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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Bismarck (Otto Eduard Leopold, Fürst von)

waren. Unbedingt, meinte B., müsse aber auch Deutschland sich auf jede Eventualität gefaßt machen. Dem 25. Nov. neueröffneten Reichstage wurde eine Militärvorlage gemacht, welche die Erhöhung des Friedenspräsenzstandes des deutschen Heers um 41000 Mann und die Erneuerung des Septennats forderte. B. sprach bei der zweiten Beratung der Vorlage 11., 12. und 13. Jan. 1887 lebhaft für dieselbe und verkündigte, als 14. Jan. die Reichstagsmehrheit die Vermehrung des Heers schließlich zwar genehmigte, aber nur auf 3, statt auf 7 Jahre, den kaiserl. Erlaß, der den Reichstag für aufgelöst erklärte. Die Neuwahlen wurden auf 21. Febr. ausgeschrieben. B. nahm auch nicht Anstand, die Einwirkung des Papstes auf die dem Septennat widerstrebende Centrumspartei in Anspruch zu nehmen. Als dann die Gegner in der Presse ihm Einführung von Monopolen und Aufhebung des allgemeinen Wahlrechts als die eigentlichen Motive der Reichstagsauflösung unterschoben, bezeichnete er in einer 24. Jan. im preuß. Abgeordnetenhause gehaltenen Rede diese Angaben als Verleumdungen. Der Zweck der Militärvorlage werde auch ohne Reichstagsvotum erreicht werden; die verbündeten Regierungen, die, wie B. sagte, die Pflicht hätten, für die Sicherheit des Vaterlandes zu sorgen, würden auf eigene Faust die zur Verstärkung des Heers nötigen Anordnungen treffen. Die Reichstagswahlen ergaben eine dem Septennat günstige Majorität der nationalen durch ein Kartell vereinigten Parteien. 3. März trat der neugewählte Reichstag zusammen und nahm 11. März die Heeresvorlage unverändert an.

In der That streiften die Ereignisse der nächsten Wochen hart an den Krieg. Die Verhaftung des franz. Grenzbeamten Schnäbele, dessen Spionage bewiesen werden konnte, auf deutschem Gebiete führte im franz. Ministerium zu dem Antrage auf Mobilmachung, dessen Annahme nur der Präsident Grévy verhinderte. B. verstand es in einer Note an den franz. Botschafter Herbette, 28. April, die Freilassung Schnäbeles in einer Weise zu motivieren, die der Würde des Reichs und dem Rechte der deutschen Behörden zu ihrem Vorgehen nicht das Geringste vergab. Der wirksamste Hebel der B.schen Friedenspolitik war die im März abgeschlossene und bei einer Zusammenkunft des ital. Ministers Crispi mit B. in Friedrichsruh (1. Okt.) bekräftigte Erneuerung des Verteidigungsbündnisses Deutschlands, Österreichs und Italiens. Bei dem Besuche des Zaren in Berlin konnte dann B. 18. Nov. demselben nachweisen, daß man gefälschte Aktenstücke benutzt habe, um das Vertrauen zu der Ehrlichkeit der deutschen Politik zu nehmen. Der Abschluß dieser spannungsreichen Zeit war die gewaltige Rede, die B. 6. Febr. 1888 im Reichstage hielt bei der Beratung der Finanzvorlage für das Wehrgesetz, durch welches dem deutschen Heere die Landwehr zweiten Aufgebotes wieder zugeführt wurde. Der Tod seines geliebten Herrn, des Kaisers Wilhelm Ⅰ., 9. März 1888, den B. als einen Wendepunkt auch in seiner eigenen Wirksamkeit empfand, führte eine neue Zeit herbei.

