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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Bismarck (Otto Eduard Leopold, Fürst von)

Samoa, Dez. 1888, veranlaßten B. zu einer Mißbilligung des übereilten Vorgehens des deutschen Konsuls daselbst; die von ihm vorgeschlagene und vom Grafen Herbert B. geleitete Samoa-Konferenz in Berlin, April bis Mai 1889, brachte den Ausgleich der deutschen, amerik. und engl. Interessen.

So befand sich zum Ende der B.schen Geschäftsführung die auswärtige Politik in klaren und einfachen Verhältnissen, die Kolonialpolitik in gesichertem und entschiedenem Aufstreben. Schon aber drängte der Ausbruch des rhein.- westfäl. Bergarbeiterstreiks im Mai 1889 zu weitern socialpolit. Reformen, namentlich hinsichtlich des Arbeiterschutzes und des Verhältnisses zwischen Arbeiter und Arbeitgeber, denen B. zurückhaltender gegenüberstand, da sie nach seiner Meinung die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Industrie und das Recht des Arbeiters, seine volle Arbeitskraft auszunutzen, schmälerten. Deshalb hatte er sich schon gegen verschiedene Arbeiterschutzanträge des Reichstags ablehnend verhalten. Eben diesen Fragen wandte Kaiser Wilhelm Ⅱ. seine thatkräftigste Teilnahme zu. Die kaiserl. Erlasse vom 4. Febr. 1890 mit ihrem weitgehenden Programm der Arbeitergesetzgebung entbehrten der Gegenzeichnung durch B., da er ihre Veröffentlichung wiederriet ^[Fehler?: ihrer Veröff. widerriet]; irrtümlicherweise wurde behauptet, daß ihn auch in der Frage der Aufhebung des Socialistengesetzes eine grundsätzliche Meinungsverschiedenheit vom Kaiser trennte. Zum formalen Konflikt zwischen Kaiser und Kanzler führte die Weigerung B.s, in die Aufhebung der Kabinettsorder vom 24. Sept. 1852, die den Ministern verbot, ohne Anwesenheit des Ministerpräsidenten dem Monarchen Vortrag zu halten, zu willigen. Am 18. März 1890 reichte B. auf wiederholtes Verlangen des Kaisers sein Entlassungsgesuch ein, das der Kaiser in anerkennendster Weise unter Verleihung der Würde eines Herzogs von Lauenburg an B. und Ernennung desselben zum Generalobersten der Kavallerie am 20. März genehmigte. Die Abreise des Fürsten von Berlin nach Friedrichsruh am 29. März führte zu einem gewaltigen Ausdrucke der tiefen Bewegung, die das Ereignis des Rücktrittes in der Bevölkerung erregt hatte.

