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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Atmung

Mittel ein Atemzug. Setzt man die A. im Liegen als Einheit, so vermehrt Fahren im Wagen oder auf Eisenbahnen die Frequenz um die Hälfte; Spazierengehen und Reiten im Schritt verdoppelt, Reiten im Trabe, schnelles Fußgehen vervierfacht sie. In Krankheiten kann sie sehr bedeutende Abweichungen erleiden. Die Quantität der jedesmal ein- und ausgeatmeten Luft läßt sich messen. Die Lunge enthält auch nach dem tiefsten Ausatmen noch eine bedeutende Quantität, 12-1600 ccm, Luft (Residualluft); die Größe der Atemzüge beträgt bei erwachsenen Menschen von mittlerer Größe in vollkommen ruhigem Zustande ungefähr 500 ccm, während die Lungen solcher Menschen, im Zustande der größten Ausdehnung (bei möglichst tiefem Einatmen), ungefähr 4000 ccm Luft, also zu der Residualluft noch 2400-2800 ccm Luft, aufzunehmen vermögen. Diejenige Luftmenge, welche nach einer möglichst tiefen Einatmung ausgeatmet werden kann, bezeichnet man als die vitale Kapacität der Lungen. Zur Bestimmung der eingeatmeten Luftmengen (sog. Spirometrie) bedient man sich eines von Hutchinson konstruierten gasometerartigen Apparates, des sog. Spirometers. Die Zahl sowohl als die Größe der Atemzüge sind beide während des Schlafs verringert. In den nächsten 2-3 Stunden nach dem Essen sind sie größer als an den übrigen Tageszeiten. Durch Körperbewegung werden sie gesteigert, durch Erhöhung der Luftwärme vermindert. Nach dem Genusse spirituöser Getränke, des Kaffees und Thees nimmt wenigstens die Größe der Atemzüge merklich ab.

Die ausgeatmete Luft, der Atem oder Odem, ist wärmer als die eingeatmete, reicher an Kohlensäure und Wasserdampf und ärmer an Sauerstoff. Außerdem sind derselben oft gewisse Riechstoffe beigemischt, welche im ganz normalen Atem nicht vorkommen, sondern die Folge örtlicher Störungen oder Krankheiten des Mundes, der Nase oder der Lungen, in seltenern Fällen auch durch den Genuß riechender Substanzen und deren Aufnahme ins Blut verursacht sind, wie z. B. nach dem Genusse von Spirituosen. Überhaupt ist die Aufnahme wie Abgabe von gasförmigen Stoffen durch die Lunge eine sehr schnelle und vollständige. So riecht z. B. der Urin sogleich nach Veilchen, sobald man nur einige Minuten in einem frisch gefirnißten Zimmer geatmet und flüchtige Dämpfe von Terpentinöl auf diese Weise aufgenommen hat.

