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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Auge (der Tiere)

Anmerkung: Fortsetzung des Artikels 'Auge (des Menschen)'

Horopters liegenden Punkte müßten strenggenommen immer doppelt gesehen werden. Es geschieht dies jedoch gewöhnlich nicht, sondern nur bei besonders hierauf gerichteter Aufmerksamkeit, weil der Eindruck, den der gelbe Fleck auf beiden A. erhält, ein so entschiedenes Übergewicht über die Eindrücke der mehr peripherisch liegenden Netzhautstellen hat, daß die letztern Eindrücke zu wenig beachtet werden. Selbst die Bilder, die unsere beiden A. von einem und demselben körperlichen, d.h. nach Höhe, Breite und Tiefe ausgedehnten Gegenstande erhalten, sind verschieden und decken sich nicht vollkommen. Diese Inkongruenz wird gleichfalls nicht als Doppelsehen empfunden, sondern bringt dem geübten A. die Dimension der Tiefe, das Körperliche des Objekts, scheinbar unmittelbar zur Anschauung.

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Figur: 6

Wenn dagegen bei fehlerhafter Stellung der A., wie bei Lähmungen der Augenmuskeln und manchen Formen des Schielens, nur die eine Sehachse auf den zu sehenden Punkt gerichtet ist, die andere bei demselben vorbeigeht, somit nur im ersten A. der gelbe Fleck, im zweiten eine daneben liegende Stelle der Netzhaut von dem Bilde getroffen wird, tritt immer ein störendes Doppelsehen (binokulare Diplopie) ein. Von dem Punkte A in beistehender Fig. 6 erhält das fixierende linke A. ein Bild auf dem gelben Flecke g, das nicht fixierende rechte A. auf einer nasenwärts von g gelegenen Stelle f. Das linke A. sieht nun A an seinem richtigen Orte, das rechte A. dagegen den Punkt A noch einmal, und zwar in A1, also dort, wo bei richtiger Einstellung des rechten A. der Punkt A stehen müßte, um sein Bild in f zu entwerfen. Ob die Fähigkeit, die Gegenstände mit den identischen Stellen der beiden Netzhäute einfach zu sehen, anatomisch begründet ist oder durch Übung erworben wird, ist noch streitig. Aber die Begriffe über Anordnung, Größe, Gestalt, Entfernung der Gegenstände, d.h. die dritte Dimension des Raums, der Durchmesser der Tiefe, der Entfernung werden nicht unmittelbar durch das Sehorgan gegeben, sondern beruhen auch zugleich auf Urteilen und Schlüssen, welche die Eindrücke anderer Sinne zur Grundlage haben. Das Tastorgan ganz besonders vervollständigt und korrigiert von frühester Kindheit an die Gesichtseindrücke, so daß die Eindrücke beider, uns unbewußt, ineinander übergehen und wir mit jedem Gesehenen zugleich ein Urteil über Größe, Entfernung und Beschaffenheit verbinden. Die durch anhaltende Übung, verbunden mit wirklichen Messungen, erhaltene Fertigkeit und Sicherheit des Urteils nennt man das Augenmaß (s. d.), das sonach bei einigen Menschen feiner und sicherer sein muß als bei andern. Auf der Netzhaut bilden sich die Gegenstände nur nach zwei Durchmessern ab, nach der Höhe und Breite. Diese Durchmesser werden also unmittelbar wahrgenommen, während der dritte Durchmesser, der der Tiefe oder der Entfernung, nur mittelbar erkannt wird. Hat man nämlich, namentlich mit Hilfe des Tastsinnes, die dritte Dimension, den Durchmesser der Tiefe (Entfernung), die Erhabenheiten und Vertiefungen der Körper kennen gelernt, so merkt man sich die Eigentümlichkeiten, durch die sich die ↔ Körper von drei Dimensionen (Höhe, Breite, Tiefe), oder die dritte Dimension des Raums, die Entfernung, vor solchen Körpern, die nur zwei Dimensionen haben, also nur hoch und breit sind, oder in einer Fläche nebeneinander liegen, auszeichnen, und dann erkennt man den Durchmesser der Tiefe (das Relief der Körper) um so rascher und bestimmter, je gesünder beide A. sind und je mehr Übung sie haben.