Auch als Privatmann wendet B. den polit. Fragen ein unausgesetztes, scharfes Interesse zu, und wiederholt empfing er Vertreter der ausländischen und deutschen Presse in Friedrichsruh, wo er seit seinem Rücktritte meist weilt, und suchte namentlich auf die Stimmung des Auslandes im Sinne seiner Friedenspolitik zu wirken. Am 30. April 1891 wurde B. von dem 19. hannov. Wahlkreise Kehdingen-Neuhaus zum Reichstagsabgeordneten gewählt; er nahm die Wahl an, ohne jedoch an den Sitzungen teilzunehmen, und lehnte 1893 eine Wiederwahl ab. Daß die Verehrung und Dankbarkeit, die B. im deutschen Volke gewidmet wird, sich seit seinem Rücktritte nicht vermindert hat, bewiesen die zahlreichen Huldigungen, die ihm bei verschiedenen Gelegenheiten dargebracht wurden. Am deutlichsten zeigte sich dies aber 1892 bei der Reise, die B. zur Hochzeit seines Sohnes Herbert nach Wien unternahm. Schon auf der Hinreise wurde er in Dresden jubelnd begrüßt. In Wien waren ihm durch die Reichsregierung Schwierigkeiten sogar in der Pflege seiner gesellschaftlichen Beziehungen bereitet worden. In einer Unterredung mit einem Wiener Journalisten sprach B. sich sehr abfällig über die Politik seines Nachfolgers aus. Darauf veröffentlichte der Reichsanzeiger zwei gegen B. gerichtete frühere Erlasse des Reichskanzlers Grafen von Caprivi. Der eine ersuchte den deutschen Botschafter in Wien, Prinzen Reuß, einer Einladung zur Hochzeit auszuweichen, und wies die Möglichkeit zurück, daß der frühere Reichskanzler jemals wieder irgend welchen Einfluß auf die Leitung der Geschäfte gewinnen könne. Der andere kehrte sich gegen die über die gegenwärtigen Anschauungen B.s durch die Presse verbreiteten Äußerungen, denen ein aktueller Wert nicht beizulegen sei, und betonte, daß der Kaiser zwischen «B. früher und jetzt» unterscheide. Die Folge dieser Veröffentlichung war, daß dem Fürsten auf der Rückkehr von Wien die großartigsten Huldigungen entgegengebracht wurden. Als B. Sommer 1893 in Kissingen schwer erkrankte, gab dies dem Kaiser Veranlassung, sich von Güns in Ungarn aus, wo er zur Jagd weilte, telegraphisch nach dem Befinden des Fürsten zu erkundigen und ihm eins der kaiserl. Schlösser als Wohnung anzubieten. B. lehnte dieses Anerbieten zwar ab, doch war damit der erste Schritt zu einer Wiederannäherung gethan. Als der Kaiser 27. Jan. 1894 sein 25jähriges Militärjubiläum feierte und den Fürsten nach altem Brauch durch seinen Flügeladjutanten, Grafen Moltke, zur Teilnahme an dem Fest einladen ließ, folgte B. dem Ruf und begab sich, begleitet von seinem Sohn Herbert, 26. Jan. nach Berlin, wo er von dem Kaiser mit den größten Ehren empfangen und vom Volk mit stürmischem Jubel begrüßt wurde. B.s Ernennung zum Chef des 7. Kürassirregiments erfolgte an demselben Tage. Bald darauf (19. Febr.) besuchte der Kaiser den Fürsten in Friedrichsruh.

Umfassende Sammlungen sind für ein Denkmal (Bronzestandbild) B.s in Berlin und für einen Bismarck-Turm am Starnbergersee veranstaltet worden. Das erstere soll auf der erweiterten Rampe des neuen Reichstagsgebäudes Aufstellung finden. In Köln wurde 1. April 1879 ein Denkmal B.s von Schaper, in Düren 25. Sept. 1892 eins von Uphues enthüllt; am Leipziger Siegesdenkmal (1888) befindet sich ein Reiterstandbild B.s.

B. war seit 28. Juli 1847 vermählt mit Johanna von Puttkamer (geb. 11. April 1824, gest. 27. Nov. 1894 in Varzin). Dieser Ehe entsprossen: Gräfin Marie Elisabeth Johanna von B., geb. 21. Aug. 1848, vermählt mit Cuno Grafen zu Rantzau (s. d.); Graf Herbert von Bismarck-Schönhausen (s. d.); Graf Wilhelm von Bismarck-Schönhausen (s. d.).

Litteratur. Das urkundliche Hauptwerk ist L. Hahn, Fürst B. Sein polit. Leben und Wirken urkundlich in Thatsachen und des Fürsten eigenen Kundgebungen (5 Bde., Berl. 1878‒91), das darstellende Hauptwerk (zunächst bis 1867 reichend): H. von Sybel, Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm Ⅰ. (1. bis 3. Aufl., 1.‒5. Bd., Münch. 1889, 1890). Sammlungen der Reden: Fürst B. als Redner, hg. von Böhm und Dove (bis 1891 16 Bde., Stuttgart, Kollektion Spemann); Fürst B.s polit. Reden. Histor.-kritische Gesamtausgabe von Kohl Bd. 1‒10, Stuttg. 1892‒94); Fürst B.s gesammelte Reden, hg. von Walden (3 Bde., Berl. 1892); Discours (15 Bde., Berl. 1870‒89). Vgl. außerdem: (W. R. Schultze), Graf B. Ein Lebensbild (Altenb. 1867); Bamberger, Herr von B. (Bresl. 1868; auch in franz. und in engl. Sprache): Vilbort, L'œuvre de M. de B., 1863‒66. Sadowa et la campagne des sept jours (Par. 1869; deutsch,