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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Arbeiterschutzkonferenz; Arbeitersparkassen; Arbeiterstand; Arbeiterstatistik; Arbeiterversicherung

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Arbeiterschutzkonferenz - Arbeiterversicherung

Arbeiterschutzkonferenz, Internationale.

Die auf die Initiative des Deutschen Kaisers Wilhelms II. hin vom 15. bis 29. März 1890 in Berlin versammelte Internationale A. wurde beschickt vom Deutschen Reich, Österreich-Ungarn, Frankreich, Großbritannien, Italien, Belgien, Dänemark, Schweden und Norwegen, Schweiz und Portugal. Ihr Ziel war, eine einheitliche "Regelung der Arbeit in den gewerblichen Anlagen und Bergwerken" der beteiligten Staaten auf dem Wege der staatlichen Gesetzgebung herbeizuführen. Die fast ausnahmslos mit Einstimmigkeit von der A. angenommenen Beschlüsse erstreckten sich auf: Verbot der Arbeit von Kindern unter 14, im Süden unter 12 Jahren und Verbot der Frauenarbeit zur Nachtzeit in Bergwerken, Regelung der Sonntagsarbeit in der Weise, daß wöchentlich ein Ruhetag, wenn irgendmöglich der Sonntag gesichert werde, Festsetzung der "Altersgrenze für Kinderarbeit auf 12, im Süden 10 Jahre, Beschränkung der Maximalarbeitszeit für Kinder unter 14 Jahren auf 6 Stunden täglich, Verbot der Arbeit für Kinder und jugendliche Arbeiter (zwischen 14 und 16 Jahren) an Sonntagen und zur Nachtzeit, Beschränkung der Arbeitszeit für jugendliche Arbeiter auf 10 Stunden täglich, endlich Verbot der Nachtarbeit für Frauen und Beschränkung der Frauenarbeit auf 11 Stunden. - Vgl. Protokolle der Internationalen A. (Lpz. 1890).

Arbeitersparkassen, s. Fabriksparkassen.

Arbeiterstand, s. Arbeiter.

Arbeiterstatistik, s. Reichskommission für Arbeiterstatistik.

Arbeiterversicherung. Mit A. bezeichnet man Einrichtungen, die den Arbeitern oder deren Angehörigen im Falle teilweisen oder gänzlichen Verlustes der Erwerbsfähigkeit des Ernährers Unterstützungen zu gewähren bezwecken. Entsprechend den verschiedenartigen Notfällen, denen die Arbeiter ausgesetzt sind, gliedert sich die A. in Kranken-, Begräbnis-, Unfall-, Alters-, Invaliden-, Witwen-, Waisen- und Arbeitslosigkeitsversicherung. Schon bei den alten Kulturvölkern gab es Kranken- und Sterbekassen; auch die mittelalterliche, auf dem Zunftwesen beruhende Gewerbeverfassung erkannte für Meister und Gesellen eine Pflicht zur Unterstützung der leidenden Genossen an. Ebenso legte die Hörigkeit der an die Scholle gebundenen ländlichen Arbeiter der Gutsherrschaft die Verpflichtung auf, sich der Unterthanen in Notfällen werkthätig anzunehmen. Die A. wurde im absoluten Staat wesentlich gefördert; die mit gesetzlichem Beitrittszwang ausgestatteten und unter staatlicher Kontrolle stehenden Genossenschaften für einzelne Berufe, insbesondere Bergwerke und Schiffahrt, erhoben Zwangsbeiträge von den Mitgliedern, aber auch Zwangszuschüsse der Arbeitgeber. Dieses System ist beispielsweise im Allgem. Preuß. Landrecht von 1794 vertreten, findet sich aber ziemlich gleichartig auch in den übrigen Ländern. - Die neuere, auf den Grundsätzen der Gewerbe-, Zug- und Koalitionsfreiheit beruhende, der kapitalistischen Produktionsweise entsprechende Wirtschaftsordnung hätte folgerichtig zur Auflösung dieser Einrichtungen führen müssen. Indessen fand sie ihre volle Verwirklichung nur in einigen außerdeutschen Ländern, wie England, Frankreich, Belgien, während in den deutschen Staaten, namentlich in Preußen, das System der Zwangskassen (s. d.) in gewissem Umfange aufrecht erhalten blieb, so daß die neueste socialpolit. Gesetzgebung des Deutschen Reichs hier teilweise an bestehende Einrichtungen anknüpfen konnte. Dem reinen System der Erwerbsfreiheit entsprachen diejenigen Organisationen der A., die auf dem Boden des freien Associationswesens erwuchsen und namentlich in Großbritannien zu großer Ausdehnung gelangten: die Hilfskassen (s. d. und Friendly Societies), die sich meist auf Kranken- und Begräbnisversicherung beschränken, und die Gewerkvereine (s. d., Trade Unions), die neben ihren andern Obliegenheiten die meisten Zweige der A. zur allseitigen Entfaltung gebracht haben.

