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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Bayern (neuere Geschichte seit 1886)

zu bringen. Die Gläubiger wurden ungeduldig, und es mehrten sich die Klagen gegen die königl. Civilliste (seit 1864 in der jährlichen Höhe von 4231044 M.). Am 17. April hatte Ludwig Ⅱ. seine Minister aufgefordert, zur Änderung der Verhältnisse der Kabinettskasse dem Landtage eine Vorlage zu machen. Der König, dessen Geistesleben bereits gestört war, geriet in die furchtbarste Lage, und nun erst tauchten jene unheimlichen Gerüchte auf, die das Anrücken einer Katastrophe ahnen ließen. Am 4. Juni erhielt der Obermedizinalrat und Kreisirrenarzt von Gudden den Auftrag, den König in Hohenschwangau zu beobachten. Das Resultat dieser Beobachtung war die Erklärung, der König sei in hohem Grade seelengestört und leide seit vielen Jahren an Verrücktheit. Am 7. Juni beschloß der Ministerrat die Einsetzung einer Reichsverweserschaft, die dem Prinzen Luitpold als dem nächsten Agnaten, da Ludwigs Ⅱ. Bruder, Prinz Otto, seit 1875 der nämlichen Krankheit verfallen war und im Schlosse Fürstenried unter der Behandlung der Irrenärzte stand, übertragen werden müsse. Am 9. Juni begab sich eine Commission nach Hohenschwangau, dem Könige die Übernahme der Regentschaft durch den Prinzen Luitpold anzuzeigen und den König selbst in Gewahrsam zu nehmen. Der König ließ in grenzenloser Wut die Mitglieder der Kommission festnehmen, doch gelang es den Verhafteten zu entkommen und in Eile nach München zurückzukehren. Nur Obermedizinalrat von Gudden blieb mit seinem Wärterpersonal zurück. Am 12. Juni, morgens 3¾ Uhr, erfolgte die Abreise von Schwanstein nach Schloß Berg am Starnberger See. Am Pfingstsonntag, den 13. Juni, ertränkte sich der König im Starnberger See; Gudden, der ihn zurückhalten wollte, fand gleichfalls den Tod.

9) Unter der Regentschaft des Prinzen Luitpold seit 1886. Am 14. Juni 1886 erließ Prinz-Regent Luitpold im Namen des Königs Otto ein Thronfolge- und Regentschaftspatent, worin er erklärte, daß er an Ottos Stelle die Reichsverwesung übernehme. Die vertagten Kammern traten wieder zusammen. Die Kammer der Reichsräte wurde am 15. Juni, die der Abgeordneten am 17. Juni eröffnet. Die nötigen Aufschlüsse wurden auf den Vorschlag des Ministers von Lutz in geheimer Kommissionssitzung gegeben. Reichsrat und Abgeordnetenhaus stimmten der Einsetzung der Regentschaft einstimmig zu und genehmigten die Dotationsvorlage von 342857 M. für den Regenten, worauf der Prinz-Regent am 28. Juni den Eid auf die Verfassung leistete. Der Landtag wurde am 1. Juli geschlossen. Am 5. Juli reichte das Gesamtministerium sein Entlassungsgesuch ein. Am 30. Juli hob der Prinz-Regent das Kabinettssekretariat, das den Verkehr des Königs mit den Ministern vermittelt hatte, auf. Am 1. Nov. wurde Minister von Lutz zum lebenslänglichen Reichsrat ernannt. Finanzminister von Riedel vermittelte zwischen den Kuratoren der königl. Civilliste und den Gläubigern König Ludwigs.

