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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Bettelvogt; Bettelwesen

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Bettelvogt - Bettelwesen

sprung der B. fällt zusammen mit dem zu Anfang des 13. Jahrh. entstehenden Streben nach Rückkehr zu apostolischer Strenge und Sitteneinfalt. Papst Innocenz III. war darauf bedacht, die Begeisterung der Zeit für ein "apostolisches Leben" in den Dienst des Papsttums zu ziehen und dadurch zugleich der außerkirchlichen Bewegung der Geister einen Damm zu setzen. Hierdurch erklärt sich das überaus schnelle Emporblühen der B. Schnell nacheinander entstanden im 13. Jahrh. die Dominikaner-, Franziskaner-, Karmeliter-, Augustiner- und Serviten-Bettelorden. Schon 1274 sah sich die Kirchenversammlung zu Lyon wegen der störenden Eingriffe der B. in die regelmäßige Seelsorge zu der Bestimmung genötigt, daß außer den bestehenden weiter kein Bettelorden gegründet werden dürfe. Die B. erhielten von den Päpsten wichtige Privilegien. Sie genossen vollständige Freiheit von aller weltlichen und bischöfl. Gerichtsbarkeit, hatten die Befugnis, außerhalb des Klosters von jedem Almosen zu fordern, und konnten überall, später jedoch in beschränkter Weise, ohne Rücksicht auf Parochialverhältnisse, predigen, Beichte hören, Messe lesen und päpstl. Ablässe verleihen. Außerdem bemächtigten sie sich, wenn auch unter hartem Kampfe, namentlich zwischen den Franziskanern und Dominikanern (Scotisten und Thomisten), der theol. Lehrstellen auf den Universitäten und leisteten hier bald Bedeutendes als Lehrer und Gelehrte. Die Mönche, die das Einsammeln der Almosen zu besorgen hatten, hießen Terminanten. Das Betteln selbst nannte man Terminieren, und zum Zwecke desselben unterhielt man in den Städten eigene Termineihäuser. Bald zählte jeder Bettelorden auch weibliche Mitglieder, die mit den Mönchen Gelübde und Kleidung teilten und nur von der priesterlichen Wirksamkeit ausgeschlossen blieben. Als der Franziskanerorden durch den in den Spiritualen und Fraticellen zu Tage tretenden schwärmerischen und geradezu antihierarchischen Geist verdächtig geworden war und die Augustiner sich in der Reformationszeit teilweise der neuen Bewegung anschlossen, übertrug die Kurie namentlich den Dominikanern die Bekämpfung der Ketzer durch Gelehrsamkeit und durch Gewalt (Inquisition). Erst im 17. Jahrh., als in den Bettelorden die Strenge der Regeln nachließ und neue kirchliche Bedürfnisse dem Papsttume in dem Jesuitenorden eine neue "Armee" schufen, sank ihr Ansehen, und auch ihre Privilegien wurden mehrfach beschränkt. Die Klosteraufhebungen in der Aufklärungszeit (Ende des 18. Jahrh.) und in der Gegenwart (z. B. im Königreich Italien) haben namentlich die Bettelorden hart betroffen.

Bettelvogt, früher ein zur Unterdrückung des Bettelns angestellter niederer Polizeibeamter.

