Schnellsuche:

Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

536

Baumwollindustrie

Deutschland nimmt den dritten Rang ein. Die mechan. Baumwollspinnerei und Weberei wurde Ende des 18. Jahrh. durch einige Etablissements in Rheinland, Westfalen, Sachsen, Schlesien und Bayern begründet; die junge Industrie hatte aber gegen die engl. Konkurrenz einen sehr schwierigen Stand. Erst von etwa 1840 ab entwickelte sie sich besser. Die Zahl der Baumwollspindeln, 1846 erst 750 298, betrug 1861 bereits 2 235 195; 1871 kam Elsaß-Lothringen hinzu, das damals 1,89 Mill. Spindeln zählte. Nach der Zählung von 1875, der letzten dieser Art, waren im Deutschen Reich beschäftigt 4 200 811 Spindeln, davon 3 533 278 Feinspindeln, 504 891 Waterspindeln und 162 642 Zwirnspindeln. Die Gesamtzahl der beschäftigten Personen betrug 66 675. Für das J. 1895 sind über 6 Mill. Spindeln mit etwa 85 000 Arbeitern anzunehmen.

Der Wert der eingeführten Garne belief sich 1893 aus 47,6 Mill., der ausgeführten auf 21,2 Mill. M. Die eingeführten Garne sind größtenteils engl. und schweiz. Fabrikat von höhern Feinheitsnummern. Die Baumwollwarenindustrie hatte einen ebenso schweren Kampf zu bestehen als die Spinnerei; jetzt sendet sie aber ihre Produkte nach allen Ländern. Die Einfuhr kommt zum größten Teil aus England, zeigt aber in jüngster Zeit einen erheblichen Rückgang. Von baumwollenen Waren wurden eingeführt 1860: 543, 1870: 1300, 1880: 1386, 1890: 1478, 1893: 1795 t; ausgeführt 1860: 8310, 1870: 8840, 1880: 15 152, 1890: 28 190, 1893: 33 204 t. Für Baumwollwaren belief sich der Wert der Einfuhr auf 10,9 Mill., der der Ausfuhr auf 170,2 Mill. M. Im J. 1893 setzte sich die Ausfuhr zusammen aus 20 074 t Zeugwaren, 8800 t Strumpfwaren, 2870 t Posamenten und 1460 t Gardinen, Spitzen u. dgl.; bei dem letzten Posten ist aber die Einfuhr von annähernd gleicher Stärke. Bei der Baumwollweberei hat die mechan. Weberei die Handweberei fast völlig verdrängt; nur bei einigen Zweigen, für die sie sich besonders eignet, ist die letztere beibehalten worden. Nach der Gewerbezählung von 1875 (neuere Erhebungen fehlen) waren nur 8198 Handstühle, aber 80 465 Maschinenwebstühle vorhanden und 203 489 Personen in der Weberei beschäftigt. Dazu kamen noch die Bleichereien, Färbereien und Druckereien mit 20 277 Menschen, so daß sich das ganze in der B. thätige Arbeiterheer auf 290 111 (für 1895 etwa 400 000) beziffert. Was die lokale Verbreitung anlangt, so sind die beiden Hauptgebiete das Elsaß und das Königreich Sachsen. Sachsen übertrifft in Erzeugung und Ausfuhr der sehr wertvollen baumwollenen Strumpfwaren alle Industrieländer, wie auch seine Fabrikation von Posamenten und Gardinen sehr bedeutend ist. Weiter sind wichtige Fabrikationsgebiete Württemberg und Baden; in Bayern: Schwaben, Neuburg und Oberfranken; in Preußen: Rheinland, Westfalen, Schlesien, Hannover; in Thüringen: Gera, Greiz u. a.