Die Farbe der A. hängt ab von der Farbe der Regenbogenhaut, und deren Farbe von ihrem Gehalte an einem besondern Pigment oder Farbestoff (beim Menschen von bräunlicher Farbe), der in körniger Gestalt in kleinen Zellen, bei blauen A. in geringerer Menge auf der hintern Fläche der Regenbogenhaut, in braunen A. sowohl auf der Hinterfläche als in der Substanz in größerer Menge vorhanden ist. Die blauen A., bei denen der braune Farbestoff nur auf der hintern Fläche der Regenbogenhaut liegt, erscheinen deshalb blau, weil sich vor dieser dunkeln Lage ein dünnes, fast farbloses Häutchen befindet, das von auffallendem weißen Lichte nur die blauen Strahlen zurückwirft, dagegen alle übrigen Lichtstrahlen absorbiert. Die A. der Albinos oder Kakerlaken erscheinen deshalb rot, weil sie pigmentlos sind und der unter solchen Verhältnissen rote Hintergrund des A. durch die Pupille und auch durch die dünne Regenbogenhaut durchscheint. Wird das A. eines Kakerlaken mit Ausschluß seines Pupillarraums beschattet, so wird dadurch das durch die pigmentlosen Augenhäute einfallende Licht, das durch Diffundierung das Leuchten des Augenhintergrundes bedingt, abgeschnitten, und man sieht nun die Pupille des Albino ebenfalls schwarz. Die Farbe der A. entspricht der Farbe der Haare und der Haut. Ist letztere dunkel, so pflegen die A. bräunlich oder braunschwärzlich zu sein; ist die Farbe der Haare blond, so ist die der A. meist blau oder blaugrünlich, übrigens werden alle Kinder mit blauer Farbe der Regenbogenhaut geboren, und erst später mit der weitern Entwicklung des Pigments ändert sich die Färbung.

Das A. der Tiere zeigt eine sehr verschiedene Entwicklung. Im einfachsten Falle ist es nichts als ein farbiger, zur übrigen Körperfarbe komplementär oder dunkler gefärbter Fleck, mit dem besondere nervöse Elemente nicht verbunden sind, und der wohl nur für die Empfindung der Wärme-, aber nicht der Lichtstrahlen zugänglich ist. Die Wahrnehmung von Hell und Dunkel setzt ein centrales Nervensystem voraus, dem sich mittels besonderer Nervenfasern von der empfindenden Hautstelle her die Ätherschwingungen mitteilen. Soll aber Gestalt und Farbe der umgebenden Objekte erkannt, also ein Bild empfunden werden, so müssen sich mit dem Augenfleck vor der Nervenendigung gelegene lichtbrechende Apparate verbinden; dadurch erst kommt ein wahres A. zu stande. Zugleich muß aber, wenn das Bild ein deutliches werden soll, der Sehnerv in eine Anzahl gesonderter Elemente aufgelöst sein, von welchen jedes den empfundenen Reiz dem nervösen Centralorgan für sich übermittelt. Die lichtbrechenden Apparate können ziemlich verschieden sein: einmal kann die Körperbedeckung oberhalb des A. durchsichtig und bikonvex gebildet sein, oder dieselbe ist bloß durchsichtig; hinter ihr aber liegen andere besondere Gebilde als Linsen, Krystallkegel oder Glaskörper, die der Strahl beim Einfallen in das A. passieren muß. Die Retina und ihre einzelnen Elemente erscheinen in der Regel von einem

Anmerkung: Fortgesetzt auf Seite 109.