Ist die äußere Luft erheblich kälter als der Atem, so schlägt sich der reichliche Wasserdampf des letztern in Form kleiner Bläschen nieder, d. h. er bildet Dunst; auch das Anhauchen eines Spiegels zeigt den reichen Wassergehalt des Atems. Der Mensch atmet auf diese Weise täglich mehr als 330 g Wasser aus. Unendlich wichtiger ist jedoch der Unterschied der ein- und ausgeatmeten Luft in betreff des Kohlensäure- und Sauerstoffgehalts. Die atmosphärische Luft enthält im Mittel nur 4/10000 Kohlensäure, der Atem 4/100, also hundertmal mehr. Treibt man den Atem durch ein Röhrchen in ein mit klarem Kalkwasser gefülltes Glas, so trübt sich das Wasser allmählich, weil die Kohlensäure sich mit dem gelösten Kalk zu unlöslichem kohlensaurem Kalk verbindet. Die Größe des täglichen Gaswechsels innerhalb der Lungen ist ziemlich beträchtlich; nach Vierordt nimmt ein erwachsener Mensch in 24 Stunden etwa 744 g (516500 ccm) Sauerstoff auf und giebt dafür durchschnittlich 900 g (455500 ccm) Kohlensäure ab. Im Mittel scheidet ein 24-28 J. alter Mann (zu dieser Zeit ist die A. am stärksten) 44,5 g Kohlensäure in einer Stunde aus; er verbrennt also in 24 Stunden 291,6 g Kohlenstoff, etwas mehr als ein halbes Pfund, das ihm in der Nahrung ersetzt werden muß. Die Menge des verbrauchten Kohlenstoffs hängt aber ungemein von der Nahrung ab; bei Hunger schied derselbe Mann, der bei überreichlicher Fleischnahrung 925,6 g Kohlensäure (= 252,4 g Kohlenstoff) verbrauchte, nur 662,9 g Kohlensäure (= 180,8 g Kohlenstoff) aus. Fast ebensoviel als der Atem an Kohlensäure reicher als die äußere Luft, ist er an Sauerstoff ärmer, d. h. die atmosphärische Luft verliert bei ihrem Aufenthalte in den Lungen genau ebensoviel Sauerstoff, als sie Kohlensäure gewinnt, und zwar dem Volumen nach, denn an Gewicht übertrifft die Kohlensäure den Sauerstoff. Die Kohlensäure des Atems stammt zunächst aus dem Blute, und ebendasselbe nimmt den Sauerstoff aus der eingeatmeten Luft auf. Die zahllose Menge der Lungenbläschen, welche, wie die Beeren einer Traube, dichtgedrängt an den letzten Ästchen der vielfach verzweigten Luftröhren hängen, und deren atmende Fläche Huschke zu 2000 Quadratfuß (ungefähr 196 qm) berechnete, werden umsponnen von einem dichten Netze feinster Blutgefäßchen, durch deren zarte Wand hindurch die Kohlensäure in die Luft der Lungenbläschen, und umgekehrt der Sauerstoff der letztern ins Blut gelangt. Vergleicht man das in die Lungen fließende Blut mit dem aus ihnen abfließenden, so findet sich dementsprechend, daß ersteres mehr Kohlensäure, letzteres mehr Sauerstoff enthält. Zugleich bemerkt man, daß ersteres dunkelrot (venös), letzteres hellrot (arteriell) erscheint, eine Folge der Einwirkung des Sauerstoffs auf den Farbstoff der Blutkügelchen. Der Umstand, daß schon das in die Lungen strömende Blut reichliche Kohlensäure enthält, beweist, daß letztere nicht erst in der Lunge gebildet wird, daß also zwar die Lunge der Ort der Ausscheidung, nicht aber der alleinige Entstehungsort der Kohlensäure ist. Nicht unmöglich erscheint es, daß sich auch in der Lunge eine geringe Menge Kohlensäure bildet; bei weitem der größte Teil aber entsteht teils im Blute überhaupt, teils, und zwar vorzugsweise, in den Geweben der verschiedenen Organe (intramolekulare A.).

Jede Thätigkeit der Organe ist geknüpft an einen Stoffwechsel in ihnen, bei welchem Sauerstoff verbraucht, Kohlensäure gebildet und zugleich Wärme frei wird. Diese in den Geweben vor sich gehende Verbindung des Sauerstoffs mit dem Kohlenstoff zu Kohlensäure und mit Wasserstoff zu Wasser, also die definitive Verbrennung der organischen Substanzen, bildet das letzte Glied in der Kette chem. Vorgänge, welche man als Stoffwechsel des Organismus zu bezeichnen pflegt, und Leben und Wachstum ist vorzugsweise mit bedingt durch diese als Oxydation bezeichneten chem. Vorgänge. Da die Gewebe des tierischen Körpers, mit Ausnahme des Fettes, alle Stickstoff enthalten, so muß bei der Verbrennung ihres Kohlen- und Wasserstoffs zu Kohlensäure und Wasser zugleich der Stickstoff eine Umwandlung erleiden und ausgeschieden werden. Dies geschieht durch die Nieren in Form von zwei stickstoffhaltigen Substanzen, Harnstoff und Harnsäure, die sich stets im Urin finden. Das Gleiche gilt für den Phosphor und den Schwefel, die sich in manchen Geweben finden. Die Urinabschei-^[folgende Seite]