Bettelwesen. Die Ansichten der Moralisten über das B. haben vielfach geschwankt und stehen noch gegenwärtig im Widerspruch mit der Auffassung der Volkswirtschaftslehre. Wo die Armut als Unglück betrachtet wird und von seiten des Staates keinerlei Vorsorge zum Unterhalt Darbender getroffen worden ist, wird die Pflicht der Almosenspendung von Religionsstiftern und Sittenlehrern als freies Werk gepredigt. Zwischen der Armut und der Almosenspendung steht alsdann das B. als natürliches Vermittelndes, als Selbsthilfe des Bedürftigen in der Mitte. Das Judentum, die christl. Lehre, der Islam betonen gleichmäßig die Pflicht der Almosenspendung. Insbesondere rechtfertigte die mittelalterliche Kirche die Anhäufung riesiger Gütermassen in ihren Händen mit ihrem Berufe, für die Armen und Bedürftigen zu sorgen. Das B. ward sogar als verdienstlich in gewissen kirchlichen Orden (s. Bettelmönche) anerkannt. Die Folge der kirchlichen unübersichtlichen, zersplitterten Armenpflege war die Vermehrung der Bettler und die Abstumpfung des Schamgefühls bis zu dem Punkte, auf welchem öffentliches Betteln nicht mehr als schimpflich gilt. In rein kath. Ländern, wie in Italien und Spanien, sind diese verderblichen Erfolge der alten kirchlichen Armenpflege und der Ausbreitung massenhaften B. am augenscheinlichsten. Im ursächlichen Zusammenhange damit stand von jeher das Landstreichertum und die Eigentumsgefährdung durch kleinen Diebstahl oder betrügerische Vorspiegelung körperlicher Leiden. Wohl waren die Reformatoren bemüht, an die Stelle des unterschiedslosen Gebens eine geregelte Versorgung der Armen auf Grund einer genauen Prüfung ihrer Verhältnisse und nach Sonderung der wirklich Armen von dem herumlungernden, arbeitsscheuen Gesindel treten zu lassen, überhaupt die Versorgung auf das Notwendigste zu beschränken, allein der Erfolg war aus verschiedenen Gründen nur gering. Seit dem 16. Jahrh. entstanden zahlreiche Polizeiordnungen oder gar eigene Bettelordnungen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, wobei vielfach daran festgehalten wurde, daß es zur Bettelei obrigkeitlicher Genehmigung bedürfe. So ward das B. zum konzessionierten Gewerbe der Müßiggänger und Hilflosen. Unberechtigte Bettler und Landstreicher wurden vielfach den alten Zuchthäusern, Spinnanstalten u. s. w. zur Besserung überwiesen.

In den modernen Staaten ist gegenwärtig überall die im Widerspruch zur alten Kirche stehende Anschauung geltend geworden, daß Betteln unter keinen Umständen gestattet werden darf, weil die Volkswohlfahrt durch Abstumpfung des wirtschaftlichen Sinnes geschädigt wird. Für wirklich Hilflose ist nach den Grundsätzen einer festen, verwaltungsrechtlichen Ordnung teils durch alimentationspflichtige Verwandte, teils aus Mitteln der Gemeinde oder eigener Armenpflegschaftsverbände zu sorgen. Der Fortbestand des B. zumal in größern Städten wurzelt wesentlich in dem gutmütigen Wahne kurzsichtiger Almosenspendung, in der Leichtgläubigkeit, die ohne sorgfältige Prüfung Gaben verabreicht, ohne die nachteiligen Folgen zu bedenken, welche die Unterstützung Unwürdiger nach sich zieht. Erst neuerdings haben sich in deutschen Städten, insbesondere nach dem Vorgange von Berlin, Vereine gebildet, deren Mitglieder sich durch feste, planmäßig verwendete Beiträge gegen die Hausbettelei schützen und grundsätzlich kein Almosen ohne vorangegangene Untersuchung der Bedürfnisse verteilen lassen. Nach dem Vorgange aller neuern Gesetzgebungen bedroht das Deutsche Strafgesetzb. §. 361, 4 das Betteln mit Strafe (Haft bis zu 6 Wochen). Diese Strafe trifft sowohl denjenigen, welcher selbst bettelt, als auch solche, welche Kinder zum Betteln anleiten oder ausschicken, oder Personen, die ihrer Gewalt und Aufsicht untergeben sind und zu ihrer Hausgenossenschaft gehören, vom Betteln abzuhalten unterlassen. Nach §. 362 darf der Richter den Verurteilten der Landespolizeibehörde nach verbüßter Haft überweisen mit der Ermächtigung zur Unterbringung in Arbeitshäusern oder zu gemeinnütziger Beschäftigung für den Zeitraum von 2 Jahren; dies jedoch nur, wenn derselbe in den letzten