Anmerkung: Fortsetzung des Artikels 'Ägypten (alte Geschichte)'
die Baugeschichte des großen Tempels von Karnak ein deutliches Bild. Er war von dem Könige Usertesen I. (12. Dynastie) um 2100 v. Chr. vermutlich an der
Stelle eines ältern Tempels für den thebanischen Lokalgott Ammon gegründet worden. Er hatte nur kleine Dimensionen, Säle aus Kalk- und Sandstein und
granitne Thüren; Pfeiler mit sechs glatten Flächen schmückten sein Inneres. Nachdem noch einzelne Könige der 12. Dynastie an dem Gebäude hatten arbeiten
lassen, blieb es bis zum Beginn der 18. Dynastie in dem alten einfachen Zustande. Da ließ Thutmosis I. vor dem Tempel mehrere neue Räume anlegen
(Kammern, einen Hof, Kapellen und drei Pylonen); jeder seiner Nachfolger ahmte sein Beispiel nach, so daß der Tempel schon um das Ende der 18. Dynastie
alle bis dahin in Ägypten ausgeführten Bauten an Umfang weit übertraf. Doch die Herrscher der 19. Dynastie gingen noch weiter. Sie erbauten einen
Säulensaal und einen Pylonen in noch nie dagewesenen Größenverhältnissen. Der Säulensaal hatte eine Länge von 50 m bei einer Breite von 100 m, und
bestand aus einem mit 12,23 m hohen Säulen geschmückten Mittelgange und zwei niedrigern Seitenräumen, deren Dach von
122 Säulen getragen wurde. Zur Anlage eines Hofs und Pylonen, die das Gesamtgebäude abschlössen, kamen die Pharaonen der 19. Dynastie nicht mehr.
Sie wurden erst mehrere Jahrhunderte später von den Herrschern der 22. Dynastie vollendet. Neue Anbauten wurden noch von dem Äthiopen Tirhaka und den
Ptolemäern in Angriff genommen, aber nicht mehr zum Abschluß gebracht. Im J. 27 wurde ein Teil des Tempels durch Erdbeben zerstört und das
Riesenbauwerk blieb für immer unvollendet. – Unter den Tempelbauten des neuen Reichs nehmen nächst dem großen Tempel von Karnak die Prachtgebäude
von Abydos, Luksor, Gurna und Medinet-Habu, sowie die Felsenbauten von Abu Simbel (s. Tafel:
Ägyptische Kunst II, Fig. 8), Sebua und Derr die ersten Stellen ein. Einfach im Grundrisse und
deshalb ein gutes Beispiel für die ägypt. Tempelanlagen überhaupt ist das Heiligtum, das die Könige der 20. Dynastie südlich von Karnak dem Gotte Chons
erbaut haben (s. Tafel: Ägyptische Kunst II, Fig. 6, 7). Durch ein zwischen zwei Pylonen gelegenes
Hauptthor kam man in einen von einer doppelten Säulenreihe eingefaßten Hof und von diesem durch eine Pforte in einen dreischiffigen Säulensaal. Hinter
diesem liegt das eigentliche «Gotteshaus». Seinen Mittelpunkt bildet das Allerheiligste, das von rechteckiger Form, an den beiden Schmalseiten offen und von
dem übrigen Gebäude durch einen 3 m breiten Gang getrennt ist; rechts und links von ihm liegen dunkle Gemächer, hinter ihm eine kleine von vier Säulen
getragene Halle, in die sieben andere Zimmer münden. Die Tempel der Ptolemäerzeit weichen in der Anlage nur wenig von den ältern ab. Hierher gehören u.a.
der Tempel von Edfu (s. Tafel: Ägyptische Kunst I, Fig. 3) und Dendera, mit den auch sonst
vorkommenden Säulen, deren Kapital mit dem Kopf der Göttin Hathor verziert ist (s. Tafel:
Ägyptische Kunst II, Fig. 3), sowie die malerische Tempelanlage auf der Insel Philä (s. Tafel:
Ägyptische Kunst I, Fig. 2). Auch im Profanbau (Paläste, Festungsanlagen) hat sich die ägypt.
Baukunst bewährt.