Mit dem 21. Febr. 1887 neugewählten Reichstage wurde es B. auch möglich, dem Reiche eine neue ergiebige Einnahmequelle durch das 17. Juni angenommene Branntweinsteuergesetz zu eröffnen; dagegen die von der Landwirtschaft begehrte Erhöhung der Kornzölle konnte wieder nur mit Hilfe des Centrums durchgesetzt werden (17. Dez. 1887). ^[Spaltenwechsel]

Die Regierung Kaiser Friedrichs Ⅲ. (s. d.) begann mit dem Danke für die Dienste, die B. dem kaiserl. Hause geleistet. Aber zugleich zeigte der Erlaß an den Reichskanzler vom 12. März 1888, daß der Kaiser gewillt war, im Innern nach eigenem Programm zu regieren. Anfang April entwickelte sich bereits durch das von B. sogleich entschieden widerratene Projekt der Verheiratung der Prinzessin Victoria mit dem in Rußland verhaßten Prinzen Alexander von Battenberg, dem entthronten Fürsten von Bulgarien, eine Krisis, die den Rücktritt B.s herbeizuführen geeignet war, aber durch den Entschluß des Kaisers, die Angelegenheit vorläufig ruhen zu lassen, sogleich gelöst wurde. An den Vorgängen, die zur Entlassung des Ministers von Puttkamer, 8. Juni, wenige Tage bevor der Tod die Leiden des kaiserl. Dulders endete (15. Juni 1888), führten, war B. unbeteiligt und suchte vielmehr die Entlassung zu verhindern.

Mit Zeichen des Vertrauens und der Dankbarkeit für B. begann auch die neue Regierung unter Wilhelm Ⅱ. Kaiser und Kanzler zeigten bald bei mehrfachen Gelegenheiten eine übereinstimmende Auffassung in der Begünstigung der gemäßigten Mittelparteien. Die Berufung des liberalen Theologen Harnack nach Berlin (Sept.) veranlaßte die theol. Fakultät in Gießen, 10. Nov. 1888, zur Verleihung der theol. Doktorwürde an B. wegen seines «Eintretens für duldsames und praktisches Christentum», wie es B. selbst bezeichnete.

Aus der Absicht, der B.schen Politik Schwierigkeiten zu erwecken, ging die Veröffentlichung des Tagebuches Kaiser Friedrichs aus dem Kriege 1870 und 1871 (in der «Deutschen Rundschau», Okt. 1888) hervor. Die Untersuchung, die B. in seinem Immediatberichte vom 23. Sept. sofort beantragte, ergab den Professor Geffcken, einen frühern hanseatischen Diplomaten und persönlichen Gegner der B.schen Politik, als Urheber. Wenig erfreuliche Erörterungen der Presse schlossen sich an, und eine «Verletzung des monarchischen Gefühls» durch Veröffentlichung jenes, den Kronprinzen bloßstellenden Immediatberichtes sowie der Anklageschrift gegen Geffcken wurde behauptet. Entschieden trat 1889 auch die Stellungnahme B.s gegen die christlichsociale und extremkonservative Richtung zu Tage; der Hofprediger Stöcker wurde veranlaßt, von der polit. Agitation zurückzutreten.

Die auswärtige Politik B.s trat während dieser Periode in keine neue Wendung ein. Der Friedensbund der drei mitteleurop. Großmächte empfing durch Zusammenkünfte der Herrscher und Minister wiederholte Bekräftigungen, eine Annäherung Englands vollzog sich, und die B.sche Politik brachte es im Juni 1889 sogar zu stande, daß sich aus Anlaß des Falles Wohlgemuth (s. Deutschland und Deutsches Reich, Geschichte) selbst Rußland, eingedenk der Interessengemeinschaft der monarchischen Staaten, an einer Mahnung an die Schweiz beteiligte, die socialistische Agitation schärfer zu überwachen.

In der Kolonialpolitik war es B.s Bemühen, die Fühlung mit England zu behalten. Der Aufstand in Ostafrika im Herbst 1888 führte zu einer deutsch-engl. Blockade der ostafrik. Küste zur Unterdrückung des Sklavenhandels; aus Rücksicht auf England mißbilligte auch B. das Unternehmen des Dr. Peters, Emin Pascha zu befreien. (S. Deutschland und Deutsches Reich, Geschichte.) Die anfangs für Deutschland sehr ungünstigen Ereignisse auf