zweimal, 1867, 1869, 1870 und 1876 vorgenommen, deren wichtigste,
1870, mit dem Gesetzes- und Finanzreferendum die reine Demokratie einführte. Durch eine neue Verfassung, die aus einem Kompromiß der Ultramontanen
und Liberalen im Gegensatz zu den Radikal-Demokraten hervorging, wurde 1885 das Finanzreferendum etwas beschränkt. Bei den Volksabstimmungen über
die revidierte Bundesverfassung der Schweiz im Mai 1872 und im April 1874 stimmte der Kanton A. trotz der ultramontanen Agitation mit großer Majorität zu
Gunsten der Revision.
Vgl. Bronner, Der A., historisch, geographisch, statistisch geschildert (2 Bde., St. Gallen 1844–45); J. Müller, Der Kanton A. Seine politische, Rechts-, Kultur- und
Sittengeschichte (2 Bde., Zür. 1870–72); Rochholz, Aargauer Weistümer (Aarau 1876); Argovia, Jahresschrift der Historischen Gesellschaft des Kantons A. (ebd.
1860 fg.); Schumann, Aargauische Schriftsteller, 1. Lieferung (ebd. 1888).