Skulptur und Malerei. Die uns aus ägypt. Tempeln und Gräbern erhalten gebliebenen Statuen ↔ und
Reliefs waren fast sämtlich bemalt. Nur von Natur gefärbte Steine, wie Granit, Basalt, Diorit, Serpentin, scheinen bisweilen dem Gesetze der Polychromie nicht
unterworfen gewesen zu sein; dagegen wurden Sandstein, Kalkstein und Holz ausnahmslos farbig behandelt, und wenn man einmal unbemalten Denkmälern
aus diesem Material begegnet, so ist entweder durch Zufall bei ihnen die Farbe verloren gegangen oder die betreffenden Arbeiten sind unvollendet geblieben.
Im allgemeinen sind in Ä. Bildhauer und Maler ohne einander kaum denkbar. Die Anfänge der ägypt. Bildhauerei und Zeichenkunst fallen in die vorhistor. Zeit.
In ihr hat sich auch jene eigentümliche Art der Zeichnung entwickelt, die durch alle Zeit hindurch, mit wenigen Ausnahmen, sich erhalten hat und das an
Perspektive gewöhnte Auge bei den ägypt. Reliefs und Malereien so sehr befremdet. Man zeichnet nämlich die Füße und Beine von der Seite, Brust, Schultern
und Hände aber von vorn; den Kopf wiederum von der Seite, das Auge hingegen von vorn. Die früher viel vertretene Annahme, daß die Zeichnung des
menschlichen Körpers nach bestimmten Proportionsgesetzen, den sog. Kanones der Proportionen, denen als Einheit der menschliche Fuß zu Grunde lag, vor
sich gehen mußte, läßt sich auf Grund der uns überkommenen Werke nicht erweisen und muß als unhaltbar aufgegeben werden. Die Blütezeit der ägypt.
Skulptur (Rundbildwerke und Reliefs) fällt in das alte Reich und zwar in die fünfte Dynastie. Aus vorhistor. Zeit ist uns an Statuen nichts erhalten. Vielleicht
gehört in diese Epoche der kolossale Sphinx von Giseh (s. Tafel: Ägyptische Kunst I, Fig. 1), der
bereits zur Zeit des Cheops existiert hat. Er ist aus dem lebendigen Felsen gehauen und zeigt trotz seiner gegenwärtigen Verstümmelung einen gewaltigen
Ausdruck von Kraft und Größe. Es müssen schon viele Jahrhunderte vergangen sein, bis die Kunst zu diesem Grade von Reife und Vollkommenheit gelangt ist.
Das Hauptgewicht wird im alten Reiche bei den Statuen auf die Wiedergabe des Gesichts gelegt. Der übrige Körper wird meist konventionell behandelt. Unter
den Meisterwerken aus dieser Blüteepoche sind die bekanntesten: die Statue des auf dem Boden hockenden Schreibers im Louvre und die stehende Statue
des sog. Dorfschulzen (Schech el-Beled) in dem ägypt. Museum in Giseh bei Kairo. (S. Tafel:
Ägyptische Kunst III, Fig. 1.) Die Skulptur des mittlern Reichs schließt sich eng an die des alten
Reichs sowohl in der Behandlung des Materials als auch in Zeichnung und Komposition an. Doch halten die meisten Werke dieser Epoche einen Vergleich mit
den Meisterwerken der frühern Zeit nicht aus. Zu den bessern Arbeiten dieser Zeit zählt die Figur eines priesterlichen Beamten, Namens Tetu, im Berliner
Museum (ihr Kopf ist auf Tafel: Ägyptische Kunst II, Fig. 5 abgebildet), und die sitzende Statuette
eines Mannes, die sich ebenda befindet (s. Tafel: Ägyptische Kunst II, Fig. 9). In eine etwas spätere
Zeit (13. Dynastie) gehört der schöne Sphinx aus Rosengranit im Louvre, der aus Tanis stammt (s. Tafel:
Ägyptische Kunst III, Fig. 7). Das neue Reich, aus dem uns die meisten ägypt. Skulpturen, die zum
großen Teil dekorativen Zwecken gedient haben, erhalten sind, bedeutet einen Rückschritt in der Kunst, obgleich es auch in dieser Zeit nicht an
hervorragenden Werten fehlt. Gewöhnlich haben die Künstler auf eine genaue Wiedergabe des Porträts ver-
Anmerkung: Fortgesetzt auf Seite 246.