In eine ganz neue Entwicklungsform ist die A. in Deutschland durch die socialpolit. Gesetzgebung der achtziger Jahre getreten. Diese knüpft zum Teil an das Hilfskassenwesen, zum Teil an die durch das Reichsgesetz vom 7. Juni 1871 eingeführte Haftpflicht (s. d.) der Eisenbahnen und industriellen Unternehmer für die Folgen von Betriebsunfällen an, zum Teil beschreitet sie völlig neue Bahnen. Sie bildet einen Versuch zur Lösung der socialen Frage, welche durch das Anwachsen der Socialdemokratie einen akuten Charakter gewonnen hatte. Die zur Bekämpfung der letztern eingeführten Unterdrückungsmaßregeln sollten in positiver Förderung des Wohls der Arbeiter ihr Gegenstück und ihre Ergänzung finden. Daß der Staat sich in höherm Maße, als bisher, seiner hilfsbedürftigen Mitglieder annehme, wurde als eine Aufgabe staatserhaltender Politik erkannt und als Ziel derselben hingestellt, auch die besitzlosen Klassen der Bevölkerung, welche zugleich die zahlreichsten und am wenigsten unterrichteten sind, durch erkennbare direkte Vorteile dahin zu führen, den Staat nicht als eine lediglich zum Schutz der besser situierten Klassen der Gesellschaft erfundene, sondern als eine auch ihren Bedürfnissen und Interessen dienende Institution aufzufassen. Theoretisch wurde der Gedanke der erzwungenen A. namentlich von Adolf Wagner (s. d.), vor allem von Albert Schäffle (s. d.) ausgesprochen und ausgestaltet, praktische Verwirklichung gab ihm Fürst Bismarck. Im Reichstag vertrat die Gesetzentwürfe Staatsminister von Bötticher.

Gegenstand der reichsrechtlichen A. ist bisher: 1) Kranken-, 2) Unfall-, 3) Invaliditäts- und Altersversicherung. Kodifiziert ist die Versicherung zu 1 im Gesetz vom 15. Juni 1883 (Krankenversicherungsgesetz) mit Novelle vom 10. April 1892; zu 2 im Gesetz vom 6. Juli 1884 (Unfallversicherungsgesetz); zu 3 im Gesetz vom 22. Juni 1889. Außerdem das sog. Ausdehnungsgesetz vom 28. Mai 1885 (für 1 und 2), die Revision des Hilfskassengesetzes vom 1. Juni 1884, die Gesetze vom 5. Mai 1886 (Kranken- und Unfallversicherung für land- und forstwirtschaftliche Arbeiter) und vom 11. und 13. Juli 1887 (Unfallversicherung der Bauarbeiter und der Seeleute).

Der Hauptcharakterzug der ganzen Gesetzgebung liegt in der allgemeinen Durchführung des früher nur vereinzelt, örtlich vorhandenen Versicherungszwanges, wodurch die A., gleich der Schule und dem Militärdienst, zu einer öffentlich-rechtlichen Institution geworden ist. Dieser Zwang richtet sich nicht nur gegen die versicherten Arbeiter selbst, sondern auch gegen ihre Arbeitgeber (s. d.). Die Organisation ist für die einzelnen Zweige derselben verschieden gestaltet. Ihre Träger sind a. für die Kranken- und Begräbnisversicherung hauptsächlich die Orts- und Betriebs- (Fabriks -, Bau -) Krankenkassen und aushilfsweise die Gemeindeversicherung (s. d.), also örtlich gegliederte Vereinigungen der versicherten