Schnellsuche:

Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

445

Alpen (Alpenkunde. Litteratur)

abfall, die Holzschnitzerei des Berner Oberlandes und der Salzburger und Tiroler A., die Baumwollindustrie von Glarus, die Musselinfabrikation und Stickerei von St. Gallen, Appenzell u. s. w. Zu Industriezweigen haben sich aber in den vielbesuchten Gegenden auch das Führer- und Wirtshauswesen entwickelt. Ersteres steht an vielen Orten, so im Montblancgebiet, in den meisten Schweizerkantonen und in den gesamten deutschen und österreichischen A., unter staatlicher Aufsicht; die Führer erhalten nach Vorschlag der Alpenvereinssektionen von der polit. Behörde die Genehmigung, werden mit einem Abzeichen und einem Führerbuche versehen und sind an einen bestimmten Tarif gebunden. Die Wirtshausindustrie ist, zugleich als Ursache und Wirkung des Fremdenbesuchs, sehr ungleich ausgebildet. Während in den deutschen und schweizerischen A. die Wirtshäuser und Gasthöfe den Reisenden durchweg ein ordentliches Unterkommen sichern und teilweise, wie die Gasthöfe in den besuchtesten Gegenden der Schweiz, Salzburgs und Tirols, eines europ. Rufs genießen, sind die Westalpen mit Ausnahme der Umgebung des Montblanc und, abgesehen von dem Gebiet der oberital. Seen, auch der Südabhang nur spärlich mit Gasthäusern, oft niedersten Ranges, versehen. Auf fast allen wichtigen Bergpässen sorgen Hospize (Tauernhäuser, Cantonnièren) für die Beherbergung der Reisenden, für Arme unentgeltlich. Für die Reisen in den Hochalpen endlich sind besonders in den deutschen und schweizerischen A. durch die Bemühungen der Alpenvereine Unterkunftshütten (Klubhütten u. s. w.) errichtet worden, die dem Bergsteiger ein schützendes Obdach mit Lager- und Feuerstelle gewähren.

Zu den Gegenden des stärksten Touristenverkehrs in den A. gehören das Chamonixthal, das Berner Oberland mit Interlaken, die Ufer des Vierwaldstätter Sees mit Luzern und dem Rigi, das Nicolaithal mit Zermatt im Wallis, das Engadin in Graubünden, das Gebiet der ital. Seen, die Salzburger A. und die Ufer der Seen des Salzkammergutes. Montreux am obern Genfer See, Davos in Bünden, Meran in Südtirol und viele andere Plätze sind als klimatische Kurorte bekannt, und außerdem bieten die A. besonders in ihren deutschen und schweiz. Teilen eine sehr große Menge von Sommerfrischen für die zahllosen Reisenden, die jedes Jahr, von der freundlichen Anmut der Voralpen oder der wilden Großartigkeit der Hochalpen angezogen, die A. zu ihrem Reiseziel wählen. Der größte Teil der Reisenden beschränkt sich auf die Vor- und Mittelalpen. Das eigentliche Hochalpengebiet, die Schneeregion, wird, weil weniger leicht zugänglich, auch weniger oft besucht, obwohl auch diese Region in der neuesten Zeit viel von ihren früher gefürchteten Schrecknissen verloren hat. Besonders häufig werden als Zielpunkt von Gletscherfahrten und Besteigungen gewählt die Massive des Montblanc, Monte-Rosa und Finsteraarhorn, die Berninagruppe, die Ötzthaler und Ortleralpen, die Hohen Tauern, das Wettersteingebirge, die Salzburger A. und die Dolomit- und Porphyrkegel der Südtiroler A.