Die B. Frankreichs hat durch die Lostrennung von Elsaß-Lothringen einen sehr schweren Verlust erlitten, der bis 1892 nur erst zum Teil ausgeglichen ist. Man zählte 1882: 1065 Etablissements mit 107 949 Arbeitern, 4 716 897 beschäftigten und 210 727 stehenden Spindeln, sodann 71 977 beschäftigte und 2968 stillstehende Kraftstühle, außerdem 39 719 Handstühle. Frankreich ist gegenwärtig mit nahezu 5 Mill. Spindeln auf seine Spinnereien in der Normandie (Rollen und Umgegend) für ordinäre Garne und auf die Feinspinnereien in Lille, Amiens und St. Quentin angewiesen. Es muß aber von Garnen immer noch sehr bedeutend einführen. Die Baumwollweberei und -Druckerei ist in der Normandie in ziemlicher Ausdehnung vertreten; die Fabriken arbeiten ausschließlich für das Inland und können einer Konkurrenz im Auslande noch nicht begegnen. Unübertroffen ist die Weberei undichter Stoffe in Tarare und Umgegend, die an 50 000 Arbeiter beschäftigt.

Die B. der Schweiz ist durch den Fleiß und Unternehmungsgeist ihrer Bewohner und durch das genaue Studium der Bedürfnisse fremder Länder zu einer Ausdehnung und Vollendung gelangt, die sie den größten Industriestaaten ebenbürtig an die Seite stellt und sie auf den meisten überseeischen Märkten eine erfolgreiche Konkurrenz aufnehmen läßt. Die Zahl der Spindeln belief sich 1884 auf 1 880 000, die der mechan. Webstühle für rohe Gewebe auf 18 208, für bunte auf 6702. In allen Etablissements waren 42 819 Personen thätig. Für 1895 sind etwa 2,2 Mill. Spindeln, 27 000 Webstühle und 60 000 Arbeiter anzunehmen. Die mit großer Intelligenz und mächtigen Geldkräften betriebene Spinnerei, die sich früher vorzugsweise in den Nummern 60-100 aus ägypt. Baumwolle und den feinern Sorten aus Sea-Island bewegte, erstreckt sich jetzt auch auf gröbere Sorten und Strumpfgarn von besonders guten Qualitäten. Ein großer Teil der Garne wird nach Österreich, Frankreich, Deutschland und Italien ausgeführt, während ein anderer Teil im Lande selbst verwebt wird. Unter den Erzeugnissen der Weberei nehmen die für Ostasien bestimmten sog. "Sarongs", eine Nachahmung ind. Gewebe, eine bemerkenswerte Stelle ein, weil es bei denselben auf die möglichst getreue Nachahmung aller Web- und Druckfehler ankommt. Die Maschinenstickerei beschäftigt über 12 000 Maschinen und etwa 20 000 Arbeiter.

Der Schwerpunkt der belgischen Textilindustrie liegt in Leinen und Wolle, doch ist, zumal wenn man die Ausdehnung und Volkszahl erwägt, auch die B. recht beachtenswert. Das Land verfügt über rund 1 Mill. Baumwollspindeln, bezieht aber noch Garne aus England für seine Webwaren, deren Ausfuhr sich dem Werte nach zwischen 18-20 Mill. M. bewegt.

Auch die B. Österreichs (Cisleithaniens) nimmt eine hervorragende Stellung ein; ihre Geschichte reicht bis ins 18. Jahrh. zurück, und schon im Anfang des 19. Jahrh. wurden bedeutende Spinnereien in Böhmen und Niederösterreich errichtet. Diese gewerbliche Thätigkeit beschäftigte 1891 nahezu 3 Mill. Feinspindeln und ist in Böhmen (Reichenberg) mit 940 000, in Niederösterreich mit 480 000, in Vorarlberg mit 250 000, in Oberösterreich mit 160 000 Spindeln konzentriert. Sonst finden sich Etablissements in Steiermark, Görz, Mähren und Krain. Beim mechan. Betrieb waren 48 000 Kraftstühle wirksam, davon 34 400 in Böhmen (Reichenberg). Die Handweberei unterhält nur noch 26 200 Stühle gewerbsmäßig. Die Spinnereien Ungarns unterhalten etwa 60 000 Spindeln. Österreich bezieht seine Rohbaumwolle zum größten Teile über Triest; es wird meist ostindische und ägyptische versponnen. Man führt Garne aber immer noch stark ein (1893: Einfuhr 119 204, Ausfuhr 23 207 Doppelzentner), dagegen ist die Ausfuhr von Baumwollwaren beträchtlich (1893: Einfuhr l9 413, Ausfuhr 33 219 Doppelcentner).

Die Spinnereien und Webereien Rußlands vermehren und vergrößern sich unter den hohen