Wegen Ablehnung des Septennats war der Reichstag am 14. Jan. 1887 aufgelöst worden. Am 21. Febr. fanden die neuen Wahlen statt. Ihr Ergebnis war für B., daß 33 Centrumsmitglieder, 13 Nationalliberale, 1 Deutschfreisinniger und 1 Socialdemokrat gewählt wurden. Am 17. April starb in München Justizminister von Fäustle. Sein Nachfolger wurde 24. April Freiherr von Leonrod, Landesgerichtspräsident in München. Im Heerwesen wurden die höhern Kommandostellen neu besetzt. Bei den Landtagswahlen von 1887 wurden 75 Mitglieder der Centrumspartei, 7 Mitglieder der «Freien Vereinigung» (gemäßigt-katholisch), 70 Liberale, 5 Konservative und 1 Demokrat gewählt. Am 14. Sept. wurde der Landtag eröffnet. Am 22. und 26. Sept. ging der Gesetzentwurf über den Eintritt B.s in die Branntweinsteuergemeinschaft in beiden Kammern durch, und 28. Sept. wurde eine kaiserl. Verordnung über die Branntweinbesteuerung in B. veröffentlicht. Der Malzaufschlag wurde in der Höhe von 6 M. vom Hektoliter Malz auf 2 Jahre bewilligt, ebenso der Gesetzentwurf über den zweigleisigen Ausbau mehrerer Bahnstrecken genehmigt. Der Militäretat wurde am 19. Okt. in der Höhe von 58362105 M. bewilligt, und ein Gesetzentwurf über eine Änderung der Verfassung, wonach die während der Regentschaft anzustellenden Beamten nach dreijähriger Dienstzeit den definitiv Angestellten gleichgestellt und die Veräußerung von Kron- und Staatsgut zulässig sein sollte, angenommen. Am 19. Dez. vertagte sich die Kammer. ^[Spaltenwechsel]

Die bayr. Abgeordnetenkammer nahm 11. Jan. 1888 ihre Sitzungen wieder auf. Der Gesetzentwurf über die Ausführung des Reichsgesetzes von 1886 über die Unfall- und Krankenversicherung der im land- und forstwirtschaftlichen Betriebe beschäftigten Personen wurde angenommen. Der Etat wurde in der Höhe von 260037121 M. in Einnahmen und Ausgaben genehmigt. Am 21. April wurde der Landtag vertagt. Im Juni richteten die in Freising versammelten bayr. Bischöfe eine Eingabe an den Prinz-Regenten, worin sie vielfache Wünsche und Beschwerden, namentlich wegen der Simultanschulen, Anstellung ungläubiger Lehrer, Nichtbeachtung des kathol. Charakters der Universitäten München und Würzburg und die Wiederherstellung der königl. Verordnung von 1852, die seit 1873 außer Wirksamkeit getreten war, vorbrachten. Weiter schritt die ultramontane Bewegung in München durch den Hirtenbrief des Erzbischofs von Steichele, der sich über die Mischehen aussprach und so das prot. Oberkonsistorium zu einer Gegendemonstration veranlaßte. Die Beantwortung des bischöfl. Memorandums vom 14. Juni 1888 erhielt am 24. März 1889 die Bestätigung des Prinz-Regenten. Diese Antwort enthielt sehr viele und sehr wichtige Zugeständnisse: die Einholung der bischöfl. Ansicht bei Besetzung der Lehrstellen an Lyceen, an kath. Fakultäten, an Schullehrerseminarien u. s. w., die Wiedereinführung der Religionsprüfungen beim Abgang der Schüler von Gymnasien und Realschulen, die Befreiung der studierenden Kleriker von der Ableistung der Wehrpflicht. Der Verzicht dagegen auf das Placetum regium, das königl. Genehmigungsrecht für die Verkündigung der Erlasse der kirchlichen Oberbehörden, konnte unter keinen Umständen zugestanden werden. Es entstand ein lebhafter Kampf in der Presse über diese unfruchtbaren Fragen. Am 29. April 1889 sprach selbst der Papst sein Bedauern den bayr. Bischöfen aus, daß die wichtigsten Forderungen der Bischöfe vom Ministerium abgelehnt worden seien.

Die Klerikalen dachten nicht daran, die Forderungen des bischöfl. Memorandums dem ministeriellen Erlaß zum Opfer zu bringen. Am 22. Juni beschloß eine Katholikenversammlung in München, noch vor dem Zusammentritt des Landtags einen bayr. Katholikentag in München zu veranstalten und