Alpenkunde. Bis gegen das Ende des 18. Jahrh. waren die A. in der Wissenschaft wie in der Kunst und Dichtung noch ziemlich unbekannt. Sie galten als ein rauhes, wildes Land, beschwerlich und gefährlich zu bereisen, und wenn auch einzelne Pioniere der Wissenschaft, wie die Züricher Naturforscher Konrad Geßner (1516-65), J.J. Scheuchzer (1672-1733), A. von Haller (1708-77) und H. B. de Saussure (1740-99), es wagten, das gefürchtete und mißachtete Gebiet zu erforschen, so gaben sie damit nur eine Anregung, die erst im 19. Jahrh. kräftig wirkte, während sie die Zeitgenossen wenig berührte. In neuerer Zeit ist nun die Erforschung der A. eine Lieblingsaufgabe der Naturwissenschaften und der Geographie geworden. Auf dem Gebiete der Geologie der A. und der Gletscherbeobachtungen sind zu erwähnen die Namen Agassiz, L. von Buch, Charpentier, Cotta, Desor, Dollfuß, Escher von der Linth, Forbes, von Hauer, Sir R. Murchison, von Richthofen, von Sonklar, B. Studer, Theobald, Tyndall, K. Vogt, A. Heim, E. Sueß, Neumayr, Simony, von Gümbel, F. Pfaff, O. Heer, E. von Mojsisovics, Stur, Stache, Vacek, Teller, Bittner, Fritz Frech, Diener, Geyer, Richter, Forel, Finsterwalder u. a.; mit der Fauna haben sich beschäftigt F. von Tschudi, mit der Flora Wahlenberg, Hegetschwyler, H. Christ, Kerner u. a.; die physik. Geographie wurde durch die Gebrüder H. und A. von Schlagintweit gefördert. Weniger genau untersucht als die deutschen und schweizerischen A., haben doch auch die französischen und die italienischen, jene in Lory, Favre und de Mortillet, diese in Sismonda, Gastaldi u. a. ihre Erforscher aufzuweisen. Für die Topographie der A. wird namentlich durch die Karten der Generalstäbe gesorgt, und seitdem alle Teile der A. von den verschiedenen Alpenvereinen (s. d.) durchwandert werden, hat die Topographie nicht unwesentliche Fortschritte gemacht.

Ebensowenig wie im 18. Jahrh. sich die Wissenschaft an die A. wagte, beschäftigten sich Kunst und Dichtung mit ihnen. A. von Haller mit seinem berühmten Gedicht "Die Alpen", bezeichnet auch hier den Wendepunkt, seither sind die A. auch hierin zum Lieblingsgebiet geworden (vgl. Götz, Deutsch-schweiz. Dichter und das moderne Naturgefühl, Stuttg. 1887). Die Schönheit der Alpenwelt wird von Dichtern aller Zungen gefeiert, das Leben der Bewohner geschildert, und Vorwürfe aus den A. finden sich sowohl in den Landschaften wie in den Genrebildern vieler Galerien in überraschender Menge; vorzugsweise sind Calame und Diday, von Kalkreuth, Vautier, Defregger u. a. hervorzuheben. Von den zahlreichen Photographen, die die A. zu ihrem Wirkungsfelde gewählt haben, sind Charnaux in Genf, Johannes in Partenkirchen, Valdi und Würthle in Salzburg, Beer in Klagenfurt, Beck in Straßburg, vor allen aber die Amateur-Photographen Donkin in London, Vittorio Sella in Florenz und Baptist Hämmerle in Dornbirn die bekanntesten. Hauptsächlich für topogr. Zwecke, zum leichten Zurechtfinden und als Ergänzung der Karten, dienen die von Alpenvereinen veröffentlichten Panoramen.

Litteratur. Agassiz, Etudes sur les glaciers (Neuchâtel 1840); Desor, Excursions et séjours dans les glaciers et les hautes régions des Alpes (ebd. 1844); ders., Nouvelles excursions (ebd. 1845); Schaubach, Die Deutschen A. (5 Bde., Jena 1845-47; 2. Aufl. 1865-74); Agassiz, Nouvelles études (Par. 1847); Schlagintweit, Untersuchungen über die physik. Geographie der A. (Lpz. 1850 u. 1854); B. Studer, Geologie der Schweiz (2 Bde., Bern 1851-53); Schlagintweit, Neue Untersuchungen über die physik. Geographie der A. (Lpz. 1854); Tschudi, Tierleben der Alpenwelt (ebd. 1854; 11. Aufl. 1890); Becker, Österr. Vaterlandskunde, Tl. 1 (Wien