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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Athena

s. d.) an Kassandra. Ihren Lieblingen hilft sie und verleiht ihnen den Sieg, indem sie ihnen nicht bloß Mut und Stärke, sondern auch jene Besonnenheit und Klugheit einflößt, ohne die der Sieg keinen Bestand hat. So ist A. zuletzt, namentlich in Athen, zur Personifikation des Sieges, zur A. Nike (s. d.) geworden. Von ihren sonstigen hierher gehörigen Beinamen sind die wichtigsten: Alalkomene (die Wehrhafte), Alkidemos (Volksschützerin), Areia (Kriegerische), Alea (Schützerin), Promachos (Vorkämpferin), Nikephoros (Siegverleiherin) u. s. w., und schon die ältesten Bildwerke der A., die Palladien (s. Palladium), stellen die Göttin mit erhobenem Schilde und Wurfspeer dar.

Ebenso wurde A. auch als Göttin der vorzugsweise mit Trompeten und Flöten hervorgebrachten Kriegsmusik sowie als Schutzgöttin des Streitrosses und des Kriegsschiffes verehrt und in verschiedenen Sagen als Erfinderin jener beiden Instrumente genannt. Die verbreitetste dieser Mythen führte die Erfindung der Flöte auf das Pfeifen und Zischen der Gorgonenschlangen zurück, das diese bei der Enthauptung der Medusa hören ließen. Sehr bekannt ist auch, wie A. den Silen Marsyas (s. d.), weil er die von ihr erfundene, aber wegen Entstellung des Gesichts weggeworfene Flöte aufgehoben hatte, gezüchtigt haben soll, ein Mythus, den Myron in einer berühmten plastischen Gruppe darstellte. Ferner galt A. für die Erfinderin der Pyrrhiche, eines Waffentanzes, von dem es hieß, daß sie selbst ihn zur Feier des Sieges über die Giganten oder Titanen zuerst getanzt oder die Dioskuren gelehrt habe, weshalb derselbe ihr zu Ehren am Fest der Panathenäen mit prächtiger Ausstattung aufgeführt wurde.

Weit verbreitet ist die Vorstellung, daß Wolke und Nebel eine Art Gespinst oder Kleid seien. So erklärt es sich wohl am einfachsten, daß die Göttin der Gewitterwolken (ähnlich wie die Walkyren) auch als geschickte Spinnerin und Weberin und als göttliche Erfinderin dieser Künste gedacht wurde. Als Göttin der weiblichen Arbeit erscheint A. schon in den Homerischen Gedichten, wo es von ihr heißt, daß sie ihren eigenen Peplos und das Gewand der Hera gewebt habe, und wo wiederholt die weibliche Kunstarbeit des Spinnens und Webens mit dem Ehrennamen «Werke der A.» belegt wird. Der bekannteste Beiname dieser A. war Ergane, den sie zu Athen, in Samos, Thespiä, Elis, Sparta und Megalopolis führte. Als Symbol dieser Kunstfertigkeit führt A. in mehrern Bildwerken die Spindel. (Über das Märchen von der Arachne s. d.) Die uralte für Ilion und Athen bezeugte Kultsitte, der A. an ihrem Feste einen schön gewebten Peplos darzubringen, hängt mit ihrer Bedeutung als Ergane zusammen. Im Anschluß an diese Funktion wird ihr auch die Erfindung aller übrigen Kunstfertigkeiten zugeschrieben, so, abgesehen von der Erfindung der Flöte, Trompete, des Wagens, Pfluges und Schiffes, die der Goldschmiedekunst, des Walkens, der Schuhmacherei, des Ciselierens, der enkaustischen Malerei, der Töpferei, Bildhauerei u. s. w. In Athen feierten die sämtlichen Handwerker der A. und dem Hephaistos das Fest der Chalkeen. Sogar als eine Förderin und Beschützerin der ärztlichen Kunst tritt A. auf. Sie erhielt davon den Beinamen Hygieia in Athen und im Demos Acharnai, oder Paionia (in Athen und Oropos).

Ebenfalls aus der Funktion des Spinnens und Webens, vielleicht auch unter Einwirkung der in der Ilias (15,668) ausgesprochenen Vorstellung, daß die Göttin des plötzlich aufleuchtenden Blitzes, die A. Glaukopis, mit ihren alle Dunkelheit durchdringenden Eulenaugen Scharfblick verleibe, ist der Gedanke hervorgegangen, daß A. eine Göttin der Klugheit, der Besonnenheit, des denkenden Verstandes sei. Sie heißt deshalb schon in den Homerischen Gedichten Polybulos. Sicherlich ist der Hesiodische Mythus von Metis (s. d.) als Mutter der A. auf diese ihre Wesenseigenschaft zurückzuführen.

In Attika und auch anderwärts scheint A. seit ältester Zeit wichtige Beziehungen zur Baumzucht und zum Ackerbau gehabt zu haben, wie sowohl aus der Erechtheussage als auch aus dem in engem Anschluß an diese entwickelten Festcyklus der A. in Athen hervorgeht. So ging die Sage, und im Westgiebel des Parthenon war sie bildlich dargestellt, daß der uralte Ölbaum auf der Akropolis eine Schöpfung der A. sei: Poseidon und A. hätten um die Herrschaft in Attika gestritten und Poseidon, um seine Macht zu beweisen, zuerst seinen Dreizack in den kahlen Felsen gestoßen; dann aber habe A. unmittelbar daneben den ersten Ölbaum wachsen lassen und sei für die Schöpfung dieser den Hauptreichtum Attikas ausmachenden Kulturpflanze als die wahre und echte Herrin der zukunftsreichen Stätte anerkannt worden. Das Fest dieser die Ölkultur fördernden und schützenden A. hieß Skirophorien (s. d.).

Eine ganz ähnliche Bedeutung wie für die Olivenzucht hatte A. in Attika auch für den Ackerbau. Dies ist namentlich in der Sage von Erichthonios oder Erechtheus (s. d.) ausgesprochen, der eigentlich die Personifikation des Samenkornes ist. A. spielt in dieser Sage die Rolle einer gütigen, allen Wetterschaden vom Getreide abwehrenden Wolkengöttin. Die Feste, welche dem Erechtheus und der A. galten, waren: 1) Die Chalkeen, ein uraltes Fest des Hephaistos und der A., die Erfindung des Pfluges und die Erzeugung des Erechtheus feiernd, 2) die Procharisterien, zu Ende des Winters für die emporkeimenden Saaten von allen Beamten der A. gefeiert, 3) die Plynterien, ein Ernteanfangsfest (s. Kallynterien), 4) die Errhephorien (s. d.) oder Arrhepborien, 5) die Panathenäen (s. d.). Wahrscheinlich wurde wegen ihrer agrarischen Bedeutung A. mit Ähren in den Händen abgebildet und auch Ktesia, d. i. Spenderin der Habe, genannt. Wie Mythus und Kultus, so hat auch die künstlerische Darstellung der Göttin in Athen ihre höchste Ausbildung erhalten, besonders durch Phidias, der sie namentlich außer in dem kolossalen Erzbilde auf der Akropolis (der sog. A. Promachos) im Parthenon in einem Kolossalbilde aus Gold und Elfenbein als Nikephoros darstellte

^[Abb: Fig. 1.]

(s. Fig. 1: Statuette der A. Parthenos, 1880 zu Athen gefunden, die allgemein für die treueste Kopie des berühmten Originals des Phidias gehalten wird; vgl. Schreiber, A. Parthenos, Abhandlungen der Königlich Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften, 8, 1883). Wollen die