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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Anarthrie - Anastatica

nur zuläßt, sondern vielfach geradezu als eins der wichtigsten Agitationsmittel hingestellt hat, erwartet die Socialdemokratie ihr Heil hauptsächlich von der Entwicklung der wirtschaftlichen Zustände, welche nach ihrer Ansicht einer Katastrophe entgegengehen.

Die anarchistischen Verbrechen veranlaßten in verschiedenen Staaten Verschärfungen der Strafbestimmungen. Im Deutschen Reiche führte das Reinsdorfsche Attentat zum Erlaß des Gesetzes gegen den verbrecherischen und gemeingefährlichen Gebrauch von Sprengstoffen, vom 9. Juni 1884. Hiernach wird derjenige, welcher vorsätzlich durch Anwendung von Sprengstoffen Gefahr für das Eigentum, die Gesundheit oder das Leben eines andern herbeiführt, mit Zuchthaus, wenn durch die Handlung der Tod eines Menschen herbeigeführt worden ist und der Thäter diesen Erfolg hat voraussehen können, mit dem Tode bestraft (§. 5), ebenso wird der, welcher in der bezeichneten Absicht Sprengstoffe verschafft oder öffentlich zu jenen Handlungen auffordert, mit Zuchthaus bestraft (§§. 8 und 10). In Frankreich wurde 1892 infolge der Dynamitexplosionen ein Gesetz erlassen, das für die Urheber von Eigentumsbeschädigungen durch Sprengstoffe die Todesstrafe festsetzt. Nach dem Attentat in der Deputiertenkammer und nach der Ermordung Carnots wurden 1893 und 1894 weitere Ausnahmegesetze gegen den A. erlassen, die die Verherrlichung anarchistischer Verbrechen und die Aufreizung dazu mit Strafe bedrohen und derartige Preßvergehen vor die Zuchtpolizeigerichte verweisen, auch überführte Anarchisten zu verbannen gestatten. Auch in der Schweiz wurde 1894 ein Gesetz erlassen, das den Gebrauch von Sprengstoffen zu verbrecherischen Zwecken und die Aufforderung zu Verbrechen unter besondere Strafe stellt. Ähnlich 1894 in Spanien und endlich in Italien, wo auch die Anweisung eines Zwangsaufenthaltes für verurteilte Anarchisten zulässig ist. Ein dem Deutschen Reichstag Dez. 1894 vorgelegter Gesetzentwurf, der unter anderm auch die bisherigen Strafbestimmungen über die Aufforderung zu strafbaren Handlungen verschärfen wollte, gelangte nicht zur Annahme.

Litteratur. G. Adler, Anarchismus (im "Handwörterbuch der Staatswissenschaften", Bd. 1, Jena 1890), mit Litteraturverzeichnis; Thun, Geschichte der revolutionären Bewegungen in Rußland (Lpz. 1883); de Laveleye, Die socialen Parteien der Gegenwart (aus dem Französischen von Ebeberg, Tüb. 1884); Der A. und seine Träger (Berl. 1887); Garin, Die Anarchisten (deutsch Lpz. 1887); Sartorius von Waltershausen, Der moderne Socialismus in den Vereinigten Staaten von Amerika (Berl. 1890); Dubois, Die anarchistische Gefahr (deutsch von Trüdjen, Amsterd. 1894); Lombroso, Die Anarchisten (deutsch von Kurella, Hamb. 1895); Bernatzik, Der A. (im "Jahrbuch für Gesetzgebung u. s. w.", Jahrg. 19, Lpz. 1895).

Anarthrie (arch.), das Unvermögen, artikulierte Laute zu bilden (s. Sprachstörungen).

Anasarka, s. Hautwassersucht.

Anastaltlka (grch.), anastaltische Mittel, zusammenziehende, blutstillende Mittel.

Anastase (grch.), das Aufstehen, die Genesung; auch die Verpflanzung von einem Ort zum andern.

Anastasia, mehrere Heilige: A. die Ältere starb unter Nero den Märtyrertod. - A. die Jüngere, eine vornehme und reiche Römerin, lebte mit ihrem heidn. Gemahl Publius in unglücklicher Ehe und ward in der Diocletianischen Verfolgung 25. Dez. 303 verbrannt. Man hat von ihr noch einige Briefe an ihren Beichtiger Chrysogonos. Ihr Gedächtnis wird 25. Dez. gefeiert. - A., eine vornehme Griechin aus Konstantinopel, die vor den Nachstellungen des Kaisers Justinian nach Alexandria in ein Kloster floh, wo sie bis an ihren Tod (567) 28 Jahre lang unerkannt als Mönch lebte. Ihr Jahrestag ist der 10. März.

Anastasianisches Gesetz (lex Anastasiana). Infolge der Wahrnehmung, daß Wucherer schlechte Forderungen gewerbsmäßig unter dem Nennwerte kauften, um von den Schuldnern durch allerlei Schikanen womöglich den vollen Betrag zu erpressen, verordnete Kaiser Anastasios 506 n. Chr. (c. 22 Cod. Just. 4,35), daß die Käufer einer Geldforderung von dem Schuldner nicht mehr sollten fordern dürfen, als sie selbst gegeben hätten. Die Bestimmung ist für Forderungen aus Handelsgeschäften durch Handelsgesetzbuch §. 299 beseitigt, im größten Teil Deutschlands auch für das übrige bürgerliche Recht. In Österreich besteht sie ebenfalls nicht; nach Code civil gilt sie für die Abtretung streitiger Rechte (Art. 1699).

Anastasios I. Dikoros, byzant. Kaiser (491-518), vermählte sich im Alter von 60 Jahren mit der Witwe des Kaisers Zeno und folgte diesem 491 auf dem Thron. Er bezwang in sechsjährigem Kampfe (492-498) die räuberischen Isaurier im Taurus, die den Bruder Zenos, Longinus, unterstützten. Zum Schutz Konstantinopels gegen die seit 493 verheerend vordringenden Bulgaren legte er 512 eine Befestigungslinie vom Marmarameere bis zum Schwarzen Meere an. Es gelang ihm auch, die Empörungen im Innern, von denen die 514 vom Patriarchen Makedonios angezettelte die gefährlichste war, zu dämpfen. - Vgl. Rose, Kaiser A. I. (Halle 1882); ders., Die byzant. Kirchenpolitik unter A. I. (Wohlau 1888).

Anastasios II., byzant. Kaiser (713-716), vorher Artemios, folgte auf Philippikos. Er nahm mit großem Eifer die Verteidigung des Reichs gegen die Araber in die Hand. Das gegen diese ausgesandte Heer empörte sich und rief Theodosios III. zum Kaiser aus, worauf A., der sich nach Nicäa zurückgezogen hatte, von einem Teil der Empörer besiegt und nach der Einnahme der Hauptstadt durch dieselben genötigt wurde, sich in ein Kloster zu Thessalonich zurückzuziehen.

Anastasius, Name von vier Päpsten: A. I., Papst seit 398, verdammte die Lehre des Origenes. Er starb 14. Dez. 402. Die kath. Kirche verehrt ihn wegen seines Eintretens für die Orthodoxie als Heiligen. - Unbedeutend waren A. II. (496-498), A. III. (911-913) und A. IV. (1153-54).

Anastasius Grün, schriftstellerisches Pseudonym von Anton Alex. Graf von Auersperg (s. d.).

Anastatica L., Pflanzengattung aus der Familie der Kruciferen (s. d.). Die einzige bekannte Art ist A. hierochuntica L., die Rose von Jericho, eine einjährige, niedrige Pflanze mit länglichen oder eiförmigen, langgestielten Blättern, weißen Blüten und bauchigen, zweisamigen Schötchen, in den Sandwüsten Arabiens. Dieses unscheinbare Kraut zieht sich, wenn es abgeblüht hat, beim Austrocknen zu einer kugeligen, nestartigen Masse zusammen, die, ins Wasser geworfen, wieder aufquillt und sich ausdehnt. In dieser Erscheinung erblickten abergläubische Mönche etwas Wunderbares und verbreiteten die Meinung, jenes "Wiederaufblühen" werde durch die Wunderkraft